Für Grieshaber Logistik aus dem baden-württembergischen Weingarten hat sich 2020 rückblickend als Schicksalsjahr erwiesen. Im Frühjahr verstarb der kinderlose Inhaber Heinrich Grieshaber, der den Fortbestand des Unternehmens durch die Gründung einer Stiftung abgesichert hatte. Damals meldete sich mit dem in New York börsennotierten Spezialchemieunternehmen Orion Engineered Carbons, das Pigmentruße für die Chipproduktion herstellt, auch der erste Kunde des mittelständischen Logistikdienstleisters, der einen kennzahlenbasierten Nachhaltigkeitsbericht einforderte.
„Für uns war die Berichterstattung bis dahin noch komplettes Neuland, erst recht als strategisches Ziel – uns hatte höchstens einmal ein Kunde nach den Euroklassen unserer Fahrzeuge gefragt“, berichtet der für den Bereich Logistik verantwortliche Grieshaber-Geschäftsführer Gregor Schnell. Darüber hinaus hatte der Mittelständler lediglich seine Wasser-, Kraftstoff- und Materialverbräuche regelmäßig registriert, aber kein gezieltes Umwelt- und Ressourcenmanagement betrieben. Schnell steht seit 2018 gemeinsam mit Finanzgeschäftsführer Roland Futterer an der Spitze des mittelständischen Dienstleisters, im Herbst 2022 ergänzte Ralf Heersma-Plattner als Chef des Transportgeschäfts die Unternehmensleitung.
Seitdem hat sich das Verhältnis des in der ländlich geprägten Region Bodensee-Oberschwaben beheimateten Dienstleisters zum Nachhaltigkeitsreporting grundlegend verändert. „Als wir damit begonnen haben, uns mit der europäischen Nachhaltigkeitsrichtline CSRD zu beschäftigen, hatten wir noch das Gefühl, dass es sich dabei um einen Rucksack handelt, die x-te unnötige Zusatzaufgabe“, räumt Speditions-Geschäftsführer Heersma-Plattner ein. Dieses Bild hat sich längst verändert: „Auch wenn viele in Deutschland vom Bürokratiewahnsinn sprechen, ist die CSRD nicht sinnlos“, sagt er energisch. Geschäftsführerkollege Schnell fügt hinzu: „Da steckt ganz viel dahinter, was gutes Management ausmacht, das gefällt mir.“
Roter Faden für das Management
Der rote Faden sei sichtbar geworden, der das Regelwerk zu einem Managementinstrument für die Unternehmenssteuerung mache. „Wir haben die Bedeutung der CSRD für unser Unternehmen erkannt und festgestellt, wie sie unsere Produktivität steigern kann“, berichtet Heersma-Plattner. Sie lege einerseits den Fokus auf Umweltschutz und Klimaschutz und wirke so gleichzeitig wie eine Art emotionaler Arbeitsschutz. „Ressourcenschonendes Wirtschaften gibt uns eine langfristige Perspektive, die unsere Mitarbeiter zufrieden macht und ihre Bindung ans Unternehmen vergrößert“, so der für den Fuhrpark verantwortliche Grieshaber-Chef weiter.
Für das mittelständische Unternehmen, das sich nach dem Tod des Inhabers 2020 neu aufstellen musste, bedeutet diese Erkenntnis einen Meilenstein auf dem Weg in seine langfristige Zukunft. „Seit wir die Unternehmensführung nachhaltig ausgerichtet haben, sind für viele von uns die berufliche und die private Perspektive viel enger zusammengerückt“, erzählt Schnell. Auch den Kunden liege die neue Herangehensweise näher; es sei einfacher geworden, einen gemeinsamen Nenner zu finden. „Was dadurch entstanden ist, bietet uns ein sicheres Fundament für die Zukunft und sichert unser Überleben auch in schwierigen Zeiten, die kommen werden“, betont er.
Grieshaber Logistik
1951 gegründet
Gesellschafter: Grieshaber Unternehmensstiftung, Heinrich und Gabriele Grieshaber Stiftung
820 Beschäftigte
Geschäftsfelder: nationale und internationale Transporte, multimodale und Projekttransporte, Kontraktlogistik, temperaturgeführte Logistik
Kundenbranchen: Automobil, Lebensmittel, Papier, Pharma
9 Standorte: Weingarten (Hauptsitz), Düsseldorf, Kerpen, Köln, Krško (Slowenien), Mettmann, Pulheim, Ravensburg, Singen
Ergebnis 2022 (laut „Bundesanzeiger“): Umsatz: 116,7 Millionen Euro, Jahresüberschuss: 3,5 Millionen Euro, Umsatzrendite: 3 Prozent
Diese Errungenschaften hat sich das Unternehmen mit einem konsequenten Vorgehen erarbeitet, das die Prinzipien der CSRD analog zu einem Managementsystem fest im Tagesgeschäft etabliert. „Chemie, Lebensmittel, Pharma – all unsere Kundenbranchen haben eigene Normen, die beispielsweise Qualität, Arbeitsschutz und IT-Sicherheit absichern“, verdeutlicht Qualitätsmanager Arnold Zimmermann die gemeinsame Herangehensweise. „Mit der CSRD kommt jetzt ein neuer Überbau dazu, der die Teilbereiche zusammenfasst und einen gesunden politischen und regulatorischen Druck implementiert“, lobt er das Potenzial für Synergien.
Entscheidend für die Wirksamkeit dieser Prinzipien sei allerdings die ganzheitliche Herangehensweise, die einen Kulturwandel weg von hierarchischem Silodenken erfordere. Auf diesem Weg hat sich der Dienstleister durch eine Organisationsberatung begleiten lassen, die gemeinsame Workshops über alle Hierarchieebenen hinweg organisierte. Daran beteiligt waren selbst Fahrer von Transportunternehmen, mit denen die Spedition fest zusammenarbeitet. „Mit ihrem Fahrverhalten können sie entscheidend dazu beitragen, unseren Treibhausgasausstoß zu verringern, die durch externe Partner erzeugten Scope-3-Emissionen“, begründet Speditionschef Heersma-Plattner.
Kulturwandel beginnt
Es sei zwar selbstverständlich, dass eine ressourcenschonende Steuerung auch den wirtschaftlichen Erfolg vergrößere; diese Erkenntnis in allen Arbeitsbereichen und bei allen Aufgaben umzusetzen bleibe aber weiterhin eine große Herausforderung. „Das fängt zwar bei der energiesparenden Fahrweise im Lkw an, muss aber bis zur mittelfristigen Fuhrparkstrategie reichen“, mahnt Zimmermann. Dem Qualitätsmanager ist nicht entgangen, wie viel Mut die klimafreundliche Transformation der eigenen Fahrzeugflotte erfordert.
„Natürlich dürfen wir unsere 140 ziehenden Einheiten nicht zu schnell und überstürzt austauschen“, bekräftigt Geschäftsführer Heersma-Plattner. Dafür seien einfach noch zu viele Rahmenbedingungen unsicher und instabil. „Wir liegen so weit von einer Autobahn entfernt, wie es in Deutschland überhaupt vorstellbar erscheint“, gibt er zu bedenken. Deshalb hat er sich um die Förderung einer Wasserstofftankstelle bemüht. Zwischenzeitlich habe aber die Ampelregierung alle Weichen in Richtung batterieelektrischer Fahrzeuge gestellt, für die in der Allgäu-Bodensee-Region noch beinahe gar keine Ladeinfrastruktur vorhanden sei; auch das Stromnetz eigne sich bisher noch nicht für eine rein elektrobasierte Fuhrparkstrategie. „Wir können uns finanziell keine Fehler bei der Technologieauswahl leisten“, betont er die Schwierigkeit der Aufgabe.
Aus dieser Not hat der Dienstleister jedoch eine Tugend gemacht: Sämtliche Investitionsentscheidungen müssen sich an den Kriterien ökologischer Nachhaltigkeit messen lassen. „Gibt es eine ökologischere Alternative, die wirtschaftlich ist?“, lautet die zentrale Leitfrage. Bis zum Sommer will Grieshaber seine Fuhrparkstrategie festlegen, die 2030 das Ziel einer zu 50 Prozent mit alternativen Antrieben ausgestatteten Flotte verwirklichen soll.
Auch Banken, Politik und Verwaltung schätzen dieses Vorgehen. „Für unser neues Logistiklager haben wir auch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach vorgesehen – das hat uns nicht nur die Erlaubnis für die Gebäudeansiedlung ermöglicht, sondern auch die Finanzierung zu günstigen Konditionen gesichert“, verrät Logistik-Geschäftsführer Schnell. Mit dem nachhaltigen Konzept konnte er auch seine Ankerkunden von einem langfristigen Nutzungsvertrag überzeugen, was die Verhandlungen mit der Kommune erheblich erleichtert habe. „So konnten wir zum Vorbild für unsere Region werden, haben unsere Kunden mit unserer Nachhaltigkeitskompetenz überrascht und sind durch unsere Erfahrungen für sie zum wichtigen Ratgeber geworden“, resümiert Schnell zufrieden.
Mitarbeit: Frederic Witt