Marco Schlüter, COO von Hermes Germany

Bild: Hermes Germany

Hermes-COO: „Viele Lösungsansätze werden noch getestet“

24.09.2024

Die Transformation der Nfz-Fuhrparks hin zu CO2-armem oder sogar CO2-freiem Betrieb nimmt Fahrt auf. Doch längst noch nicht alle offenen Fragen sind geklärt. Im Thesencheck der DVZ ordnet Marco Schlüter, Chief Operations Officer von Hermes Germany, den Status Quo ein.


DVZ: Die politischen Entscheidungsträger sprechen oft von Technologieoffenheit, wenn es um alternative Nutzfahrzeugantriebe geht. Das führt zu einer massiven Investitionsunsicherheit bei den Transportunternehmen.

Marco Schlüter: Teilweise richtig. Während sich auf der letzten Meile der batterieelektrische Antrieb durchgesetzt hat, ist der Weg im Schwerlastbereich noch unklar, viele Lösungsansätze werden noch getestet. Somit müssen wir offen für verschiedene Technologien bleiben. Wir brauchen allerdings klare politische Leitlinien und Unterstützung. Leider werden oft zeitliche Horizonte für Förderungen übersehen. Eine Maut-Befreiung für alternativ angetriebene Fahrzeuge bis 2026 greift beispielsweise zu kurz.

Der E-Lkw ist die bei weitem beste Alternative zum Diesel-Lkw.

Falsch. Der E-Lkw ist ohne Frage eine vielversprechende Alternative und mein Bauchgefühl sagt mir, dass sich auch hier der batterieelektrische Antrieb durchsetzen wird. Aber Fakt ist: Bei alternativen Antriebsformen von schweren Nutzfahrzeugen ist noch viel Musik drin, sowohl was technische Entwicklungen als auch Verfügbarkeiten angeht. Die beste Alternative hängt außerdem von weiteren Faktoren wie Lade- oder Tankinfrastrukturen sowie spezifischen Einsatzanforderungen ab.

Ohne eine substanzielle Unterstützung durch den Bund in Form von Fördermitteln ist der Umstieg auf eine komplett alternativ angetriebene Fahrzeugflotte innerhalb der kommenden zehn Jahre nicht möglich.

Richtig. Die Transformation der gesamten Fahrzeugflotte erfordert erhebliche Investitionen in Fahrzeuge plus Infrastruktur – das können Unternehmen nicht allein stemmen, erst recht nicht in kostensensiblen Branchen. Ohne Anschub haben wir das Henne-Ei-Problem. Die Unterstützung muss dabei nicht zwingend beim Kauf erfolgen, Entlastung kann auch eine zeitlich unbegrenzte Mautbefreiung bringen. Wir wollen die Verantwortung keineswegs von uns weisen, aber die Wirtschaftlichkeit des Betriebs solcher Fahrzeuge muss gegeben sein.

Die Ladeinfrastruktur für E-Lkw ist bisher nur rudimentär vorhanden. Und die bisher verfügbare Ladetechnik reicht kaum aus, um die Fahrzeuge in vertretbarer Zeit wieder ausreichend zu laden. Dieses Problem wird in spätestens fünf Jahren gelöst sein.

Falsch. Es sind zwar vielerorts Ladeinfrastrukturen im Aufbau und Fortschritte zu erwarten, aber eine komplette Lösung in fünf Jahren halte ich für unrealistisch. Die Möglichkeiten für den Nutztransport sind aktuell schlichtweg unzureichend. Eine Herausforderung stellen neben der Verfügbarkeit von Ladesäulen-Energie, die man benötigt, auch die verfügbaren Flächen dar, gerade wenn ich künftig eine große Zahl von Lkw laden will.

Fahrzeuge mit Brennstoffzellen-Antrieb werden auf absehbare Zeit noch sehr teuer sein. Transportunternehmen, die mit Wasserstoff fahren wollen, sollten lieber auf den Wasserstoff-Verbrenner setzen.


Teilweise richtig. Vorteile wie Wirkungsgrad und Elektroantrieb sprechen für die Brennstoffzelle, aber einfacher in der Umrüstung von bestehenden Fahrzeugtypen könnte der Verbrenner sein. Ausschlaggebend sollte aber immer die Frage sein: Womit spare ich am effizientesten CO2 ein? Hinzu kommt, dass die Vorteile von Brennstoffzellen in Fahrzeugen nur dann voll zur Geltung kommen, wenn H2-Produktion und -verteilung ebenfalls effizient gestaltet sind. Unabhängig von der Antriebsart spielt zudem die Frage eine Rolle, ob ich grünen Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen tanken kann.

Für Fahrende ist der Umstieg auf lokal emissionsfreie Fahrzeuge problemlos möglich. Eine spezielle Schulung ist nicht notwendig.

Falsch. Rein theoretisch kann natürlich jede Person solch ein Fahrzeug steuern, aber ein effizienter Betrieb erfordert Wissen. Denn wir sehen, dass die Fahrweise einen deutlicheren Einfluss auf den Verbrauch hat als beim Verbrenner. Uns ist wichtig, dass unser Fahrpersonal die neuen Technologien versteht, daher gibt es umfassende Einweisungen in die Bedienung der Fahrzeuge. Und auch seitens der Berufsgenossenschaften gibt es Vorgaben.

Die vorläufige Einstellung der KsNI-Förderung hat zu einem deutlichen Preisrückgang bei E-Lkw und Co geführt. Das reicht, um die Fahrzeuge ökonomisch interessant zu machen.

Falsch. Für eine vollständige ökonomische Bewertung müssen wir neben den Anschaffungs- auch die Betriebskosten wie Energieverbrauch, Wartung, Versicherung und Restwerte berücksichtigen. Trotz höherer Anschaffungskosten können E-Lkw langfristig wirtschaftlicher sein, wenn die Betriebskosten deutlich niedriger sind als bei Verbrennern. Verfügbarkeit und Kosten der Ladeinfrastruktur sind ebenfalls entscheidend.

Alternative Kraftstoffe wie HVO100 oder Bio-LNG können den CO₂-Ausstoß eines Lkw oder Transporters um 80 Prozent und mehr senken. Dennoch bleiben diese Antriebsarten nur eine Brückentechnologie.


Richtig. Ohne Frage sind alternative Kraftstoffe wertvolle Übergangslösungen zur CO₂-Reduktion im Transportsektor, bis endgültige Lösungen für den Schwerlastverkehr gefunden sind. Aber ich gehe davon aus, dass technologische Entwicklungen alternative Antriebssysteme langfristig effizienter und kostengünstiger machen. Bei HVO100 bleibt zudem die Frage der großflächigen Verfügbarkeit ohne Konflikte mit der Lebensmittelproduktion.

Um alternativ angetriebene Fahrzeuge wirtschaftlich betreiben zu können, müssen sie nach dem Pay-per-Use-Prinzip abgerechnet werden.

Falsch. Pay-per-Use hilft zwar dabei, große Anfangsinvestitionen zu vermeiden und kostensensibel Erfahrungen zu sammeln, ist aber nicht die Grundvoraussetzung dafür, Fahrzeuge wirtschaftlich betreiben zu können. Das Zielbild sollte immer eine Serienproduktion beziehungsweise ein erschwinglicher Preis des Fahrzeugs sein, der es für Unternehmen interessant macht. Dazu können auch andere Möglichkeiten wie staatliche Förderungen beitragen.

Der Umstieg auf eine elektrisch betriebene Fahrzeugflotte kann nur gelingen, wenn das Projekt ganzheitlich betrachtet wird. Das heißt, es geht um Fahrzeuge, Energiegewinnung und -speicherung im Depot sowie um die notwendige Ladeinfrastruktur.

Richtig. Fahrzeuge austauschen und fertig – schön wär’s. Es geht allerdings auch um eine zukunftsorientierte Energieversorgung, Ladeinfrastruktur und Prozesse. An unserer Umstellung auf eine komplett lokal CO₂-freie Zustellung in ganz Hamburg kann man das gut veranschaulichen: Der Wechsel von Diesel auf E-Transporter und Lastenräder ist das eine, aber wir haben auch die kompletten Letzte-Meile-Prozesse geändert und in Ermangelung öffentlicher Möglichkeiten ein eigenes E-Mobility-Hub aufgebaut. Außerdem geht es um das Mindset – also darum, alle mitzunehmen und von dem Weg zu überzeugen, Mitarbeitende wie auch Servicepartner.

Das hohe Entwicklungstempo bei den alternativ angetriebenen Fahrzeugen macht es unmöglich, eine solide langfristige Investitionsstrategie für den Fuhrpark aufzubauen.

Teilweise richtig. Auch wenn eine fixe Investitionsplanung bei der Dynamik herausfordernd ist: Keine Strategie ist auch keine Lösung. Wir müssen flexibel und anpassungsfähig bleiben, Entwicklungen antizipieren, neue Erkenntnisse in die Planung mit aufnehmen und unsere Strategie permanent anpassen. Ein klarer politischer Rahmen mit weiten zeitlichen Horizonten ist wichtig, um die Transformation zu planen und die Klimaziele zu erreichen.

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