Auf Deutschland rollt ein Problem zu. Immer mehr Transportunternehmen setzen E-Lkw ein; mittlerweile fahren fast 79.000 Einheiten – vom leichten Transporter bis zum schweren Lkw – auf den Straßen. Allerdings fehlt es nach wie vor an der Ladeinfrastruktur. Derzeit sind weniger als 50 Hochleistungsladestellen und nicht einmal 50 für Lkw geeignete Wasserstofftankstellen in Betrieb.
Will man das Ziel der EU von 45 Prozent weniger CO₂-Emissionen bei Neufahrzeugflotten bis 2030 erreichen, werden nach Angaben eines Unternehmenssprechers von Daimler Trucks für eine Grundabdeckung in Europa bis dahin etwa 35.000 Hochleistungsladestationen mit über 400 Kilowatt Leistung und rund 2.000 Wasserstofftankstellen benötigt. „Um die Grundabdeckung zu erreichen, müssten wir in Europa ab jetzt rechnerisch etwa 400 Hochleistungsladestationen und 25 Wasserstofftankstellen pro Monat errichten“, so der Sprecher weiter. „Davon sind wir weit entfernt – in anderen Worten, die Infrastruktur ist und bleibt der große Flaschenhals im Transformationsprozess.“
Ladeproblem-Lösung
Eine Alternative zum Aufbau einer solchen Ladeinfrastruktur können Batteriewechselstationen sein. Die Idee dahinter: Statt individuell die Batterie zu laden, werden hier entladene gegen voll geladene getauscht. Dazu sind neben der Station allerdings auch entsprechend ausgerüstete Fahrzeuge notwendig. Beides wurde im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Forschungsprojekts E-Haul für schwere Lkw in den vergangenen Monaten erstmals in Europa realisiert.
Erste Batteriewechselstation
Dazu wurden Lkw des Schweizer Herstellers Designwerk mit einer Batteriekapazität von 440 Kilowattstunden und einer Reichweite von rund 300 Kilometern von der TU Berlin und Durot Electric mit einem speziellen Batteriekontaktierungs- und Verriegelungssystem ausgerüstet und auf diese Weise für den Batteriewechsel ertüchtigt. Ende November vergangenen Jahres wurde im brandenburgischen Lübbenau an der A13 die erste vollautomatische Batteriewechselstation für schwere Lkw in Europa in Betrieb genommen.
15 Minuten
nimmt der Batteriewechsel in Anspruch. Das entspricht der Zeitspanne eines normalen Tankvorgangs.
Quelle: Jens-Olav Jerratsch, TU Berlin
„Sechs Monate nach der Eröffnung funktioniert der Austausch reibungslos und quasi vollautomatisch“, berichtet Jens-Olav Jerratsch, Projektleiter an der TU Berlin. „Innerhalb von 15 Minuten haben die Lkw eine zu 100 Prozent aufgeladene Batterie an Bord.“ Eine weitere Optimierung werde angestrebt. Pro Tag werden hier zwei- bis dreimal die 440 Kilowattstunden fassenden Module mit jeweils zwei Batterien gewechselt, die zwischen der Vorder- und Hinterachse der Zugmaschine untergebracht sind, erläutert der diplomierte Wirtschaftsingenieur und promovierte Fahrzeugtechniker.
An dem Projekt nehmen neben Bosch, Fraunhofer IVI, Ibar Systemtechnik, TU Berlin und Urban Energy, aber auch zwei Logistikunternehmen teil: Reinert Logistics aus Cottbus und Unitax Pharmalogistik aus Berlin. Sowohl die Fahrzeuge als auch die Batteriewechselstation sind noch Prototypen, aber die ersten Ergebnisse sind vielversprechend: „Der Batterieaustausch funktioniert gut. Mit dem für den Wechsel ausgelegten E-Lkw sind wir zwischen Lübbenau und Berlin unterwegs, also jeweils Strecken zwischen 100 und 120 Kilometer, und im Rundlauf 200 bis 240 Kilometer“, bestätigt Carsten Trier, Projektmanager bei Reinert Logistics.
Pilotprojekt im Nahverkehr
„Die Batteriekapaziät der eingesetzten Fahrzeuge genügt, um mit einer Ladung einen Rundlauf zu fahren.“ Unitax Pharmalogistik ist ebenfalls mit einem Lkw im Regionalverkehr zwischen Berlin und Dresden unterwegs – die Wechselstation Lübbenau liegt etwa auf der Hälfte der Strecke.
Aus Sicht von Trier bietet dieser Ladeansatz einige Vorteile: Die Bereitstellung der neuen Batterien nehme nur so viel Zeit in Anspruch wie ein normaler Tankvorgang an der Dieselzapfsäule, erklärt der Projektmanager. „Außerdem kann das Laden der Batterien gesteuert und bei größerem Batterievorrat idealerweise zeitlich entkoppelt werden, so dass die elektrische Infrastruktur wie Trafo, Kabel und Anschlüsse durch Vorladen mehrerer Batterien besser ausgelastet werden kann.“ Dadurch könne dieser Investmentanteil der elektrischen Infrastruktur schneller refinanziert werden.
Hinzu komme: „Der Betreiber kann in einer erweiterten Ausbaustufe Batterien zu variablen Börsenpreisen in ‚Niedrigpreiszeiten‘ vorladen und zu Standardpreisen verkaufen“, erläutert Trier. Und nicht zuletzt könnten größere Anlagen direkt an Windkraft- und Solaranlagen parallel angeschlossen werden, um so die Netzüberlastung durch wirtschaftliches Batterieladen zu reduzieren. Dies ermögliche es auch Logistikern, denen der örtliche Netzbetreiber keinen leistungsfähigen Netzanschluss zur Verfügung stellen kann, trotzdem in den Systemwechsel hin zum Elektro-Lkw zu investieren, behauptet Trier.
Standards sind notwendig
Trier weiß allerdings auch um die Herausforderungen, beispielsweise einen Batterietauschstandard für die Anschlüsse festzulegen und autobahnnahe Standorte mit passender oder entwicklungsfähiger elektrischer Infrastruktur zu finden. Überdies müsste mindestens ein Lkw-OEM von den Systemvorteilen überzeugt werden, und es bräuchte auch einen Wechselstations-OEM. Auf lange Sicht müssten sich dann alle europäischen Lkw-OEM auf einen gemeinsamen Batteriestandard sowie eine standardisierte Batterie- und Anschlusstechnik in den Fahrzeugen einigen.
Denkbar wäre aus Triers Sicht, das Eigentum am Lkw von dem an der Wechselbatterie und/oder der Wechselstation zu trennen, ähnlich wie es in der Luftfahrt üblich ist, wo Turbinen getrennt vom Flugzeug geleast werden können. Aber es gebe noch weitere Vorteile: „Getrenntes tauschfähiges Batterieeigentum würde auch die Innovationskraft der ‚Batterieindustrie‘ erheblich anheizen“, findet Trier. „Denn so könnten Weiterentwicklungen früher ‚live‘ erprobt und im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses zeitnah zur Nutzung ausgerollt werden.“
Jerratsch, der bereits im Januar die Firma Ehaul gegründet hat, ist nach wie vor von dem Konzept überzeugt: „Durch die Gründung der GmbH unterstreichen wir unsere Einschätzung, dass diese Technologie auch im europäischen Markt einen Beitrag zur Dekarbonisierung des schweren Güterverkehrs leistet.“