Wie können Luftfahrtunternehmen ihre CO2-Emissionen kompensieren und bis 2050 klimaneutral fliegen? Eine Möglichkeit sind sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAF). Allerdings gibt es diesen Kerosinersatz vorerst nur als Beimischung: Ab 2025 schreibt die EU europäischen Fluggesellschaften mindestens 2 Prozent SAF vor; ab 2030 sind es 6 Prozent. An Alternativen wird gearbeitet. Die wenigen E-Fuel-Produktionen stecken noch in den Kinderschuhen. Und Wasserstoff- und Elektroantriebe bleiben wenigstens für größere Flugzeuge Zukunftsmusik.
Bleibt die Möglichkeit, die von der Luftfahrt verursachten Emissionen mit Zertifikaten oder Klimaschutzprojekten auszugleichen. Eine Alternative dazu bietet das Schweizer Unternehmen Climeworks. Das 2009 gegründete Spin-off der ETH Zürich hat ein Direct-Air-Capture- (DAC-)Verfahren marktreif gemacht, in dem Luft durch einen Ventilator angesaugt und in einem Filter erhitzt wird, wodurch CO2 zunächst freigesetzt und anschließend aufgefangen und dann dauerhaft unterirdisch gelagert wird.
Premiumoption „Aviation Tech“
Jetzt bietet Climeworks Unternehmen, die ihre Emissionen auf netto null reduzieren wollen, Partnerschaften an. Sie verpflichten sich vertraglich, diese Luftabscheidungslösungen zu unterstützen. Als erstes Luftfrachtunternehmen hat Swiss World Cargo eine solche Vereinbarung unterzeichnet: Seit Juni 2024 bietet der Carrier Kunden die sogenannte Premiumoption „Aviation Tech Pioneer“ an. Mit einem Tarifaufschlag für SAF und DAC können diese Dekarbonisierungsstrategien unterstützen. 80 Prozent des erzeugten CO2 sollen mit dem nachhaltigen Treibstoff, 20 Prozent mit der Climeworks-Technologie eingespart werden. Von einem „inspirierenden Beispiel für die Luftfahrtindustrie“ spricht Laurent Müller, Director of Strategic Partnerships Management von Climeworks. Und auch Swiss World Cargo reklamiert eine Vorreiterolle für sich und verweist auf die Mutter Swiss. Die wolle ihre Netto-Kohlendioxidemissionen bis 2030 halbieren und bis 2050 „insbesondere durch die Verwendung nachhaltiger Flugtreibstoffe“ das Netto-Null-Ziel erreichen.
Weil das wohl nicht reichen wird, hat der Konzern Kontakt mit Climeworks aufgenommen. Im März 2024 unterzeichneten Swiss und ihr Mutterkonzern Lufthansa Group als erste Luftfahrtunternehmen überhaupt eine Vereinbarung mit Climeworks. Vorerst bis 2030 wollen die Partner zusammenarbeiten und ihren Kunden ebenfalls die Möglichkeit eröffnen, mit Boni den Klimaschutz zu unterstützen. Im September 2024 folgte British Airways und wurde ebenfalls Climeworks-Kunde. Von einer „Partnerschaft in zunächst nur kleinem Umfang“ spricht die Airline. „Wir haben CO2-Entfernungsgutschriften erworben, um den Markt anzukurbeln und den Grundstein für groß angelegte Veränderungen zu legen“, sagt Carrie Harris, Nachhaltigkeitsmanagerin von British Airways.
Diese Vorsicht fällt auf: Andere Kunden von Climeworks, etwa aus der Finanzwirtschaft oder der Spielzeugindustrie, schließen längere Verträge ab und nennen konkrete Zahlen, wie viele Tonnen CO2 sie tatsächlich einsparen wollen. Die Luftfahrt scheut solche Präzisierungen, wofür Müller ein gewisses Verständnis zeigt. „Die Branche tut sich mit der Dekarbonisierung schwer, weil sie viele Optionen prüfen muss“, betont der Climeworks-Manager. Von Luftfahrt- und Luftfrachtunternehmen würden mittlerweile viele Geschäftskunden Dekarbonisierungsstrategien fordern, die mit denen aus dem Straßengüterverkehr vergleichbar sind.
Diese können allerdings auf Wasserstoff-, Elektro- und andere alternative Antriebe wechseln und außerdem umweltfreundliche Treibstoffe wie Biodiesel meist ohne Einschränkungen nutzen. Für die Carrier in der Luft gibt es hingegen nur SAF. Die Kerosinalternative ist in begrenzten Mengen verfügbar und kostet außerdem ein Vielfaches mehr. Die Luftfahrtunternehmen wollen sich deshalb alle Optionen offenhalten. Im Oktober trat Lufthansa der Kooperation E-Fuel Alliance bei, die synthetisches SAF marktreif machen will.
Großes Interesse an DAC
Das grundsätzliche Dilemma bleibt jedoch. „Weil die Luftfahrt von sich aus nur vergleichsweise wenige Emissionen reduzieren kann, muss sie umso mehr mit technischen Lösungen entfernen“, sagt Müller. Hier kommt Climeworks mit seiner DAC-Technologie ins Spiel. Müller zufolge sprechen die Schweizer gegenwärtig zwar mit „vielen“ Luftfahrt- beziehungsweise Luftfrachtunternehmen, allerdings arbeite erst eine Minderheit an einer Dekarbonisierungsstrategie. Auch Luftfahrtgesellschaften reagieren deshalb vorsichtig auf neue Angebote. „Die ersten Erfahrungen sind positiv“, versichert eine Sprecherin von Swiss World Cargo. „Wir haben bereits einige interessierte Kunden unter Vertrag. Die Option ist als Premiumlösung gedacht, und die Preise spiegeln diese Positionierung wider.“ Außerdem benötige diese Technologie weiterhin eine Förderung für die kommenden Jahre.
An potenzielle Partner stellt Climeworks keine besonderen Bedingungen. Allerdings wünscht das Unternehmen eine glaubwürdige Kommunikation gegenüber der Öffentlichkeit. „Für Greenwashing-Aktionen stehen wir nicht zur Verfügung“, sagt Müller. Ohne DAC könne die Luftfahrt das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu fliegen, kaum erreichen. Allerdings ist diese Technologie sehr erklärungsbedürftig und politisch nicht unumstritten. Während der vergangenen Jahre liefen Umweltorganisationen Sturm gegen DAC, weil sie Grundwasser- und Bodenverunreinigungen oder gar Erdbeben befürchteten. Außerdem gilt diese Innovation als sehr teuer und energieintensiv.
Bislang hat Climeworks nur in Island DAC-Standorte errichtet. Auf dem Inselstaat können die Schweizer kostengünstigen Strom aus klimaneutraler Geothermie nutzen. Außerdem bietet Island ideale geografische Voraussetzungen für die Endlagerung von CO2 in bis zu 1.000 Meter Tiefe. Im September 2021 eröffnete Climeworks „Orca“. Die laut eigenen Aussagen damals „weltweit größte Anlage zur direkten Luftabscheidung und -speicherung“ kann jährlich bis zu 500 Tonnen CO2 aufnehmen. Im Mai 2024 nahmen sie „Mammoth“ in Betrieb. Die neue Anlage kann mit bis zu 36.000 Tonnen CO2 im Jahr ein Vielfaches ihrer Vorgängerin verarbeiten.
Für die ambitionierten Ziele der Schweizer gerade auch in der Luftfahrt und Luftfracht reicht dies freilich nicht aus. Die nächsten Abscheidungs-Hubs sollen in den USA entstehen. (ol)