Ein Flugzeug von Air France wird auf dem Vorfeld des Flughafens Nizza betrankt.

Bild: picture alliance / REUTERS | ERIC GAILLARD

Warum die Produktion von SAF nicht vorankommt

06.11.2024

Die Nachfrage nach nachhaltigen Flugkraftstoffen steigt deutlich an. Die Angebotsseite hingegen schwächelt merklich, obwohl es eine gesetzlich garantierte Abnahme gibt. Wie erklärt sich das? Einem Paradoxon auf der Spur.

Ab 2025 müssen Airlines 2 Prozent ihres Treibstoffbedarfs in der EU durch sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAF) decken. Dieser Anteil steigt laut Verordnung (ReFuelEU Aviation) bis 2050 auf 70 Prozent. Die USA setzen bei der Förderung „grünen“ Kerosins auf steuerliche Anreize. Weitere Ini­tiativen dürften folgen.

Gleichzeitig schwächelt die Angebotsseite, und das, obwohl die Abnahme ­garantiert ist. Doch die Dynamik in dem Sektor scheint verflogen, trauriger Höhepunkt Anfang Juli: Shell stoppt den Bau einer riesigen neuen Fabrik für SAF und Biodiesel in Rotterdam – kaum sechs Monate vor Inkrafttreten der Beimischungspflicht in der EU.

Die Lage erscheint paradox: Eigentlich sollte der Markt für Biokraftstoffe boomen, stattdessen herrscht Krisenstimmung. Fakt ist, dass sich die Parameter für Investoren bei SAF massiv verschlechtert haben. Einerseits sind die Baukosten für neue Anlagen im Zuge der Inflation gestiegen. ­Andererseits schwächelt der SAF-Preis: Rund 2.000 US-Dollar/Tonne kostete der Bio-Flugkraftstoff nach Angaben des Analysehauses Rystad Energy vergangenen Monat in Europa. Zu Jahresanfang soll er bei 2.800 Dollar gelegen haben, auf dem Höhepunkt im Vorjahr fast doppelt so hoch.

Die Preise erwecken den Anschein, als wäre der nachhaltige Flugkraftstoff schon im Überfluss vorhanden, dabei steigt die Nachfrage gerade steil an. Gesetzliche Vorgaben werden den Bedarf über die Jahre in die Höhe treiben, ohne dass es dafür gesicherte Kapazitäten gäbe. Die Beratungssparte Strategy& der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC warnt für das Jahr 2030 vor einer erheblichen Fehlmenge bei SAF.

Auf Basis von Berechnungen der Internationalen Energieagentur (IEA) für die weltweite Dekarbonisierung dürfte dann einem geschätzten weltweiten Bedarf von 46 Millionen Tonnen nur ein potenzielles Angebot von 24 Millionen Tonnen gegenüberstehen. „Diese Lücke erscheint sogar eher optimistisch, weil immer mehr geplante Projekte verschoben oder gestoppt werden“, sagt Anna Paulina Went, Senior Associate bei Strategy&.

Für die SAF-Quoten in Europa werde das Angebot höchstens in der Anfangsphase ausreichen – „vorausgesetzt alle Supplier weltweit liefern auch dorthin“, so Went –, mit Anhebung der Quoten werde es enger und enger. Der Logistiker Kühne + Nagel (KN) sieht zwar für 2025 gute Chancen, dass das Angebot ausreicht, hält den Ausblick für 2030 aber ebenfalls für unsicher. „Es ist vor allem schwierig abzuschätzen, ob das Angebot für die verpflichtende Beimischung von E-Fuels ab 2030 ausreicht“, so Fabiano Piccinno, Vice President Sustainability Air Logistics bei KN.

Freiwillige Nachfrage würde Wachstum verstärken

Zu einem Fünftel muss die SAF-Beimischungsquote dann durch synthetische Kraftstoffe gespeist werden, die mittels Elektrolyse gewonnen werden. Bestenfalls würde durch freiwillige Nachfrage nach SAF ein lineares Marktwachstum ermöglicht und die Effekte der sprunghaften Quotenanhebungen in der EU eingeebnet. „Das würde eine kontinuierliche Hochskalierung der Kapazitäten erleichtern“, sagt Piccinno.

Eine Tendenz zu erhöhten freiwilligen SAF-Abnahmen sei sowohl in Europa als auch in den USA zu erkennen, sowohl bei Airlines als auch bei verladenden Kunden. Lufthansa Cargo sieht in neuen Standardprodukten wie dem eigenen „Sustainable Choice“ mit verschiedenen SAF-Nutzungsoptionen einen entscheidenden Hebel, um die Kundennachfrage dafür in Gang zu bringen. „Der Markt für nachhaltige Luftfrachtoptionen entwickelt sich. Das Kundenbewusstsein wächst, und immer mehr Logistiker erweitern ihr Produktangebot dafür“, teilt der Carrier auf Nachfrage mit. Vorübergehend werde ein Teil dieser freiwilligen Nachfrage jedoch in Zweifel gezogen, weil unklar sei, welchen Effekt die bevorstehende SAF-Beimischungspflicht auf die Preise hat.

Wer freiwillig höherwertige grüne Luftfrachtoptionen bucht, um ambitioniertere Net-Zero-Ziele als der Rest der Wirtschaft zu erfüllen, könnte dafür bald mehr bezahlen. Damit die Kapazitäten für SAF in dieser frühen Marktphase ­mitwachsen, hält die Beratung PwC Strategy& staatliche Förderung für nötig.

„Der Markt ist in einer Henne-Ei-Situation, weil das Risikoprofil nicht zur Investitionshöhe und den Ertragsaussichten passt“, unterstreicht PwC-Partner Jan Wille. Heute gehe es um den Bau von Großanlagen mit Kapazitäten von bis zu 1 Million Tonnen. „Das sind ­Investitionen, vergleichbar mit einem Chemiewerk, aber zu einem Risiko wie bei einem Start-up.“

Vertragslaufzeiten zu kurz

Ein Kernproblem sei, dass die Laufzeiten für Treibstoffverträge in der Luftfahrt in aller Regel zu kurz seien, um ein Milliardeninvestment in die SAF-Herstellung – dazu noch nach neuen Technologien – abzusichern. „Für die Banken sind viele Projekte nicht finanzierungswürdig. Dafür wären 15-Jahres-Abnahmeverträge notwendig. Doch keine Airline legt sich mit Preisen und Mengen so lange fest“, sagt Wille. Deshalb müsse die öffentliche Hand einen Anschub leisten und Investoren die nötige Sicherheit geben.

Dafür böten sich Preisstützungsinstrumente für SAF an, die je nach Marktverlauf eine spätere Rückvergütung für den Garantiegeber vorsehen. Grundprinzip: Der Staat sichert einen auskömmlichen SAF-Preis für Hersteller ab, der das Investment und die Rendite abdeckt. Liegt der Marktpreis unter diesem Garantiepreis, zahlt er einen Aufschlag an den Hersteller. Klettert der Marktpreis für SAF über den Garantiepreis, streicht der Staat die Differenz ein.

Das sei im Grunde der gleiche Ansatz wie bei der Einspeisevergütung für grünen Strom, die über lange Jahre lief. „Die Erzeugungskosten sind durch Skaleneffekte gesunken. Mittlerweile nimmt der Bund bei Versteigerungen von Windparks in der Nordsee Geld ein, wo früher Verluste in den Büchern standen.“ Dasselbe sei im SAF-Markt auch möglich, so Wille, „dafür braucht es jetzt eine Initialzündung“. (ol)

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