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Dekarbonisierung, Resilienz und Konnektivität – 3 entscheidende Faktoren für die Güterverkehrspolitik

28.11.2024

In einer neuen Studie, die vom International Transport Forum in Auftrag gegeben wurde, untersuchen Prof. McKinnon und seine Co-Autoren wie die Schlüsselattribute Konnektivität, Dekarbonisierung und Resilienz am besten ausbalanciert werden sollten, um den Güterverkehrssektor in eine nachhaltige Zukunft zu führen.

Drei Ziele stehen derzeit im Fokus verkehrspolitischer Entscheidungen: die Verringerung der CO2-Emissionen, die Stärkung der Resilienz und die Steigerung der Konnektivität. So ist die Dekarbonisierung des Güterverkehrs, der etwa 10 Prozent der CO2-Emissionen weltweit verursacht, integraler Bestandteil staatlicher Klimaschutzpläne. Gleichzeitig haben die Lieferkettenausfälle während der Coronapandemie deutlich gemacht: Die Politik muss stärker eingreifen, um die Transportsysteme im Güterverkehr robuster zu gestalten. Und die Steigerung der Konnektivität gilt als probates Mittel, um die ökonomische Effizienz zu verbessern und den Handel anzukurbeln.

Dahingehende politische Vorstöße werden jedoch meist isoliert formuliert und analysiert, wobei man ihre wechselseitigen Abhängigkeiten gern vernachlässigt. In einer Studie für das International Transport Forum, die von der Bundesregierung mitfinanziert wurde, gehe ich diesen Abhängigkeiten auf den Grund und untersuche ihre Bedeutung für die Gestaltung politischer Maßnahmen.

Im Rahmen der Analyse konnte ich insgesamt 19 Attribute identifizieren, die für Dekarbonisierung, Resilienz und Konnektivität eine entscheidende Rolle spielen. Zwischen diesen Attributen sind vielfältige Abhängigkeiten möglich – 35 davon würde ich als besonders wichtig einstufen. Wie im Diagramm zu sehen, lassen sie sich drei Kategorien zuordnen, die in unterschiedlichen Farben dargestellt sind: synergetische Beziehungen, negative Abhängigkeiten und hybride Beziehungen. Letztere können, je nach Situation vor Ort, entweder förderlich oder hinderlich wirken.

Die gute Nachricht: Zwei Drittel dieser Beziehungen sind synergetisch. Das legt nahe, dass die meisten Bestrebungen zur Steigerung der Konnektivität und Resilienz und zur Verringerung der Emissionen einander beflügeln. Nur vier Beziehungen (11 Prozent) dürften grundsätzlich mit einem Zielkonflikt verbunden sein, während acht (23 Prozent) entweder für Synergie- oder für Negativeffekte sorgen können. Was diese hybriden Beziehungen angeht, haben Regierungen jedoch oft die Möglichkeit, Maßnahmen zu treffen, mit denen sie potenziell schädliche Effekte minimieren können.

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Im Folgenden drei Beispiele für mögliche Abhängigkeiten zwischen Dekarbonisierungs- und Resilienzattributen:

Abhängigkeitsverhältnis 26: Verkehrsverlagerung und Intermodalität

Setzt ein Logistiksystem verstärkt auf Schiene und Wasserwege, verringert das im Allgemeinen die CO2-Emissionen und auch die Wahrscheinlichkeit von Störungen im Betriebsablauf sollte theoretisch abnehmen, da sich das Risiko auf unterschiedliche Verkehrsnetze verteilt. Allerdings hängt der Grad der Risikominderung von der relativen Störanfälligkeit beziehungsweise Resilienz der kohlenstoffärmeren Transportmethoden ab.

Abhängigkeitsverhältnis 24: Güterverkehrsnachfrage und Sourcing

Die Verkürzung der Lieferketten wird oft als Maßnahme zur Risikominimierung und zur Verringerung des Güterverkehrsaufkommens propagiert, wobei durch letzteres die mit Transporten verbundenen CO2-Emissionen sinken. In welchem konkreten Ausmaß eine Rückverlagerung der Produktionsstätten aus Schwellenländern in die Industriestaaten oder ins nahestehende Ausland die Resilienz der Lieferketten stärken würde, wird jedoch heftig diskutiert. Viele Lieferkettenrisiken sind landes- oder lieferantenspezifisch und hängen keineswegs nur mit der Entfernung zusammen, die ein Produkt zurücklegen muss. Zudem können die mit einem lokaleren Sourcing verbundenen CO2-Einsparungen gering bis nichtexistent sein. Das gilt insbesondere dann, wenn man die durch die gehandelten Produkte erzeugten Emissionen auf Lebenszyklusbasis betrachtet. Es kann durchaus sinnvoll sein, Güter von kohlenstoffärmeren Produktionsstandorten über weite Entfernungen zu transportieren, um ihre Lebenszyklusemissionen zu verringern.

Abhängigkeitsverhältnis 29: Fahrzeugauslastung und Disposition

Die Just-in-time-Beschaffung (JIT) wurde vielfach kritisiert, da sie Lieferketten anfällig macht und zur Unterauslastung von Güterfahrzeugen führt. Eine weniger Druck erzeugende Beschaffungspolitik wurde als Maßnahme zur Risikominimierung und Dekarbonisierung empfohlen und scheint im Einklang mit Resilienz- wie Umweltzielen zu stehen. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch: Der mögliche Beitrag zu beiden Zielen ist fraglich. Das liegt in erster Linie daran, dass JIT viel mehr ist als ein Liefermechanismus – dahinter steht eine ganze Geschäftsphilosophie. Beschränkt man die Analyse auf das System des Güterverkehrs, sieht es tatsächlich so aus, als würden sowohl die Umwelt als auch die Resilienz von einer entspannteren Lieferpolitik profitieren. Betrachtet man das Ganze allerdings auf Ebene des Logistiksystems oder der Lieferketten, könnte das Ergebnis schon anders ausfallen. Diese Erkenntnis unterstreicht, wie komplex die Modellierung von Interaktionen zwischen verschiedenen Zielen der Güterverkehrspolitik tatsächlich ist.

Lesen Sie hier die gesamte Studie

Bildergalerie

  • Karte der Wechselwirkungen zwischen Konnektivität des Güterverkehrs, Dekarbonisierung und Widerstandsfähigkeit

    Karte der Wechselwirkungen zwischen Konnektivität des Güterverkehrs, Dekarbonisierung und Widerstandsfähigkeit

    Bild: ITF-Studie 2024/OECD

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