Die Autobahn A26 Ost in Hamburg ist möglicherweise ein Hindernis für den Bau des Energiehafens.

Bild: picture alliance/dpa | Daniel Bockwoldt

Zähe Zeitenwende im Hamburger Hafen

07.11.2024

Der Nabu sieht mit dem Bau der Autobahn A 26-Ost die Entwicklung des Energiehafens in Gefahr. Gastautor Malte Siegert plädiert zudem für mehr Kooperation der deutschen Hubs.

Geht es Ihnen auch so? Sie sind gestern in einem Land zu Bett gegangen, das modern und international wettbewerbsfähig war. Ein Land, das innovative Produkte herstellt, eine gute Infrastruktur bietet und sichere Arbeitsplätze. Am nächsten Tag wacht man auf und alles scheint anders zu sein. Brücken stürzen ein, Fachkräfte fehlen, und statt eines digitalen Durchbruchs bricht im ICE zwischen Hamburg und Frankfurt – wenn der Zug überhaupt fährt – mit Sicherheit die Netzverbindung zusammen.

Seit Beginn des Jahrtausends wurden wirtschaftliche oder politische Weichen nicht oder falsch gestellt. Das zeigt sich an der Abhängigkeit von fossiler Energie, beim Festhalten am Verbrennermotor, bei der Verlagerung der Herstellung systemrelevanter Produkte nach Asien oder beim bewussten Zerschlagen des jungen deutschen Marktes für erneuerbare Energien. Die falsche Priorisierung der Verkehrsträger war ebenfalls fatal, der mangelnde Erhalt des bestehenden Systems ohnehin. Das rächt sich jetzt.

Welthafen am Wendepunkt

Wie in einem Brennglas zeigen sich viele der überholten Haltungen im Hamburger Hafen. Während im niederländischen Rotterdam Hafen- gleich Regierungspolitik ist und in Belgien Antwerpen und Zeebrügge fusionieren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, zementieren vor allem die drei deutschen Seehäfen Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven die Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts. Der föderale Geist unterstützt vor allem Konkurrenz, Risiko und Alleingänge, statt Kooperation und Resilienz zu fördern. All das ist vor allem dann gefährlich, wenn in einer Ära des Abschwungs Zeit und Geld knapp werden.

Über Dekaden hat ein Dreieck aus Politik, Verwaltung und Teilen der Wirtschaft beharrlich überfällige Veränderungen verweigert und vor geopolitischen Entwicklungen die Augen verschlossen. Hinzu kommt: Köhlbrand- und Elbbrücke sind kaputt, Straßen marode, Kaikanten sanierungsbedürftig. Ein gigantischer Investitionsstau, der in den Jahren guter Konjunktur mit sprudelnden Steuereinnahmen hätte angegangen werden müssen.

Während anderswo Boxen bereits hocheffizient, digital, vollautomatisiert und klimafreundlich elektrifiziert an den Terminals verschoben werden, umwehen noch immer Dieselfahnen einige der hanseatischen Containerterminals. Eingeleitete Gegenmaßnahmen, den technologischen Rückstau umzudrehen, wirken aktionistisch. Nicht wenige Fachleute fragen sich, ob die Entscheidung, die weltgrößte Reederei MSC gleich am Gesamtkonzern HHLA zu beteiligen, statt nur an einem Terminal, voll durchdacht wurde.

Veraltete Verkehrsinfrastrukturpolitik

Ein besonders krasses Negativbeispiel, das angesichts veränderter Rahmenbedingungen neu zu priorisieren wäre, ist die A26 Ost in Hamburg. Sie soll im Süden des Hafens die A7 mit der A1 verbinden. Mit rund 2,5 Milliarden Euro für nur 10 Kilometer Strecke gehört sie zu den Top 3 der teuersten deutschen Autobahnvorhaben. Und sie steht einer vielversprechenden und zukunftsfähigen Entwicklung im Weg.

Durch die Anfang des Jahres beschlossene nationale Hafenstrategie kommt den Häfen eine ganz neue Rolle zu. Militärische Aspekte spielen angesichts der volatilen Weltlage zunehmend eine wichtige Rolle. Und mit Blick auf die Versorgungssicherheit und die energetische Transformation von Industrie, Schifffahrt oder Flugbetrieb sollen sie zu „Hubs der Energiewende“ werden. Import, Umschlag, Lagerung und Weiterverarbeitung von Wasserstoff oder Derivaten wie Ammoniak oder Methanol sollen die Energiewende und die Deckung des nationalen Bedarfs gewährleisten. Das braucht Platz.

Die Linienführung der vor über 30 Jahren angedachten A26 Ost geht jedoch genau über ein Areal, das sich für diese gewaltige Transformation aufdrängt: die Halbinsel Hohe Schaar, die durch den Abzug der Öl-Tanklager von Shell freigeworden ist. Mitten im Hamburger Hafen wäre das Gebiet auch aus Sicherheitsgründen ein idealer Standort, um explosive oder toxische Güter im Zentrum einer Millionenstadt zu managen. Und genial für die großflächige Wirtschaftsentwicklung eines klimafreundlichen Industriezweigs, der den Abstieg im Containerumschlag kompensieren könnte.

Da die antiquierte Autobahn beim Kraftwerk Moorburg mit einer 50 Meter hohen Brücke die Elbe überspannen soll, könnten östlich auf der Hohen Schaar allenfalls Container unter der aufgeständerten Fahrbahn geparkt werden. Zudem wäre die Hälfte der Halbinsel durch die Baustelleneinrichtung der A26 für zehn Jahre futsch.

Grüne Infrastruktur geht verloren

Von einer echten „Zeitenwende“ ist auch deswegen nicht viel zu sehen, weil die A26 Ost rund 60 Hektar wertvolle Moorfläche südlich von Moorburg zerstören würde. So geht hier – wie andernorts – schleichend eine wichtige Infrastruktur verloren, deren Bedeutung fatalerweise weder politisch, wirtschaftlich oder gesellschaftlich wahrgenommen wird: die grüne. Sie sichert über intakte Lebensräume, eine hohe Artendichte mit entsprechender genetischer Vielfalt ebenso den wirtschaftlichen Wohlstand wie den Warentransport.

Einer Studie der Europäischen Zentralbank EZB zufolge sind 75 Prozent aller europäischen Unternehmen direkt von mindestens einer Ökosystemleistung abhängig: sauberes Wasser, saubere Luft, gute Böden oder der Bestäubung durch Insekten. Insofern wäre gerade der sorgsame Umgang mit Fläche von herausragender Bedeutung. Und kein Gedöns.

Statt „Business as usual“ bräuchte es mehr „Next Level“ beim nachhaltigen Denken. Ob das politische Entscheider unterschiedlicher Lager vor Bürgerschafts- und Bundestagswahl ernsthaft umtreibt, ist nicht festzustellen. Diese Haltung sollte uns zu denken geben. (alb)

Malte Siegert arbeitet seit mehr als 20 Jahren für den Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Seit 2020 ist er erster Vorsitzender des Hamburger Landesverbands.

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