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Thilo Stadelmann (rechts) und Alfons Veer (links) in Zürich.

Bild: Marvin Zilms

Corporate Content „KI ist ein Werkzeug“

26.07.2024

Professor Thilo Stadelmann erforscht an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) die industrielle Anwendung von künstlicher Intelligenz. Er traf in Zürich Alfons B. Veer, CTO und geschäftsführender Direktor der Krone Nutzfahrzeug Gruppe, zu einem Gespräch über Potenziale und Gefahren der Technologie.

Alfons Veer: Herr Stadelmann, beim Thema KI denken die meisten derzeit zuerst an den Chatbot ChatGPT, der Fragen innerhalb von Sekunden mithilfe maschineller Lerntechnologie beantwortet. Was bedeuten solche Tools für uns Menschen: Kosten sie uns vielleicht auch Intelligenz, indem sie uns das Denken zu sehr abnehmen?

Thilo Stadelmann: Ich glaube, KI verändert uns auf eine ganz andere Art, als wir uns das viel-leicht auf den ersten Blick vorstellen. Grundsätzlich ist es ja so: Während der Mensch im Laufe der Geschichte immer mehr zu schaffen scheint, sind seine Kapazitäten nach wie vor sehr begrenzt. Wir müssen also Fähigkeiten ersetzen, um weiterzukommen – und in diesem Sinne prägen uns auch unsere Werkzeuge. Aber nicht zwingend negativ! Seit wir den Pflug nicht mehr selbst ziehen müssen, sind wir ein bisschen weniger muskulös und breitschultrig als unsere Vorfahren. Das hat uns jedoch nicht furchtbar geschadet, außer dass wir heute ab und zu Rückentraining machen sollten. Und dank des Navigationsgeräts verfahren wir uns nicht, aber können auch weniger gut Karten lesen. Müssen wir deswegen ein großes Lamento anstimmen über Kulturtechnik, die verloren gegangen ist? KI vereinfacht Dinge, und das sehe ich erst mal vor allem positiv. Nutzen Sie generative KI bei Krone?

Alfons Veer: Der digitale Service bei uns im Haus arbeitet beispielsweise intensiv damit, sowohl im Kundenservice, um Fragen zu beantworten, als auch in Schulungen, die die Benutzer in die Lage versetzen sollen, mit unseren Tools umzugehen. Die Teams schaffen es sehr erfolgreich, ihr Schulungsmaterial spezifisch auf den einzelnen Kunden abzustimmen. Die Tools leben von der Qualität des Materials, das man eingibt, und es muss immer gründlich geprüft werden, ob alles stimmt. Aber sie erleichtern die Arbeit enorm. Weiterhin spielt KI bei uns eine große Rolle, wenn es um Themen wie Laderaumerkennung mit unserem System Smart Capacity geht: Das scannt den Laderaum und kann helfen, die vorhandenen Logistikkapazitäten wirklich effizient zu nutzen. Damit ist es ein großer Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit.

Thilo Stadelmann: Ich glaube, das ist genau der Kern der Technologie, die sich hinter Begriffen wie Lernen oder Intelligenz beinahe ein bisschen versteckt: Es geht um Optimierung. Technologie, die diese ermöglicht, ist gerade in der Industrie willkommen.

Alfons Veer: Ja, ganz klar. Woran forschen Sie derzeit?

Thilo Stadelmann: Wir sind eine Hochschule für angewandte Wissenschaften und daher beschäftige ich mich mit Fragestellungen, die aus der Industrie an uns herangetragen werden. Derzeit unterstützen wir beispielsweise einen Industriekonzern dabei, seine Produktionsprozesse zu verbessern. Es geht um Plastikspritz-guss, der von vielen Parametern wie Raumtemperatur oder Luftfeuchtigkeit beeinflusst wird. Wir arbeiten an Verfahren, die aus Daten lernen können, wie trotz wechselnder Bedingungen immer das gewünschte Ergebnis entsteht. Dazu nutzen wir dynamisch dazulernende Systeme, die nicht nur erkennen, wenn ein Prozess auf die schiefe Bahn gerät, sondern ihn auch wiederherstellen können. Wissenschaftlich handelt es sich dabei um das sogenannte Transfer Learning. Im Machine Learning lernen wir zunächst ein Modell für einen ganz konkreten Fall an, beispielsweise für eine bestimmte Maschine. Wollen wir ein anderes Teil produzieren, müssen wir nicht die Methode neu erfinden, aber zumindest Daten sammeln und die Maschine damit füttern. Das kann lange dauern, deshalb lohnt es nicht für Produkte, die man nur kurze Zeit herstellt. Wenn ich jedoch einmal Gelerntes mit minimalen Anpassungen transferieren kann, ist das viel praktischer. Menschen beherrschen das: Wir lernen etwas in irgendeinem Kontext und können es auf einen anderen übertragen. Wir als Forschende suchen nach Ideen, wie wir das der Maschine erleichtern können.

Alfons Veer: Das hört sich spannend an. Wir arbeiten an einer sehr ähnlichen Fragestellung: Unsere Kühlsattelauflieger haben geschäumte Paneele. Dafür legen wir ein 13,60 Meter langes und drei Meter breites beschichtetes Material in eine Form. Dann kommt der Schaum hinein und obenauf wieder Metall. Der Schaum neigt dazu, Poren zu bilden, die man an der Ober-fläche nicht sehen will. Wir versuchen also, ein Modell aufzubauen, das sämtliche Prozessdaten immer dem einzelnen Paneel zuordnen kann und dann eine Korrelation zu der Menge der Blasen herstellt. Ziel ist eine Prognose, ob das Paneel die gewünschte Qualität erreicht. Wir arbeiten dafür mit einem Start-up zusammen und bauen im Hintergrund die Infrastruktur so auf, dass wir das Modell perspektivisch auch auf andere Fertigungsprozesse übertragen können.

Thilo Stadelmann: Das ist wertvolle Grundlagenarbeit! Ich habe vor Kurzem im Zusammen-hang mit Large Language Models wie ChatGPT wieder gehört, dass das Einzige, was einen im Bereich KI von anderen absetzt, letztlich die Daten sind, auf denen man etwas aufbauen kann. Denn aus diesen Daten lernt die KI. Wir haben kürzlich ein Projekt abgeschlossen, bei dem wir den Prozess quasi umgedreht haben. Es ging um Fotovoltaikmodule, bei denen die Prozessdaten in der Herstellung nicht gesammelt wurden. Für gut performende Module kann man nicht feststellen, unter welchen Parametern sie entstanden sind. Man kann es aber simulieren. Wir haben mit Partnern ein Simulationsmodell laufen lassen, das so etwas wie ein medizinisches Diagnostikbild erstellt und zeigt, wo wie viel Strom entsteht. Damit haben wir ein Machine Learning Model trainiert. So können wir es umdrehen: Wir geben Fotos von echten Anlagen hinein und erfahren mit hoher Näherung, welche Parameter zu diesem Modul geführt haben.

Zur Person
Der Informatiker Thilo Stadelmann ist Professor an der ZHAW School of Engineering im schweizerischen Winterthur. Er leitet dort das Forschungs-zentrum Centre for Artificial Intelligence und die Forschungsgruppe Machine Perception and Cognition.

Alfons Veer: Wir stellen fest, dass wir vergleichsweise viele Daten haben, allein durch die Telematik in unseren Trailern. Wir müssen sie nur im Prozess strukturieren.

Thilo Stadelmann: Und sich für die interessantesten Use Cases entscheiden? Es ist immer noch viel Arbeit, jeweils etwas für einen konkreten Fall zu bauen.

Alfons Veer: Definitiv! In der Fertigung ist es aber relativ einfach, aus der Fülle von Daten einen Nutzwert zu schöpfen. Um beim Beispiel der Prozessdaten zu bleiben: Hier kann man Ausschuss und Reklamationskosten sparen – an Punkten, an denen der Mensch nicht mehr weiter optimieren kann. Wir werden also nur besser und haben damit einen klaren Case. Außerdem wird kein Mensch ersetzt, sondern wir unterstützen hier Experten dabei, optimale Entscheidungen zu treffen.

Thilo Stadelmann: Ich habe das Gefühl, dass die Fälle, in denen KI Arbeitsplätze ersetzt, eher selten sind. KI ist aktuell und für die nächsten Jahre einfach ein weiteres Werkzeug in der Toolbox des Menschen, um Sachen gut zu machen. Idealerweise wird unser Leben dadurch leichter und es schafft Platz im Kalender.

Alfons Veer: Ein weiteres Thema, das in Verbindung mit KI stark diskutiert wird, ist autonomes Fahren. Wir arbeiten mit Fernride zusammen, einem Start-up, das teleoperatives Fahren etablieren will, bei dem der Fahrer nicht mehr in der Zugmaschine sitzt, sondern in einem Büro, von dem aus er mehrere Fahrzeuge steuern kann. Wie schätzen Sie es ein: Ist vollautonomes Fahren möglich und wenn ja, wann?

Thilo Stadelmann: Ich glaube, das ist weniger eine technische Frage als vielmehr eine gesellschaftliche. Schon mit dem heutigen Stand der Technik hätten wir wahrscheinlich einen schnelleren, sichereren und ökonomischeren Verkehr, wenn er autonom wäre. Aber autonome Fahrzeuge nutzen andere Methoden, haben einen anderen Blick auf die Welt und daher würden Unfälle passieren, die Menschen vielleicht nie verursacht hätten – etwa wenn die Technologie Objekte falsch erkennt. Die Technik, die wir jetzt haben, basiert zu einem ganz großen Teil auf statistischen Ana-lysen. Das kann man beliebig optimieren, doch 0 Prozent Fehler sind nicht vorgesehen. Es könnten also Menschen sterben, weil ein Auto nicht von einem Fahrer gesteuert worden wäre, sondern von einem Algorithmus. Man könnte sich als Gesellschaft entscheiden, das zu akzeptieren. Das werden wir aber meiner Ansicht nach nicht tun. Weil es wahrscheinlich auch zu Recht einfach nicht in unseren Kopf will, dass dann vermeidbare Unfälle passieren würden.

Alfons Veer: Es stellt sich am Ende immer die Frage der Verantwortung.

Thilo Stadelmann: Mein Eindruck ist, dass man sich momentan meistens darauf einigt, die Technologie als Werkzeug zu betrachten. Dann ist derjenige verantwortlich, der das Werkzeug einsetzt, nicht dessen Hersteller, der Staat oder andere Institutionen. Ich finde das sinnvoll. Da KI einen wachsenden Einfluss auf die Gesellschaft hat, müssen wir uns über den verantwortungsvollen Umgang damit Gedanken machen. Entsprechende Verhaltenskodexe betonen in der Regel auch, dass am Ende immer ein Mensch verantwortlich sein muss. Für Unternehmen, die KI-gestützte Dienstleistungen anbieten, heißt das meiner Meinung nach, dass es jeder-zeit einen Menschen geben muss, der ansprechbar ist.

Alfons Veer: Was kann KI in Ihren Augen für die Logistik tun?

Thilo Stadelmann: Ich bin kein Logistikprofi, aber von außen sehe ich zwei wichtige Themen, nämlich die Planung einerseits und ganz physisches Anpacken andererseits: Masse muss bewegt werden. Bei beidem kann KI optimal helfen. Sie kann bei der Planung von Abläufen schnell sehr gute Lösungen liefern. In einem Projekt mit einem Bahnbetreiber haben wir etwa vor Kurzem erarbeitet, wie Züge schnell umgeplant werden können, wenn es zu kleinen Störungen kommt, zum Beispiel weil eine Tür klemmt und ein Wagen deshalb zwei Minuten länger am Bahnhof steht. Das kann man mit großen Gleichungssystemen nicht mehr effizient lösen, da zu viele Variablen berücksichtigt werden müssen. Wir haben daher jeden einzelnen Zug als eigenen lernenden Agenten modelliert, der selbst Ziele hat, beispiels-weise pünktlich zu sein. Die zugrunde liegende Methode nennt sich Reinforcement Learning, also Lernen durch Versuch und Irrtum. Für den physischen Transport birgt insbesondere Robotik viel Potenzial. Sie entwickelt sich sehr schnell weiter: Die algorithmischen Durchbrüche haben da in der jüngsten Vergangenheit zu enormen Erfolgen geführt, was die Autonomie angeht. Und ich glaube auch, dass noch ganz viel zu erreichen ist. Die Verknüpfung von besser werdender Automatisierungstechnik mit Hardware beginnt gerade erst, so richtig spannend zu werden.

Alfons Veer: Wenn wir die Automatisierungsgrade unserer Fertigungs- und Logistikprozesse betrachten, gibt es sehr strukturierte Bereiche– Schweißen wird etwa seit Jahrzehnten automatisiert durchgeführt. Je näher wir jedoch mit dem Produkt zum Kunden kommen, desto mehr Menschen sind involviert. Die heute sehr individuellen Handgriffe an einem Produkt wollen wir zukünftig immer stärker in die Automatisierung bringen. Assistenz ist hier ein wichtiges Stichwort: Sie könnte einfache Arbeiten nah am Menschen durchführen, idealerweise ohne den ganzen Prozess neu zu designen.

Thilo Stadelmann: „Agents“ sind in den vergangenen Monaten wieder viel diskutiert worden, weil sie den Nutzen näher an den Menschen bringen. Mit den großen Sprachmodellen können wir zumindest eine gewisse Art gesunden Menschenverstand implementieren. Gerade wenn hardwaregestützte, robotische Systeme „mitdenken“, also über ihre eigentlichen Auf-gaben hinaus agieren, wird es interessant, weil da Interaktion stattfinden kann und die Zusammenarbeit mit einem Menschen dann auch wirklich Sinn macht.

Alfons Veer: Das klingt sehr interessant. Es wird sich einfach auch weiterhin viel bewegen, oder?

Thilo Stadelmann: Ja, wir leben in einer unglaublich dynamischen Zeit. Ich würde in keiner anderen leben wollen.

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  • „Die Fälle in denen KI Arbeitsplätze ersetzt sind eher selten“, sagt Thilo Stadelmann.

    „Die Fälle in denen KI Arbeitsplätze ersetzt sind eher selten“, sagt Thilo Stadelmann.

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