Die Zahl genehmigter Windkraftanlagen steigt wieder. Für den sicheren Transport der Komponenten ist teures Spezialequipment notwendig.

Bild: Big Move/Gutmann

Windenergie: "Weniger runde Tische, dafür mehr Handeln"

24.10.2023

Die Bundesregierung setzt auf Energie aus Windkraft. Doch Anlagenfertigung, Standort- und Transportgenehmigungen hinken hinterher. Die Schwergutlogistiker brauchen mehr Verlässlichkeit.

Die Ausbauziele für Windkraft in Deutschland sind laut dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus diesem Jahr ambitioniert. Zuvor war dieser Industriezweig für den deutschen Markt eingebrochen: Nach 2017 wurden jährlich deutlich weniger Anlagen errichtet als in den Jahren zuvor. Die schleppende Genehmigungspolitik für neue Standorte sowie der Widerwillen in der Bevölkerung, in der Nähe eines Windrads zu wohnen, sind zwei der Gründe.

Die Folge: Insolvenzen wie 2019 von Senvion und der Abbau von rund 60.000 Industriearbeitsplätzen. Noch immer fahren Windkraftanlagenhersteller wie Siemens-Gamesa und Vestas drastische Verluste ein. Das dänische Unternehmen rechnet damit, dass regulatorische Unsicherheiten, schleppende Genehmigungsverfahren – Dennis Rendschmidt, Geschäftsführer des Verbands VDMA Power Systems, nannte kürzlich einen Zeitraum von 24,5 Monaten – sowie Lieferkettenprobleme längst noch nicht überwunden sind.

Auch Transportunternehmen sind auf Kosten sitzen geblieben, haben daraufhin ihr Engagement in diesem Segment zurückgefahren oder mussten aufgeben. Der Windkraftanlagenhersteller Enercon hat seine frühere Werksbahn E.G.O.O. Ende 2020 im Zuge der eigenen strategischen Neuausrichtung an die Bettels-Gruppe verkauft. Alexander Haeckel, Geschäftsführer des Eisenbahnverkehrsunternehmens, geht nicht davon aus, dass Bahnen erneut in großem Stil Windkraftanlagenteile transportieren werden. Mittlerweile seien die meisten Komponenten zu groß für die Schiene. Allenfalls kann er sich eine Korridorlösung vorstellen, ähnlich wie Trassen für Militärtransporte. Allerdings seien auch dann Themen wie Tunnelquerschnitte, Bahnsteighöhen, Oberleitungen, eng beieinander liegende Bahntrassen, die Beschaffenheit der Komponenten, die Verfügbarkeit von Spezialwagen und einige mehr zu bedenken.

Geplanter Ausbau bis 2030

Bis zum Ende des Jahrzehnts soll der Bruttostromverbrauch in Deutschland zu mindestens 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gedeckt werden (2022: 46,2 Prozent). Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Wind- und Solarenergieanlagen dreimal schneller als bisher ausgebaut werden. Der erwartete steigende Stromverbrauch aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung diverser Prozesse ist hier bereits berücksichtigt. Das Ausbauziel für Windenergie auf See steigt bis zum Jahr 2030 auf mindestens 30 Gigawatt.

Immense Investitionen notwendig

Weniger als zehn namhafte Speditionen seien aktuell in Deutschland noch im Windkraftanlagentransport aktiv, schätzt Holger Dechant, Geschäftsführer der in Paderborn beheimateten Universal Transport und Mitglied des Boards von Gruber Logistics, zu dem der ostwestfälische Schwergutspezialist seit Ende 2022 gehört. Das finanzielle Risiko für Speditionen ist laut Dechant groß. Das fange bei Investitionen in das erforderliche Equipment an: „Für die zehn Spezialfahrzeuge, die für den Transport einer Anlage erforderlich sind, müssen Sie rund 7,5 Millionen Euro ausgeben – so viel wie für 63 Standard-Lkw. Wir brauchen daher Verlässlichkeit sowohl von der Politik als auch von den Verladern, um dieses Finanzierungsrisiko eingehen zu können.“ Hinzu käme, dass die Zinsen stetig stiegen und die Kosten für Fahrzeuge und Personal explodiert seien. Universal Transport verfügt aktuell über mehrere Fahrzeug- und Mitarbeiterkolonnen, die Windkraftanlagentransporte durchführen können.

Die Zahl der erteilten Genehmigungen für Windkraftanlagen steigt indes wieder. Allerdings weist der Bundesverband Windenergie (BWE) darauf hin, dass sich diese Genehmigungen aktuell auf Anträge bezögen, die bereits in den vergangenen Jahren gestellt wurden. Entlastung kann Repowering – der Ersatz von Windenergieanlagen, die ihr Lebensende erreicht haben, durch moderne Turbinen – durch einfachere Genehmigungsverfahren bieten. So könnte die Effizienz der Stromerzeugung bei geringeren Kosten und weniger Widerstand in der Bevölkerung zügig gesteigert werden. Dabei müsste sich die Zahl der installierten Anlagen nicht einmal nennenswert erhöhen, da die Leistung an vielen Standorten vervierfacht werden könnte, so der BWE.

Flaschenhals Genehmigung

Doch auch diese Projekte kommen nicht im notwendigen Maß voran. Weiterhin sind die in der Branche allseits bekannten langwierigen Transportgenehmigungsprozesse ein Flaschenhals. Zudem verstopfen laut Dechant beispielsweise aus Indien und China importierte Komponenten aufgrund der Genehmigungslage die Häfen.

Der BWE forderte Mitte des Jahres unter anderem: „Noch bevor der Anlagenzubau anzieht, muss die Situation auf der Straße schnell und bundeseinheitlich gelöst werden. Die Binnenschifffahrt wird voraussichtlich erst mittel- bis langfristig größere Anteile des Transports übernehmen können, wenn Zuwege, Häfen, Wasserstraßen und Schleusen ausgebaut sind. Auch hier muss die Lücke zwischen Realität und Zielen schnell geschlossen werden.“

Dem widersprechen Mitglieder des Binnenschifffahrtsverbands BDB. In den Binnenhäfen sei bereits heute der Umschlag von Windkraftanlagen möglich, meist allerdings unter Zuhilfenahme eines mobilen Krans. Für Investitionen in fest installierte Schwergutkräne bedürfe es einer verlässlichen Mengenzusage der Verlader. Die aktuell gängigen Abmessungen etwa der Rotorblätter seien ebenfalls kein Problem. Die technischen Möglichkeiten für den Transport künftig längerer Anlagenteile erörtere die Branche derzeit. Vertreter der Binnenschifffahrt plädieren für ein striktes und von den Behörden umgesetztes Beförderungsgebot für fast alle Sondertransporte auf der Wasserstraße, das mit Abstand die günstigste Lösung sei. Sie rechnen in diesem Fall aber mit dem Widerstand anderer Verkehrsträger.

Verlagern auf Binnenschiff und Bahn

Dechant sieht die Möglichkeit, für Schwergut, das deutlich kleiner dimensioniert ist als Windkraftanlagenteile, eine Kombination der Verkehrsträger Binnenschiff und/oder Bahn und Lkw zu nutzen. Dies würde sofort sowohl die Straßen als auch die Genehmigungsbehörden entlasten und käme so auch dem Ausbau der Windkraft zugute. Sollte am Abgangs- und Empfangsort ein Gleis- oder Wasseranschluss vorhanden sein, könne auch ganz auf den Lkw-Einsatz verzichtet werden.

Andererseits sei dafür auch erforderlich, dass die Verlader mehr auf diese beiden Verkehrsträger setzten. Sie bestimmten häufig, was von den Spediteuren überhaupt geplant werden könne. Zwar koste ökologische Logistik Zeit und Geld, sei aber im Sinne der Allgemeinheit und auch der Nachhaltigkeitsstrategien der Industrie und daher zu stärken. Dechant: „Letztlich müssen sich aber alle Parteien – Verlader, Politik und Logistik – einig sein. An uns wird die Verlagerung auf andere Verkehrsträger nicht scheitern. Wir hängen nicht am Lkw und machen das, was Sinn ergibt und bezahlt wird.“ Er weist auch darauf hin, dass das Argument, Schäden an den Komponenten durch Straßentransporte zu vermeiden, weil die Ware weniger häufig umgeladen werden müsse, nicht zähle. Es habe schon diverse Unfälle gegeben, bei denen ein Lkw einem Rotorblatt auf einem Parkplatz die Flügelspitze abgefahren habe.

Besserung der Transportsituation sollen diverse übergeordnete Gesprächsrunden bringen. Dechant fordert „weniger runde Tische und dafür mehr Handeln“. Bärbel Heidebroek, Geschäftsführerin der Landwind-Gruppe und Präsidentin des BWE, beklagt, dass sich im August 2023 rund 15.000 Genehmigungsanträge bei der Autobahn GmbH stapelten und die Einführung des Tools „GST Autobahn“ in Niedersachsen und Bremen reihenweise zur Ablehnung von Anträgen ohne Begründung geführt habe.

Trotzdem ist sie überzeugt, dass der erforderliche Ausbau der Windenergie nicht scheitern wird. Die Branche kämpfe sich seit 2020 langsam aus eigener Kraft aus dem Tief heraus. Heidebroek weiter: „Jetzt bereitet man sich hier auf den Hochlauf vor, der angesichts der deutlich steigenden Genehmigungen für Windenergieanlagen sicher ab Ende 2024 realistisch ist. Der Kapazitätsaufbau kann gelingen, wenn die Politik dafür sorgt, bürokratische Blockaden abzubauen.“

Bis allerdings der Wunsch von Dechant Realität wird, einfach die Genehmigungsnummer ins Navi einzugeben, direkt die vereinbarte und befahrbare Route angezeigt zu bekommen und losfahren zu können, wird seiner Meinung nach noch einige Zeit vergehen. Zum Gelingen sei wiederum Verlässlichkeit erforderlich, meint Dechant. Etwa in Bezug auf die planmäßige Erledigung von Baustellen, um genehmigte Strecken auch befahren zu können. Oder die rechtzeitig angekündigte und damit kalkulierbare Verschiebung von Transporten durch Kunden. (la)

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