Johannes Stangl, Wissenschaftler und Aktivist, beim Forum Green Logistics.

Bild: Monika Fellner

„Eine Schnittmenge, die haben wir auf alle Fälle“

12.09.2023

Raus aus der Komfortzone: Logistiker haben sich in Wien mit Klimaaktivisten an einen Tisch gesetzt.


„Es ist auf eine gewisse Weise um einiges mühsamer, einen Elektro-LKW auf die Straße zu bringen, als eine Hand auf die Straße zu kleben.“ Worte wie diese lassen aufhorchen. Vor allem, wenn sie von einem Klimaaktivisten kommen und nicht aus der Transportbranche. Florian Wagner vom Bündnis der Letzten Generation Österreich zeigte am vergangenen Mittwoch gegenüber Fritz Müller, dem Geschäftsführer des Straßenlogistikers Müller Transporte, aber auch Verständnis. Meistens waren die beiden an diesem Tag jedoch nicht einer Meinung, während sie in einer Runde aus Aktivisten, Experten und Unternehmern auf dem österreichischen Forum Green Logistics zusammenkamen. Alle gemeinsam lieferten sie sich am Stadtrand von Wien einen denkwürdigen Austausch zur Klimakrise – inklusive der Sorge über soziale Unruhen und den Umgang mit festgefahrenen Machtstrukturen.

Konflikthafte Verzichtsdebatte

Müllers Geschäft lebt vom Straßengüterverkehr. Das Kerngeschäft des Mittelständlers sind temperaturgeführte Ladungen, insbesondere in der Lebensmittel- und Pharmalogistik. Unter seinen 340 eigenen LKW-Zügen würden sich derzeit zwei befinden, die elektrisch unterwegs sind. Mit diesen wolle sein Unternehmen „beginnen zu lernen mit einer neuen Antriebsart zu arbeiten“. Wirtschaftlich sei das Vorhaben für den Logistiker heute aber eindeutig nicht, betont er. Dennoch will Müller Anstrengungen in diese Richtung unternehmen, denn er ist sich sicher: Der Klimawandel kann eigentlich nur mittels Technologie gelingen.

Die Umwelt durch einen grundlegenden Gesellschaftswandel besser zu schützen, daran glaubt der Unternehmer jedoch nicht: „Es wird aus meiner Sicht unmöglich sein, die Lebensgewohnheiten zu verändern.“ Er sehe da persönlich „fast keine Chance“. Müller macht das Bild mit dem Nachbarn auf: Man schaue rüber und sage „auf das und das kann ich verzichten“. Bei den eigenen Dingen „die einem selbst wichtig sind“ sei dies jedoch eher nicht der Fall, argumentiert er. Einschränkende Maßnahmen vonseiten der Politik, um doch gewisse klimaschädliche Lebensgewohnheiten ad acta zu legen, seien für ihn aber auch nicht der richtige Weg: „Würden wir drastisch, mit Gesetzen viele Dinge verbieten, dann glaube ich wirklich, dass wir nicht an der Klimakrise sterben werden, sondern an sozialen Unruhen.“

Technologie als einzige Lösung ist Aktivist Wagner aber zu wenig. Der ausgebildete Ökonom, der sich bis vor kurzem wissenschaftlich mit der Dekarbonisierung des Gebäudesektors beschäftigte, will Müllers Sorge vor gesellschaftlichen Konflikten durch verordneten Konsumverzicht so nicht stehen lassen. Er sehe darin das kleinere Problem und findet seinerseits drastische Worte: Passiere nicht mehr als heute bei den Klimamaßnahmen, seien bis zum Ende dieses Jahrhunderts zwei Milliarden Menschen zur Flucht gezwungen - „weil sie dort, wo sie jetzt wohnen, sterben würden“. Er verweist auf die gesellschaftliche Sprengkraft, die Migrationsthemen in den vergangenen Jahren bereits mit sich brachten. Für Wagner ist die drohende Erderwärmung demnach der viel gravierendere Nährboden für soziale Unruhen. Wagner fordert die Suche nach Perspektiven, die „uns aus dieser Misere herausbringen“.

Dass gerade die Logistikwirtschaft ein heißes Eisen für die Klimapolitik Österreichs ist, verdeutlicht auf dem Forum auch Holger Heinfellner vom österreichischen Umweltbundesamt. „Wir haben das Problem – und das haben wir seit Jahrzehnten –, dass die Strukturen für günstige fossile Energie aufgebaut wurden“, sagt Heinfellner und verweist damit – wie Müller – auf technologische Aspekte. Danach habe sich die globale Wirtschaft dann verständlicherweise auch gerichtet, folgert Heinfellner. Konkret im Güterverkehr werde es ihm zufolge „extrem schwierig“ Emissionen zu reduzieren, das „wissen wir mittlerweile“. Dagegen sei der Personenverkehr ein „Klacks“, bemerkt Heinfellner etwas salopp.

Macht statt Wissen

Der Diskurs über die Rolle des Straßengüterverkehrs driftet auf dem Forum aber immer wieder vom Erfordernis neuer Technologien ab und führt zu gesellschaftsstrukturellen Fragen. „Ich dachte es geht um Wissen, aber es geht um Macht, resümiert Johannes Stangl seinen Wandel vom Wissenschaftler zum Aktivisten im Laufe der vergangenen Jahre. „Ich weiß mittlerweile, dass meine Auffassung von gesellschaftlicher Transformation damals ziemlich naiv war.“ Auf dem Forum spricht er für die Klimabewegung Fridays for Future. Es gebe ihm zufolge Menschen, „deren Job es ist, die Klimawissenschaft eben nicht ernst zu nehmen“. Und es gebe auch zahlreiche Menschen, deren Job es sei, den fossilen Status Quo aufrecht zu erhalten – indem sie etwa neue Straßen bauen oder neue Konsummöglichkeiten schaffen würden. „Es ist doch nicht von ungefähr, dass wir alle so viel wollen, oder?“, fragt er in die Runde.

Wie schon Wagner, setzt auch Stangl auf einen Wandel der Lebensgewohnheiten – auf einen Wandel, an den Müller nicht glauben will: „Wir leben auf derselben Welt“, sagt der Transportunternehmer, auf dessen Firmensitz in Wiener Neudorf das Forum Green Logistics zusammentraf – und: „Wir werden uns nicht einer Meinung sein, aber eine Schnittmenge, die haben wir, glaube ich, auf alle Fälle.“ Mehrmals an diesem Abend ist auch selbstkritisch vom Ausbruch aus der „Komfortzone“ die Rede. Sowohl Aktivisten als auch Logistiker haben diese am vergangenen Mittwoch durch ihr Zusammentreffen bereits verlassen – und darauf waren sie berechtigterweise stolz. (fw)

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