Die Umweltorganisation T&E fordert, die Vorgaben für die Ladesäuleninfrastruktur an den jeweils erwarteten E-Lkw-Verkehr in den EU-Staaten anzupassen.

Bild: dpa/Marijan Murat

Unwucht im EU-Ladenetz für E-Lkw droht

04.06.2024

Werden in der EU bis 2030 lediglich die Vorgaben der AFIR-Verordnung umgesetzt, gäbe es in mindestens sechs Mitgliedsstaaten nicht genügend öffentliche Ladesäulen für E-Lkw. 20 Mitgliedsstaaten wären dagegen überversorgt. Zu diesem Schluss kommt eine Analyse der Umweltorganisation Transport & Environment.

Die Vorgaben der EU-Verordnung für die Tank- und Ladeinfrastruktur für alternative Treibstoffe (AFIR) reichen nicht aus, um der erwarteten E-Lkw-Flotte in allen EU-Staaten ausreichende Lademöglichkeiten im öffentlichen Raum zu bieten. Etliche Mitgliedsstaaten wären nach Umsetzung der AFIR-Standards 2030 und 2040 überversorgt und würden auf unrentabler Ladeinfrastruktur sitzen, heißt es in einer Analyse der europäischen Umweltorganisation Transport & Environment (T&E). Dagegen werde es in anderen Staaten Engpässe geben, und es würden dort Lademöglichkeiten entlang der Straßen des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-V) fehlen.

T&E hat für die Analyse die Lkw-Verkehrsströme im TEN-V betrachtet und dafür Daten der Conference of European Directors of Road (CEDR), des Karlsruhe Institute of Technology (KIT) und des Fraunhofer-Institute for System and Innovation Research (ISI) verwendet. Für die künftige Menge an E-Lkw auf diesen Strecken wurden zwei Szenarien entwickelt. Das erste geht davon aus, dass die Kfz-Hersteller gerade so viele E-Lkw bauen, wie es die kürzlich verabschiedete CO₂-Flottengrenzwertverordnung der EU erfordert. Das zweite geht von einer höheren Zahl von Elektrofahrzeugen aus, so wie sie von den Lkw-Herstellern angekündigt wurde.

Dieser Verkehrsprognose hat T&E die Lademöglichkeiten gegenübergestellt, die sich ergeben, wenn in den Mitgliedsstaaten die AFIR-Vorgaben umgesetzt werden. Demnach muss es im TEN-V-Straßennetz etwa bis 2030 alle 100 Kilometer einen Lade-Hub (mit mindestens einer Ladesäule) mit einer Gesamtleistung von mindestens 1.500 Kilowatt geben; entlang der Strecken des Kernnetzes alle 60 Kilometer einen Hub mit 3.600 Kilowatt; zudem in 424 städtischen „Knotenpunkten“ jeweils einen Hub mit 1.800 Kilowatt. Nicht berücksichtigt wurden in der Analyse Ladestationen auf Betriebshöfen, die auf sicheren Lkw-Parkplätzen geplanten Ladesäulen sowie Ausbaupläne der Mitgliedsstaaten, die über die AFIR-Anforderungen hinausgehen.

Ergebnis: Bringen die Hersteller bis 2030 nur die vorgeschriebene Mindestmenge an E-Lkw auf den Markt, steht für diese insgesamt in der EU mit 130 Prozent mehr als genug öffentliche Ladeleistung zur Verfügung (11 Terawattstunden Angebot bei 8,45 Terawattstunden Nachfrage). Machen die Hersteller alle ihre Produktionsankündigungen wahr, kann der Bedarf aber nur zu 71 Prozent gedeckt werden (11 TWh Angebot bei 15,54 TWh Nachfrage).

Versorgungslücke wächst nach 2030

Der Mangel an Ladeleistung wird laut Analyse mit der Zeit noch größer. 2035 stünde demnach einem Angebot von 13,17 TWh eine Nachfrage von 25,54 TWh (Minimalszenario), beziehungsweise 44,72 TWh (Herstellerszenario) gegenüber. Für 2040 wird dann ein Angebot von 16,54 TWh bei einer Nachfrage von 48,07 TWh (Minimalszenario), beziehungsweise 71,85 TWh (Herstellerszenario) vorausgesagt. Den Hauptgrund für die größer werdende Versorgungslücke sieht T&E darin, dass es nach 2030 keine AFIR-Zielvorgaben mehr gibt.

Bereits 2030 reicht das Ladeangebot allerdings nicht überall in der EU aus, wenn die erwartete regionale Nachfrage betrachtet wird. Dann wären 2030 im Minimalszenario 20 Mitgliedsstaaten überversorgt. Bulgarien könnte eine E-Lkw-Flotte versorgen, die über sechsmal so groß wäre wie erwartet, Zypern sogar eine Flotte von zehnfacher Größe. Dänemark wäre gerade ausreichend mit Ladeleistung ausgestattet, während es in Deutschland, Österreich, Belgien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden, wo der meiste Lkw-Verkehr stattfindet, einen Mangel gäbe. In Deutschland könnte der Bedarf dann nur noch zu 70 Prozent gedeckt werden, in Luxemburg gar nur zu 12 Prozent.

Setzen die Lkw-Hersteller ihre ehrgeizigeren Produktionspläne um, wären 2030 nur 14 Mitgliedsstaaten ausreichend versorgt. In Deutschland wäre laut Analyse dann nur noch 36 Prozent der benötigten Ladeleistung verfügbar, in Österreich 29 Prozent und in Luxemburg 6 Prozent. 2040 könnte der Mangel sogar noch größer sein.

EU-Staaten sollen Netzausbaupläne anpassen

Die Mitgliedsstaaten müssten ihre Pläne für den Ladenetzausbau an das tatsächlich zu erwartende Verkehrsaufkommen anpassen, fordert T&E. Dort, wo wenig Nachfrage herrsche, sollten die Ausnahmemöglichkeiten der AFIR-Verordnung genutzt werden, um keine Fördergelder zu verschwenden. Teils könnten weniger Ladestationen mit höherer Leistung gebaut oder Abstände auf 120 Kilometer vergrößert werden. Dafür müssten an anderen Orten mehr Ladestationen gebaut werden.

Es sei wichtig, für eine vorausschauende Netzplanung alle Akteure an einen Tisch zu holen, heißt es in dem Papier – etwa Kfz-Hersteller, Netzbetreiber, potenzielle Betreiber von Ladestationen, Verkehrsministerien und spezialisierte Agenturen. Beispiele dafür gebe es etwa in Frankreich oder bei der Planung für ein „initiales Netz“ in Deutschland. Die EU müsse ihre Regeln für Stromnetzbetreiber so anpassen, dass diese mit Blick auf den zu erwartenden Ladebedarf für Lkw planen könnten, ohne auf konkrete Anträge für Netzanschlüsse warten zu müssen. Die Netzbetreiber müssten ihre Pläne offenlegen, damit potenzielle Investoren und Betreiber sehen könnten, wo der Bau von Ladestationen möglich sei.

Gebündelte Ausschreibungen empfohlen

Für unerlässlich hält T&E einfachere Planungs- und Genehmigungsverfahren beim Aufbau des Ladenetzes und mehr Anschubfinanzierung. Unter anderem könnten Zuschüsse, Kredite und öffentliche Garantien genutzt werden, um an wichtigen Orten Versorgungslücken zu schließen sowie Ladestationen auch an weniger attraktiven Standorten zu bauen. Der Verband empfiehlt, bei Ausschreibungen attraktive und weniger attraktive Standorte im Paket zu vergeben, die Bildung von Betreibermonopolen in bestimmten Regionen zu vermeiden und den potenziellen Betreibern genügend Auswahlmöglichkeiten zu lassen, damit es nicht zu Bodenpreisspekulationen komme.

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