Es war ein imposantes Bild, als der Schwerlastkran bei schönstem Wetter den Tankbehälter anhob und mit einer langsamen Drehbewegung auf den vorbereiteten Fundamentsockel setzte. Die ganze Aktion dauerte rund 30 Minuten und läutete Mitte September offiziell den Baubeginn für den GDP-Komplex auf dem Gelände Holborn Europa Raffinerie in Hamburg ein. GDP steht für Green Diesel Produktion und soll die Herstellung von nachhaltigem Diesel und Kerosin aus Rest- und Abfallstoffen ermöglichen.
Besser bekannt sind diese Produkte als HVO (Hydrotreated Vegetable Oil), also hydriertes Pflanzenöl, und SAF (Sustainable Aviation Fuel). Beides sind CO2-arme Kraftstoffe, welche die gleichen chemischen Eigenschaften wie fossiler Diesel und herkömmliches Kerosin aufweisen. Deshalb können die neuen nachhaltigen Kraftstoffe schon jetzt im Flottenbestand eingesetzt werden, ohne dass große technische Änderungen an den Motoren oder Triebwerken vorgenommen werden müssen. Der Vorteil der neuen Produkte gegenüber den konventionellen Kraftstoffsorten ist somit auch, dass die Abhängigkeit von fossilem Erdöl gesenkt und dadurch die Umweltbelastung reduziert wird. Ihr Einsatz führt bei vergleichsweise geringem Aufwand zu einer deutlichen Absenkung der Treibhausgasemissionen.
„Das Projekt ist ein wichtiger Schritt in unserem langfristigen Transformationsprozess. Dieser zielt darauf ab, im Rahmen unserer Wachstumsstrategie Rohöl durch alternative Rohstoffe zu ersetzen“, sagt Lars Bergmann, Geschäftsführer der Holborn Europa Raffinerie im Gespräch mit der DVZ. „Wir setzen mit diesem Vorhaben ein sichtbares Zeichen der langfristigen Transformation unserer Raffinerie. Unser Ziel ist es, erneuerbare und kreislauforientierte Lösungen in der Produktion nachhaltiger Kraftstoffe zu etablieren. Mit dem Projekt treiben wir auch die Energiewende voran.“
Wer ist Holborn?
Die Holborn Europa Raffinerie versorgt Hamburg und den norddeutschen Raum mit Kraftstoffen, Heizprodukten und Grundstoffen für die chemische Industrie. Mit rund 300 Mitarbeitenden verarbeitet das Unternehmen rund 5 Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr, die über eine Pipeline aus Wilhelmshaven angeliefert werden. Der Betrieb am Standort Hamburg-Harburg war 1987 durch die Reaktivierung der stillgelegten Esso-Raffinerie aufgenommen worden. Über die Muttergesellschaft Holborn Investment Company gehört die Raffinerie zur Oilinvest-Gruppe, die über ihre Tochtergesellschaft Tamoil in Italien, Spanien und der Schweiz Tankstellen betreibt. Die Deutsche Tamoil ist unter der Marke HEM auf dem hiesigen Tankstellenmarkt aktiv.
Rund 475 Millionen Euro investiert Holborn in den Bau des neuen Anlagenteils. Auf einer Fläche von knapp fünf Fußballfeldern werden am Nordrand des rund 100 Hektar großen Raffineriegeländes eine Vorbehandlung, die eigentliche GDP-Anlage sowie die Verbindungsinfrastruktur zu den bestehenden Anlagen errichtet. Anfang 2027 soll der neue Komplex in Betrieb genommen werden und dann stündlich etwa 40.000 Liter CO2-arme Kraftstoffe produzieren. Mit der angepeilten Jahresproduktion von 220.000 Tonnen können etwa 800.000 Tonnen CO2 im Verkehrssektor eingespart werden. „Rechnerisch können wir damit den Treibstoffbedarf des Hamburger Flughafens komplett abdecken“, erklärt Bergmann. Aber dies sei nicht das Ziel. Viel wichtiger sei es, dass HVO an die Tankstellen komme, damit der Straßengüterverkehr schneller defossilisiert werden könne.
Direkt an den Bauplatz des neuen Anlagenkomplexes bei Holborn grenzt das Gelände des ehemaligen Steinkohlekraftwerks Hamburg-Moorburg. Diese 3 Milliarden Euro teure Doppelblockanlage mit einer installierten Leistung von 1.600 Megawatt war 2021 nach nicht einmal fünf Jahren Betriebsdauer stillgelegt worden und wird derzeit demontiert. Die Hamburger Energiewerke wollen hier einen Großelektrolyseur mit einer Leistung von 100 Megawatt errichten, um aus regenerativ erzeugtem Strom Wasserstoff zu erzeugen.
GDP in Zahlen
Anfang 2027 soll die Green-Diesel-Produktion beginnen. Bei einer erwarteten Produktionskapazität von 40.000 Litern HVO pro Stunde kann die Anlage pro Tag im 24/7-Betrieb rund 950.000 Liter nachhaltigen Kraftstoff herstellen. Diese Menge reicht aus, um damit 17.000 Pkw von Hamburg nach München fahren zu lassen. Das Einsparpotenzial von 800.000 Tonnen CO2 pro Jahr entspricht der CO2-Absorbtion der gesamten Waldfläche Schleswig-Holsteins.
Bergmann, der seine Investition allein stemmt und keinerlei staatliche Förderung für die neue Produktionslinie in Anspruch nimmt, kritisiert die aus seiner Sicht „inkonsistente Energiepolitik“ und fordert mehr Planungssicherheit. Ein Problem sieht er zum Beispiel in der „einseitigen und zu starken Fixierung der Bundesregierung auf die Förderung von Projekten für grünen Wasserstoff“. Aber auch bei Holborn brauchen sie grünen Wasserstoff. Das Unternehmen plant den Bau eines eigenen Elektrolyseurs mit 25 Megawatt Leistung. Dieser soll den GDP-Komplex unterstützen, aber auch die Verwendung von bisher fossilerzeugtem grauem Wasserstoff im Raffinerieprozess mindern.
„Auch wenn wir natürlich unserem Nachbarn die gezielte staatliche Förderung gönnen, könnte eine gezielte Förderung der Transformation dieser Raffinerie die Energiewende zusätzlich beschleunigen und Hamburg als Industrie- und Wirtschaftsstandort stärken“, meint Bergmann. Er verweist darauf, dass der Raffineriestandort sich durch seine Anbindung an Schiene, Straße und Wasserstraße sowie eine eigene Pipeline nach Wilhelmshaven auszeichne. „Damit bieten wir unter Benutzung bestehender Infrastruktur die besten Voraussetzungen, den Norden auch künftig verlässlich mit erneuerbaren Energien zu versorgen“, so Bergmann.
Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer von en2x, dem Wirtschaftsverband Fuels und Energie, ordnete in einem Grußwort vor dem offiziellen Baustart die Bedeutung des Projektes ein und verwies auf eine aktuelle Studie des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), wonach 20 Prozent der industriellen Wertschöpfung in Deutschland akut gefährdet seien. Er werte es als ein „sehr gutes, positives Signal auch für die Zukunft, dass trotz eines nicht optimalen Umfelds Investitionsentscheidungen dieser Art getroffen werden“. Raffinerien könnten eine wichtige Rolle übernehmen, wenn es gelinge, sie zu transformieren. Küchen verdeutlichte dies anhand von zwei Zahlen. In Deutschland beruhten 80 Prozent der Energie- und Rohstoffversorgung auf Molekülen, weitestgehend auf Kohlenwasserstoffen, nur 20 Prozent auf elektrischer Energie. „Wir sind uns sicher einig, der Stromanteil wird durch die Elektrifizierung vieler Prozesse steigen. Aber ohne die fossilen Kohlenwasserstoffe, egal ob aus Erdgas oder Öl, durch Erneuerbare zu ersetzen, werden wir keine Chance haben, die Klimaziele zu erreichen.“ Küchen mahnte, deshalb nun „sehr schnell“ mit der Transformation anzufangen.