Nach tagelanger Ungewissheit wegen der unklaren Haltung der deutschen Bundesregierung haben die EU-Botschafter der Mitgliedstaaten am Freitag den Text einer neuen CO₂-Grenzwertverordnung für schwere Nutzfahrzeuge gebilligt. Auf diesen hatten sich Unterhändler von Europäischem Parlament und EU-Ratspräsidentschaft im Januar geeinigt. Bevor die Verordnung in Kraft treten kann, muss sie von den EU-Staaten und vom EP akzeptiert werden.
Dem Gesetz zufolge dürfen neue Lkw über 7,5 Tonnen Gewicht, die in der EU zugelassen werden, ab 2040 im Flottendurchschnitt pro Hersteller nur noch höchstens 10 Prozent der CO₂-Menge von 2019 emittieren. Das bedeutet, dass der Großteil der Nutzfahrzeugflotten dann durch Elektro- oder Wasserstoffverbrennungsmotoren angetrieben werden muss. Mit großen Mengen von Verbrennungsmotoren, die mit nachhaltigen Biokraftstoffen oder synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) laufen, können wegen deren CO₂-Emissionen am Auspuff die Grenzwerte nicht eingehalten werden.
E-Fuel-Zulassung soll früher geprüft werden
Um den Bedenken der Bundesregierung – präziser gesagt der FDP – Rechnung zu tragen, einigten sich die EU-Botschafter darauf, in den Text einen neuen sogenannten Erwägungsgrund einzufügen. Darin heißt es, dass die EU-Kommission ein Jahr nach Inkrafttreten der Verordnung prüfen will, wie schwere Nutzfahrzeuge zugelassen werden könnten, die ausschließlich mit klimaneutralen Kraftstoffen fahren, und ob diese Treibstoffe über einen „Carbon Correction Factor“ angerechnet werden können, um die CO₂-Flottengrenzwerte einzuhalten.
FDP und Grüne zeigen sich zufrieden
Der Auftrag für eine solche Prüfung war im Gesetzestext bereits enthalten. Sie muss demnach verpflichtend bis spätestens 2027 erfolgen. Orientiert sich die – nach den Europawahlen neu zu bildende – EU-Kommission an dem rechtlich nicht verbindlichen neuen Erwägungsgrund, kann sie die Prüfung vorziehen, auf einen Zeitpunkt ab etwa Mitte 2025.
„Lkw und Busse, die ausschließlich mit E-Fuels betrieben werden, können unbefristet zugelassen werden“, erklärte Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). „Wir schaffen damit Rechtssicherheit sowohl für die Hersteller von Nutzfahrzeugen als auch für die Hersteller von klimaneutralen Kraftstoffen. Zugleich senden wir ein klares Signal an den Markt, dass wir synthetische Kraftstoffe brauchen.“ E-Fuels seien eine wichtige Ergänzung zu Elektromobilität und Wasserstoffantrieb. „Auf dem Weg zur Erreichung unserer Klimaziele müssen wir uns alle technologischen Optionen offenhalten“, sagte Wissing.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) erklärte: „Ich bin froh, dass wir trotz der Irritationen der letzten Tage nun zu einem vernünftigen Ergebnis gekommen sind, das den Kern des gut austarierten Trilog-Kompromisses bestätigt.“ Auch sie betonte die Bedeutung von Planungssicherheit für die Nutzfahrzeughersteller. „Die Unternehmen haben zu Recht im Laufe der Verhandlungen auf Klarheit und Verlässlichkeit gepocht. Die bekommen sie jetzt. Offenheit gegenüber allen geeigneten Technologien hat die heute beschlossene Neuregelung der CO₂-Flottengrenzwerte von Anfang an vorgesehen“, sagte Lemke.
Breite Mehrheit für den Kompromisstext
Nach DVZ-Informationen hatten einige EU-Botschafter Einwände gegen den deutschen Textvorschlag für den neuen Erwägungsgrund. Die belgische Ratspräsidentschaft formulierte ihn daraufhin etwas um. Auf die Frage, wer den so geänderten gesamten Verordnungstext nicht mittragen könne, sollen lediglich zwei Mitgliedstaaten erklärt haben, sich zu enthalten.
Erwägungsgründe in EU-Gesetzen erläutern den Rechtstext, erklären die Absichten der Gesetzgeber und sollen bei der Interpretation helfen. Rechtsverbindlich sind sie allerdings nicht. Bereits in die CO₂-Grenzwertverordnung der EU für Pkw und Vans war – sogar noch nach ihrer Billigung durch die EU-Botschafter – auf Druck von Wissing ein ähnlicher Erwägungsgrund eingefügt worden, der eine spätere Anrechenbarkeit von E-Fuels ermöglichen soll.
Lösung für Pkw und Vans steht noch aus
„Seit Herbst letzten Jahres steht ein konkreter Vorschlag seitens der EU-Kommission aus, inwieweit ein ausschließlich mit E-Fuels betriebenes Verbrennungsfahrzeug ab 2035 neu zugelassen werden kann. Dies gilt es künftig auch für Lkw zu definieren“, teilte der Industrieverband E-Fuel Alliance mit. „Eine Expertenkommission der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten konnte bislang keinen Kompromiss finden.“ Die Industrie arbeite parallel an Lösungsoptionen, die sie der neuen Kommission bis Ende des Jahres vorlegen wolle. „Besser wäre es gewesen, eine Berücksichtigung von E-Fuels direkt in den Gesetzen zu verankern. Dies ist nun sowohl bei Pkw als auch bei den Lkw gescheitert“, erklärte die E-Fuel Alliance. Damit würden dringend benötigte Marktanreize für erneuerbare Kraftstoffe erschwert.
Votum über Lieferkettengesetz vertagt
Verschoben hat die EU-Ratspräsidentschaft eine am Freitag geplante Abstimmung der EU-Botschafter über den mit dem Europaparlament ausgehandelten Kompromisstext für eine EU-Lieferkettenrichtlinie. Auch hier hat die FDP nach Abschluss der Verhandlungen Vorbehalte angemeldet und die Bundesregierung nach derzeitigem Stand zu einer Enthaltung gezwungen. Ob es unter diesen Umständen eine ausreichende Mehrheit für das von zahlreichen deutschen Wirtschaftsverbänden kritisierte Gesetzesvorhaben gegeben hätte, war ungewiss.
Der Europaabgeordnete Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU-Gruppe im Europäischen Parlament, sagte, die Stimmung unter den EU-Staaten sei eindeutig gewesen. Das Lieferkettengesetz wäre abgelehnt worden, wäre es zu einer Abstimmung gekommen. Wann es einen neuen Anlauf für eine Abstimmung geben soll, blieb am Freitagnachmittag unklar. In der anstehenden Woche sind Sitzungen der EU-Botschafter am Mittwoch und am Freitag geplant. In Brüssel gab es zunächst keine Bestätigung dafür, dass die Lieferkettenrichtlinie an einem der beiden Tage auf der Agenda steht.