„Was mich im neuen Job am meisten überrascht hat?“ Achim Martinka antwortet prompt: „Vielleicht weniger überrascht, aber vielmehr enttäuscht hat mich, dass die globale Luftfracht Ende 2024 beim Thema Nachhaltigkeit nicht längst viel weiter ist.“ Das gelte für Verlader ebenso wie für Airlines, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen.
Es ist diese Trägheit der Luftfracht, die ihn immer mehr zu der Überzeugung bringt, dass in der Branche etwas sehr Grundsätzliches gerade falsch läuft. Abfinden will er sich damit nicht, denn weitergehen könne es so auf keinen Fall. „Wir müssen da was ändern“, sagt Martinka, „und es wird vor allem die Zusammenarbeit mit den Airlines betreffen, mit denen wir in einem guten und offenen Dialog sind.“ Wenn er „wir“ sagt, dann meint er damit DSV, die mit der im kommenden Jahr vollzogenen Übernahme von DB Schenker die absehbar weltweit mächtigste Luftfrachtspedition sein wird.
Die Riesin meldet sich zu Wort
Anders als auf dem globalen Markt, auf dem DSV 2023 mit einer Tonnage von 1,3 Millionen Tonnen deutlich vor DB Schenker (1,1 Millionen Tonnen) lag, ist Schenker auf dem deutschen Markt nach Aufkommen fast dreimal größer: Laut Daten des Abrechnungssystems IATA-CASS kam Schenker hierzulande auf rund 155.000 Tonnen Fracht (Marktanteil: 13,2 Prozent); die als DSV Air & Sea Germany firmierende Konkurrentin erreichte rund 55.800 Tonnen Fracht (Marktanteil: 4,75 Prozent).
Es scheint, als finde die in der Vergangenheit nicht zu öffentlichen Äußerungen neigende Riesin aus Dänemark im Zuge des anstehenden Machtzuwachses gerade zu einem neuen Selbstbewusstsein. Martinka dürfte einen großen Anteil an dieser Entwicklung haben. Und es hat eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet er, der ehemalige Lufthansa-Cargo-Manager mit einer Carrier-Expertise von fast 24 Jahren, den im globalen Luftfrachtmarkt aktiven Airlines schon bald neue Partnerschaftsregeln aufgeben wird.
„Wir überprüfen alle unsere Top-Carrier in Bezug auf ihre Nachhaltigkeitsbemühungen“, sagt Martinka. „Wir clustern sie in drei Gruppen, und wer in der schlechtesten ist, der wird von uns die klare Message bekommen, dass es für uns fast unmöglich sein wird, mit ihm größere Geschäfte abzuschließen. Perspektivisch könnte es durchaus sein, dass wir anfangen, bestimmte ältere Flugzeugmodelle mit nicht vertretbar hohen Emissionen zu blacklisten.“
Die Frage, welche Airline in welche Kategorie eingruppiert wird, entscheidet sich laut Martinka maßgeblich mit an der Frage, von welcher Beschaffenheit die jeweilige Flugzeugflotte ist. „Wie alt ist das Fluggerät; wie sieht das Orderbuch aus; welchen Anteil nehmen Umbaufrachter ein?“, listet er einige für DSV wichtige Parameter auf. „Hinzu kommt natürlich: Wie ehrgeizig ist der betreffende Carrier in Bezug auf seine Emissionsziele? Wie transparent sind seine Emissionsdaten? Und fast noch wichtiger als die Spezifikationen der Gegenwart seien die der mittelfristigen Zukunft: „Wie wird die Airline im Jahr 2030 aufgestellt sein, und was wird sie bis dahin wie erreicht haben?“
Es fällt auf, dass Sustainable Aviation Fuels (SAF) in Martinkas Kriterienkatalog erst spät auftauchen, und das liegt nicht daran, dass er sie zunächst vergessen hätte. „Ich bin der Überzeugung, dass sich die Branche viel zu sehr auf das Thema SAF fokussiert“, sagt Martinka. SAF sei ein wichtiger Bestandteil, aber die Bedeutung des begrenzt verfügbaren alternativen Flugbenzins werde im Vergleich zu aktuell effektiveren Weichenstellungen überschätzt. Zudem sei SAF noch immer sehr teuer.
„Es könnte sein, dass wir anfangen, ältere Flugzeugmodelle mit nicht vertretbar hohen Emissionen zu blacklisten.“
– Achim Martinka
Ab 1. Januar 2025 wird die Verordnung ReFuelEU Aviation den Airlines eine SAF-Beimischungsquote von 2 Prozent vorschreiben. Martinka ist zwiespältig, welche praktische Bedeutung er dem in jedem EU-Staat anzuwendenden Gesetz zubilligt. „Es ist ohne Zweifel gut, dass es für Treibstoffproduzenten und Airlines ab Januar ein verpflichtendes SAF-Mandat gibt und damit auch für die Verlader und Spediteure“, sagt Martinka. Wie bislang auf Freiwilligkeit zu setzen, führe nicht zu den notwendigen unternehmerischen Entscheidungen bei den Carriern und allen beteiligten Luftfrachtakteuren.
Im Jahr 2023 übertraf nur DHL mit einer Beimischungsquote von 3,2 Prozent die 2-Prozent-Marke. Mit bereits großem Abstand folgen die zweitplatzierte Airline Air France-KLM (1,1 Prozent) und der weltweit drittgrößte SAF-Anwender, die IAG Group (0,7 Prozent). Auf die drei Spitzenreiter entfallen knapp 70 Prozent des globalen SAF-Verbrauchs von 310.000 Tonnen. Weltweit liegt die SAF-Quote bei nur 0,1 Prozent.
„Auch wenn das neue Gesetz die derzeit sehr geringen SAF-Quoten anheben wird, sollte man den Wert der Vorschrift nicht überschätzen“, so Martinka. „Das momentan erhältliche biogene SAF reduziert die Emissionen zwar um 70 bis 80 Prozent, und das klingt erst einmal gut. Doch das führt dazu, dass die CO2-Einsparung unter dem Strich gerade mal 1,6 Prozent beträgt.“ Hinzu komme, dass es viel sinnvollere und weitaus effektivere Mittel gebe, um zu viel höheren CO2-Einsparungen zu kommen.
„Die Modernisierung von Flotten und eine sorgfältigere Routenplanung können zu größeren Emissionsreduktionen führen, oft zu geringeren Kosten als für SAF“, sagt er. „Doch die Konzentration auf den alternativen Kraftstoff droht, diese Faktoren zu überschatten.“ Der DSV-Manager räumt ein, dass die Verlader sich immer noch am meisten vom Preis leiten lassen, doch das werde sich ändern, da auch die Produzenten zunehmend gezwungen sein werden, CO2-Emissionen abzusenken.
Kontraproduktive CO2-Berechnungsmethode
Martinka hat längst einen weiteren Aspekt ausgemacht, den er für einen übergeordneten Systemfehler der Luftfracht hält und der beseitigt werden muss: die von der IATA empfohlene gewichtsbasierte Berechnungsmethode von CO2 in der Luftfracht. „Sie führt absurderweise dazu, dass in Frachtern transportierte Ladung rechnerisch einen niedrigeren CO2-Fußabdruck hat, als würde dieselbe Ladung auf derselben Strecke in der Passagierausführung desselben Flugzeugtyps als Beiladung transportiert“, sagt Martinka. Es gebe somit für Verlader einen umweltschädlichen Anreiz, dem Transport in Frachtern den Vorzug zu geben. „Die Berechnungsmethode sollte überarbeitet werden“, sagt Martinka. „Passagierflugzeuge fliegen sowieso, auch wenn die Frachträume nicht ausgelastet sind; zudem kann es nicht sinnvoll sein, alten Umbaufrachtern mit hohen Emissionswerten einen klimaschädlichen Wettbewerbsvorteil zu geben.“