Die CCS-Technologie kann auch ein neues Geschäftsfeld für Häfen in der EU werden.

Bild: Porthos CO₂ Transport and Storage

Vor Rotterdam wird CO₂ in der Erde eingesperrt

18.09.2024

Die CCS-Technologie soll Unternehmen mit schwer vermeidbaren Treibhausgasemissionen helfen, Klimaschutzziele zu erreichen. Sie könnte auch Hafenbetrieben und Transportunternehmen neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen.

Die Pipelines, durch die ab 2026 Kohlendioxid aus dem Hafen Rotterdam in ein leeres Gasfeld vor der niederländischen Küste geleitet werden soll, werden gerade erst verlegt – am Montag stießen die Projektträger offiziell auf den Baubeginn an – die Kapazität des Gasfelds ist aber schon ausgebucht. Die vier Unternehmen Shell, Exxon Mobile, Air Liquide und Air Products werden die Lagerstätte über 15 Jahre hinweg mit insgesamt 37 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausfüllen, das in ihren Anlagen im Rotterdamer Hafen – hauptsächlich in Raffinerien – anfällt.

Das Projekt „Porthos“ zur Abscheidung und unterirdischen Speicherung von CO₂ (CCS – Carbon Capture and Storage) ist bisher das größte dieser Art in der EU. Diese fördert es auch mit 102 Millionen Euro aus der Connecting Europe Facility (CEF). Aber es gilt nur als ein erster Schritt. Als Nächstes soll „Aramis“ folgen, ein etwa zehnmal größeres Projekt, bei dem das CO₂ in einem leeren Gasfeld noch weiter draußen in der Nordsee eingelagert werden soll. Die gerade entstehenden Pipelines im Rotterdamer Hafen könnten auch dafür verwendet werden, heißt es. Sie seien auf die höhere Kapazität ausgelegt. Der Energiekonzern Gasunie, einer der Projektträger, investiert nach Angaben einer Sprecherin 1,3 Milliarden Euro in die Infrastruktur. Die potenziellen Speicherkapazitäten in der Nordseeregion beziffert das Unternehmen auf über 1,6 Gigatonnen.

CCS soll Wettbewerbsvorteile bringen

Die CCS-Technologie „ist unverzichtbar, wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen“, sagte Sophie Hermans (VVD), die neue niederländische Ministerin für Klima und grünes Wachstum, beim offiziellen Baubeginn. Alleine auf grünen Wasserstoff und Elektrifizierung zu setzen, sei „nicht machbar und sehr teuer“. CCS sei dagegen „relativ billig“. Dadurch verbessere sich die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen. „Firmen, die auf CCS umstellen, werden bei uns bleiben“, sagte Hermans.

Die Technologie ist durchaus umstritten und wird von Anwohnern und manchen Umweltorganisationen kritisch gesehen. Für die Unternehmen ist CCS noch ein Zuschussgeschäft. Die Bilanz könnte sich aber durch strengere Klimaschutzauflagen und höhere CO₂-Preise ändern. Die EU will CCS zum Teil ihrer Klimaschutzstrategie machen, hat bereits einen Rechtsrahmen für die Speicherung geschaffen und plant einen solchen auch für den Transport von Kohlendioxid, sei es per Pipeline, Schiff, Zug oder Lkw.

Rotterdam will CO2-Hub werden

Auch Boudewijn Siemons, CEO des Rotterdamer Hafens, setzt große Hoffnungen auf die Technologie. Das Hafengeschäft basiere auf drei Säulen, sagte er: Logistik, Energie und produzierendes Gewerbe im Hafen. Letzteres müsse die Chance bekommen, „sich neu zu erfinden“, etwa durch CCS. Die „Häfen der Zukunft“ müssten „grüne Energie“ umschlagen, etwa Wasserstoff und CO₂. Letzteres sei auch zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe nötig. „CO₂ wird zur Commodity“, sagte Siemons.

Dessen Transport könne ebenfalls lukrativ sein. Im Rahmen des Porthos-Projekts soll in Rotterdam ein Terminal gebaut werden, in dem Kohlendioxid verflüssigt oder wieder gasförmig gemacht werden kann, und von dem aus es dann verschifft werden kann.

Es gebe Projekte in Europa zum nicht-leitungsgebundenen Transport von CO₂ – etwa per Schiff nach Norwegen. Auf diese Weise könnten auch Unternehmen CCS nutzen, für die sich die Anbindung an eine Pipeline nicht lohne. „Der Hafen Rotterdam will zum CO₂-Hub werden“, sagte Siemons zur DVZ.

Asien treibt technische Entwicklung voran

Die Entwicklung der Technologie für CO₂-Abscheidung und -speicherung wird laut einer Analyse der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) derzeit noch von den USA und Kanada dominiert. In jüngerer Zeit seien es aber vor allem Akteure im Großraum Asien – von Saudi-Arabien bis Japan –, die diese Technologien vorantreiben. Nach Ansicht von SWP handelt es sich bei CCS um eine mögliche Schlüsseltechnologie für dieses Jahrhundert, Technologieführerschaft könne sich daher ökonomisch wie geostrategisch auszahlen.

CCS ermöglicht unter anderem, aus konventionellen Quellen wie Gas hergestellten Wasserstoff zu dekarbonisieren („blauer“ Wasserstoff). Ehemalige Gas- und Kohlefelder lassen sich als Lagerstätten für CO₂ nutzen. Ein wesentliches Ziel der Förde­rung von CCS-Technologien ist es laut SWP, hei­mische Industrie auch in Zeiten strikterer Klimapolitik zu erhalten. „Da Industrieführer­schaft eine der Kerngrößen der (neuen) Ener­gie-Geopolitik ist, ist nicht nur die Bereit­stellung von CCS, sondern auch deren Ein­satz geopolitisch relevant“, schreiben die Autoren.

Aus Sicht Euro­pas sei CCS ein zweischnei­diges Schwert. Zwar eröffne es Möglichkeiten, Industrie in Europa zu halten. Wenn Staaten mit entwickelter Technologie und günstigen CO₂-Speichermöglichkeiten – etwa Indonesien, Singapur, Malaysia, Indien, Australien sowie die Golfstaaten - bessere Standortbedin­gungen bieten, könne das europäische Unterneh­men auch zum Abwandern verleiten.

Diese Gefahr verringert sich laut SWP, wenn ein internationaler Transportmarkt für abgeschiedenes Kohlendioxid entsteht. Bei existierenden sowie geplanten Projekten werde „aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, Sicherheit und Umwelt­verträglichkeit“ vor allem auf den Transport durch Pipelines gesetzt. „Je geringer allerdings die zu transportierenden Volumina und je größer die Distanz, desto eher lohnt es sich, Schiffe statt Unterseepipelines zu nutzen“, heißt es in der Analyse. Technisch sei der maritime CO₂-Transport bereits machbar und durch eine Änderung des internationalen Seerechts von 2019 gebe es einen Rechtsrahmen dafür, auch wenn die getroffenen Vereinbarungen noch nicht vollständig rati­fiziert seien.

Berlin ignoriert CO₂-Transporte per Lkw und Schiene

Die Bundesregierung konzentriert sich bei Transporten von Kohlendioxid vor allem auf den Ausbau eines Pipelinesystems. Vertreter der Bahnbranche halten das für zu kurz gedacht. CO₂-Transporte fänden jetzt schon statt und hätten ein Potenzial von bis zu 9 Millionen Tonnen jährlich ab etwa 2035. Der Aufbau eines Pipelinenetzes dauere zudem viel zu lange. Das ist für die Politik offenbar wenig überzeugend. Denn im Entwurf des Gesetzes über Speicherung und Transport von Kohlendioxid steht: „Der Transport der anfallenden Kohlendioxidmengen allein per LKW, Schiff oder Schiene ist unwirtschaftlich und mit erheblichem zusätzlichem Verkehrsaufkommen verbunden.“

Als Begründung führt das federführende Bundeswirtschaftsministerium einen Vergleich der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften an. Würden 1 Million Tonnen Kohlendioxid statt per Pipeline mit Lkw transportiert, bedürfe es etwa 50.000 Tankwagen. Alternativ würden etwa 1.000 Güterzüge oder 250 Binnenschiffe benötigt.

Der Bundesrat äußerte sich in einer Stellungnahme vom 5. Juli 2024 ähnlich: „Neben der Bereitstellung von CO₂-Speichern bedarf es auch des Aufbaus einer Transportinfrastruktur für Kohlendioxid. Der Aufbau einer CO₂-Leitungsinfrastruktur erscheint hier zielführend, denn ein Transport per Lkw, Schiff oder auf der Schiene ist unwirtschaftlich und würde zusätzlichen Verkehr verursachen.“

Heike van Hoorn, Geschäftsführerin des Deutschen Verkehrsforums (DVF), hatte sich schon im Mai 2024 kritisch geäußert, als die Eckpunkte der Carbon-Management-Strategie und der Änderungsentwurf des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes vorlagen. Es sei gut, dass die Bundesregierung das Thema Carbon Management angehe. „Leider wird der notwendige Transport von CO₂ per Schiene und Schiff in den Eckpunkten gänzlich ausgeblendet. Dafür müssen die Infrastruktur, Transportmittel und Standards vorbereitet werden. Wir bitten die Bundesregierung, diese Maßnahmen zu ergänzen und ohne Verzug in Angriff zu nehmen. Nur so kann das Carbon Management überhaupt in absehbarer Zeit anlaufen“, sagte van Hoorn.

Wiener Unternehmen entwickelt spezielle Waggons

GATX Rail Europe, einen Güterwagenvermieter mit Hauptsitz in Wien, entwickelt spezielle Waggons für den europaweiten Transport von Kohlendioxid. Das Treibhausgas werde bei etwa minus 35 Grad eingefüllt. Diese Temperatur müsse über einen Zeitraum von mehreren Tagen, je nach logistischer Umsetzungsmöglichkeit, gehalten werden. 2027 könnten laut Unternehmen die ersten Wagen auf der Schiene fahren. „Wir sprechen mit potenziellen Kunden aus der Mineralöl- und Zementindustrie und Energieproduzenten, um das Kundenpotenzial zu ergründen“, erklärt Jörg Nowaczyk, CCO von GATX Rail Europe.

Die Bundesregierung hat ihre Eckpunkte zu einer Carbon Management Strategie am 6. August 2024 allerdings unverändert verabschiedet.

Das SWP empfiehlt der EU, die Entwicklung globaler Märkte und Regulierung durch „pragmatische Klimaaußenpolitik“ mitzubestimmen und die Entwicklung der Technologie nicht nur anderen Staaten zu überlassen. Wichtig für das energieintensive CCS sei auch, die Energiepreise im Rahmen zu halten, sonst müsse die Abscheidetechnologie subventioniert werden.

Mitarbeit: Susanne Landwehr

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  • Während im Rotterdamer Hafen die Bagger rollen, montierten Politikerinnen und die Träger des Porthos-Projekts symbolisch Teile der Pipeline für den CO₂-Transport.

    Während im Rotterdamer Hafen die Bagger rollen, montierten Politikerinnen und die Träger des Porthos-Projekts symbolisch Teile der Pipeline für den CO₂-Transport.

    Bild: Porthos CO₂ Transport and Storage

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