Der Kick-Off des Projektes HULLS im Oktober 2024 ist gerade erfolgt, nun nimmt das „Hannover-Hildesheim Urban Living Lab for Sustainablity“ Fahrt auf. Als Reallabor und Wissenschaftsraum bringt es Forschung, Lehre und Transfer zusammen. Die geplanten Themen reichen von autonomer Zustellung und vernetzter Mobilität über Gebäude als Energiespeicher bis zu begrünten Fassaden. Der Bereich „Logistik und Mobilität“ bildet eine zentrale Säule. Das Projekt wird vom Land Niedersachsen und der VolkswagenStiftung mit rund 2,8 Millionen Euro gefördert.
Aspekte der Nachhaltigkeit und die Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDG) der United Nations ziehen sich als Leitgedanken durch das Projekt. Anhand des Hannoveraner Stadtbezirkes Döhren-Wülfel sollen bis 2029 unter anderem neue Logistikkonzepte modelliert und pilotiert werden. Die rund 35.000 Einwohner werden dabei partizipativ einbezogen. Ein Quartier aus den 1960ern in Hannover-Seelhorst bildet den Kern des Reallabors. Insbesondere hier werden die relevanten Themen systematisch untersucht und auch baulich umgesetzt. Zudem bildet es den Ausgangspunkt für die Erstellung eines virtuellen Abbildes. Das Projekt HULLS schließt nahtlos an frühere Projekte in Hannover und Hildesheim an.
Stakeholder bringen sich ein
Die ersten Initiativen, die die Urbane Logistik in Hannover mehr in den Fokus rückten, wurden vom damaligen Oberbürgermeister Stefan Schostock und dem Markenvorstand Eckhard Scholz von Volkswagen Nutzfahrzeuge 2015 initiiert. In den Folgejahren wurden innovative Logistikkonzepte in den Forschungsprojekten „USEfUL“ und „Kombinom“ in Stadt und Region Hannover umgesetzt.
Unter der Federführung der Landeshauptstadt Hannover sind 2019 im Stadtteil Linden rund 30 Halteflächen für Lieferverkehre („Logistikpunkte“) eingerichtet worden. Jeder Stakeholder hat hier etwas zur Lösung eingebracht: Die Bewohner haben auf einzelne Parkplätze verzichtet, die Paketdienste stellen lokal emissionsfrei zu und die Stadt hat die Flächen mit weißer Farbe und Beschilderung versehen. Die Bilanz nach fünf Jahren ist überaus positiv, der Ansatz soll nun auch in anderen Stadtteilen Anwendung finden.
Weitere zukunftsweisende Logistikkonzepte wurden 2018 im „Kreathon Urbane Logistik“ entwickelt und dann im „Aufhof“, dem Hannoveraner Stadtexperiment 2023 bis 2024, unter Beteiligung der Öffentlichkeit ausgestaltet. Die gemeinsame Arbeitsweise soll auch in HULLS angewendet werden: Die Bürger werden einbezogen und können gemeinsam mit Fachexperten und unter Verwendung von Methoden wie Lean Start-Up, Business Canvas bis zu Lego ihre Ideen in konkrete Ansätze überführen.
In Hildesheim wurden im Forschungsprojekt „Learning to Optimize“ Techniken des Operations Research und des Maschinellen Lernens eingesetzt, um dynamische Routen für Fahrzeugflotten im urbanen und ländlichen Bereich zu ermitteln. Besonders Anforderungen aus der Speditions- und Logistikbranche wurden berücksichtigt.
Homeoffice verändert Logistik, Mobilität und Energie
Das Projekt HULLS hört nicht an der Bordsteinkante oder nach der Zustellung von Waren auf. Weitere Bereiche sind Mobilität, Gebäude, Öffentliche Verwaltung und New Work. Das Projekt möchte singuläre Vorarbeiten zusammenbringen und weiterentwickeln. Digitale Modelle zu unterschiedlichen Zustellkonzepten von Paketen und Lebensmitteln sind vorhanden. Auch Ansätze zur Verbesserung der Mobilität und des Energiemanagements liegen vor. Corona hat gezeigt, dass New Work und Homeoffice das herkömmliche Arbeits-, Einkaufsund Freizeitverhalten auf den Kopf stellen. Nachhaltige Mobilität, Elektroautos und Smart-Home Technologien führen zu starken Unterschieden zwischen Energiebedarf und Energieverbrauch.
Das Projekt begleitet innerhalb der kommenden fünf Jahre den Umbau eines Bestandquartiers aus den 1960er Jahren hin zu einem CO2-neutralen Quartier. Auf viele wesentliche Fragen, die die Zukunft betreffen, gibt es heute keine verlässlichen Antworten. Daher sind Szenarien und Prognosen durchzuführen, um zum Beispiel die Anzahl an Elektrofahrzeugen in 5 bis 10 Jahren für das Zielgebiet zu ermitteln. Außerdem ist zu eruieren, wo Mitarbeitende typischerweise anzutreffen sind: Im Büro oder zu Hause? Wo wird tagsüber Heizenergie benötigt und wo der Strom zum Aufladen eines Fahrzeuges? Wird der Einkauf selbst erledigt oder wird geliefert? Die Antworten sind nicht nur für die Entwicklung des Quartiers relevant, sondern ebenso für die Logistik- und Mobilitätsdienstleister, die Handelsunternehmen und den Energieversorger. Dementsprechend hoch ist der Bedarf an großen Datenmengen, Prognoseverfahren und Simulationsmodellen.
Es werden stets wissenschaftlich fundierte, anwendungsorientierte und nachhaltige Lösungen für eine Umsetzung von Maßnahmen gesucht. Aufbauend auf CO2-neutralen Transporten und einer CO2-neutralen Wärmegewinnung, über Gebäude als Wärme- und damit Energiespeicher geht es bis hin zu Fragen einer klimaresilienten Bauweise. Begrünte Fassaden können hier sowohl bei der Wärme- und Kälteerzeugung helfen als auch als Speicher und Generatoren von Biomasse fungieren. Gerade die Klima- und Energieoptimierung von Bestandsgebäuden zahlt hier auf eine Reduzierung des CO2-Fußabdrucks ein.
HULLS
Projektkonsortium Ein Forschungsteam aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Hochschule Hannover, der Universität Hildesheim und der HAWK Hildesheim/Holzminden/Göttingen beschäftigt sich seit Oktober 2024 mit der Konzeption und Implementierung eines Reallabors (Urban Living Lab), in dem gesamtgesellschaftliche Herausforderungen aus den Bereichen Mobilität, Logistik, Quartierenergiemanagement, New Work und Verwaltung erforscht werden.
Fassadenbegrünung ist aber nicht nur für Wohnquartiere ein wichtiges Thema, um die Biodiversität zu erhöhen, die Luftqualität zu verbessern und um Temperaturspitzen im Sommer zu senken. Sie kann gerade für Bautypologien der Logistikbranche eine nachhaltige Chance bieten, da sie durch stringente Geometrien, klare Rasterungen und geringeren Öffnungen gekennzeichnet ist.
Im Bereich Mobilität ist Hannover mit den Shuttles von MOIA (Volkswagen) heute schon eine Pilotstadt mit einem flächendeckenden Angebot an On-Demand-Verkehren. Der Service von Sprinti ergänzt dieses Angebot in die Fläche und die Region. Modelle, die den Service-Level aus Sicht der Bürger*innen oder der Stadt anbieterübergreifend beziffern, fehlen noch. Ein kurzer Test 2022 mit einem autonomen Shuttle oder der Test eines autonomen Busses ab 2025 soll helfen, Ideen für neue Konzepte zu entwickeln. Aber auch sie liefern keine übergreifenden Aussagen zum Bedarf oder zum Service-Level. Das Ramp-Up autonomer Systeme in der Mobilität (MaaS, Mobility as a Service) und im Transport (TaaS, Transportation as a Service) ab 2025 wird in den kommenden Jahren individuellere Lösungen für den Verkehr bieten. Die Erprobung wird vor allem in dichtbesiedelten Flächen, also Städten, erfolgen. Auch hier bringt HULLS kürzlich entwickelte Modelle aus dem Projekt Kombinom mit ein, um Auswirkungen für Stadtbezirke im Detail simulieren zu können.
Das Ziel wird es sein, Wege und Übergänge, die von Menschen, Fahrzeugen und Waren gleichermaßen genutzt werden, als lebenswerte grüne Pufferräume zu begreifen, die zu außen- oder innenliegenden Aufenthaltsräumen führen. Die Umsetzung der Anforderungen an den relativ knappen Raum für Logistik, Mobilität und New Work wird nur durch Raumverhandlungen gelingen. Zudem muss das Zusammenspiel zwischen Bürgern, Wirtschaft, Energiemanagement und Öffentlicher Verwaltung analysiert werden. All dies wird im Projekt HULLS erforscht, dokumentiert und für den Transfer in die Region bereitgestellt werden.
Hier mehr zum Pilotprojekt der Initiative Urbane Logistik Hannover in Linden-Nord lesen
Hier weitere Infos zu Kreathon Urbane Logistik
Christoph von Viebahn ist Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Hannover (das hub). Julia Rieck ist Dekanin und Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Stiftung Universität Hildesheim. Till Boettger ist Architekt und Professor an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen