Daimler Truck hat eine besondere Stellung. Einerseits ist der Nutzfahrzeugbauer mit seiner Marke Mercedes-Benz Trucks Lieferant von Elektro- und Diesel-Lkw für die Transportbranche. Andererseits ist das Unternehmen als Empfänger von Komponenten für die Fertigung auch Kunde. Der Anspruch lautet hierbei, den Inbound-Transportverkehr in Zukunft CO₂-frei zu gestalten. „Wir wissen noch nicht genau, wann und wie und mit welchen Produkten, aber das Ziel steht fest“, sagt Martin Bruckner. Fakt ist: Aktuell treibt Mercedes-Benz Trucks die Transformation der Transportbranche hin zu E-Lkw auch in der eigenen Lieferkette voran.
Prämiertes Konzept
Supply Chain Manager Bruckner gehört wie die Transportplanerin Helene Gottstein und die Supply-Chain-Planerin Maria Kuntz zum Team des Projekts „Electrify Inbound Logistics“. Die drei gaben im Februar beim Forum Automobillogistik aktuelle Einblicke in das Vorhaben. Bei der Veranstaltung in Dresden hatte der Branchenverband VDA das Konzept mit seinem Logistik-Award ausgezeichnet.
MB Trucks verfolgt mit den vier Produktionsstandorten Kassel (Hessen), Gaggenau, Mannheim (beide Baden-Württemberg) und Wörth (Rheinland-Pfalz) das Ziel, den Anlieferverkehr mit Produktionsmaterial in eigener Frachtverantwortung zu elektrifizieren. Seit Projektstart Anfang 2023 konnten rund 20 Prozent der direkt beauftragten Materialtransporte gemeinsam mit Speditionen umgestellt werden. Gemeinsam mit Speditionspartnern arbeitet das Unternehmen daran, die täglichen Anlieferungen sukzessive durch elektrisch angetriebene Lkw zu ersetzen. Bislang kommen dabei auf regionalen Routen die batterieelektrischen Mercedes-Benz eActros 300 und 400 für den schweren Verteilerverkehr zum Einsatz. So konnten im Vorjahr auf rund 40 Strecken etwa 2 Millionen Kilometer elektrisch gefahren werden.
Jetzt folgen die längeren Strecken
Der neue E-Lkw vom Typ eActros 600 wird seit Ende vergangenen Jahres in Serie in Wörth produziert und ermöglicht laut Hersteller künftig auch Strecken von 500 Kilometern ohne Zwischenladen. Mit den ersten Spediteuren im Bereich der längeren Distanzen wurden bereits Verträge unterschrieben. Also auch diese Routen würden nun konsequent umgestellt, sagt Gottstein.
Der Zeitplan für das Projekt ist straff: Schon bis Ende 2026 soll der Anlieferverkehr in Wörth vollständig elektrifiziert sein, die Komponentenwerke sollen folgen. Es sei schwer, das zeitliche Ziel zu erreichen – „und das wissen wir auch“, sagt Planerin Kuntz.
Bruckner merkt jedoch auch an, dass man solch eine Transformation nicht per Dreijahresplan perfekt timen kann. Das eine oder andere Handlungsfeld ergebe sich eben erst während des Projekts. Und dann gelte es, zusammen mit den Partnern sehr flexibel zu reagieren. Zudem betont er, dass man die Emotionen nicht unterschätzen darf. Wer nicht die Leidenschaft der Menschen gewinne, die eingebunden sind, werde es schwer haben. „Denn das ist ein Marathon und kein Sprint.“
Große Entwicklungssprünge
Bruckner beschreibt eine weitere Herausforderung: „Wir bauen seit mehr als 100 Jahren Diesel-Lkw. Wir haben wahnsinnig viel Erfahrung, diese Fahrzeuge schrittweise weiter zu verbessern. Aber wir entwickeln erst seit wenigen Jahren E-Lkw – und die haben Kinderkrankheiten. Unser Job ist es, genau aus diesen so schnell wie möglich zu lernen.“ Diese Weiterentwicklung sei aber nicht inkrementell. „Ein Fahrzeug der Generation 2 ist fundamental anders als das der Generation 1. Und ein Fahrzeug der Generation 3 wird fundamental anders sein als das der Generation 2.“
Ein Vorteil des Projekts laut Gottstein: „Durch die Tatsache, dass wir die E-Fahrzeuge in unsere Logistikprozesse einbinden, haben wir sehr viele Optimierungspotenziale festgestellt.“ Diese Erkenntnisse fließen dann wiederum in die Weiterentwicklung der eigenen Produkte ein.
Dann gebe es bei der ganzen Transformation jedoch, sagt Bruckner, „eine Komponente, die leider nicht komplett in unserer Hand liegt, bei der wir nur unterstützend eingreifen können“: die Ladeinfrastruktur im öffentlichen Raum. Dies sei eines der größten Hemmnisse.
Durch den Aufbau von werkseigener Ladeinfrastruktur wird im Projekt sichergestellt, dass Speditionen ihre E-Lkw während der Warte- und Entladezeiten laden können, ohne dass sich die Prozesszeiten in den Werken verlängern. Am Standort Wörth beispielsweise sind bereits 15 Ladesäulen auf dem Werksgelände installiert und in Betrieb genommen, davon sechs Schnellladesäulen mit 400 Kilowatt. In den Werken Gaggenau, Kassel, Mannheim sowie in den dazugehörigen Außenlagern sind insgesamt aktuell 7 Ladesäulen in Betrieb, davon 5 Schnellladesäulen. Für das laufende Jahr ist die Installation von weiteren 14 Schnellladesäulen geplant. „Fast alle Ladesäulen, die wir heute installiert haben, wurden gefördert“, fügt Gottstein hinzu.
E-Lkw als Vorgabe in Ausschreibungen
Die Kosten sind bei solch einem Projekt natürlich immer wichtig: „Nachhaltigkeit muss in einer langen Perspektive auch wirtschaftlich sein“, sagt Kuntz. Beim Umstellen der ersten Routen habe man die Mehrkosten für Bestandsdienstleister zunächst übernommen, auch aufgrund der Preise der Fahrzeuge zu dem Zeitpunkt. Mittlerweile aber würden E-Lkw standardmäßig in die Ausschreibungen integriert. Die ersten dazu seien auch schon gelaufen, berichtet Kuntz weiter. Inzwischen gebe es zudem erste Routen, „auf denen wir wirtschaftlich sind – und das wird auch so weitergehen“, ist sie überzeugt. Die Erfolgsfaktoren dafür sind laut Gottstein die Reichweite der E-Lkw, die vorhandene Ladeinfrastruktur, wettbewerbsfähige Strompreise sowie die Mautbefreiung.
Mit jedem Meilenstein weite sich der Horizont, sagt Bruckner. „Wir kommen aus dem Tun und Planen nicht mehr heraus, es geht immer weiter“, fügt der Supply Chain Manager hinzu. So sei es zum Beispiel ein weiteres Ziel, auch die Verkehre zwischen den beiden europäischen Lkw-Montagewerken in Wörth und dem türkischen Aksaray mit der Bahn im Haupt- und dem E-Lkw im Vor- und Nachlauf CO₂-neutral zu gestalten.