Die Zahlen, die das Statistische Bundesamt zum Internationalen Tag der Umwelt am 5. Juni dieses Jahres veröffentlichte, lassen eine Tendenz erkennen, die auf den ersten Blick zuversichtlich stimmen kann: Denn 2022 wurden in Deutschland rund 399 Millionen Tonnen Abfälle entsorgt. Seit dem Höchststand von 417,2 Millionen Tonnen im Jahr 2018 geht das Aufkommen nicht nur Jahr für Jahr zurück. Es ist auch erstmals seit 2013 unter die Marke von 400 Millionen Tonnen gesunken. Bei genauerer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass Bau- und Abbruchabfälle nach wie vor mit 216,2 Millionen Tonnen weiterhin den Großteil des Gesamtaufkommens ausmachen. Zwar ging auch ihr Anteil erneut zurück, doch lediglich um 2,6 Prozent.
Vor dem Hintergrund, dass in der EU-Taxonomie der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft seit 2023 eines der sechs festgelegten Umweltziele ist, wächst der Druck, daran etwas zu ändern. Die Bau- und Immobilienwirtschaft stellt das vor enorme Herausforderungen, denn sie zählt zu den ressourcenintensivsten Wirtschaftssektoren. Es ist daher höchste Zeit, das Planen und Bauen neu zu denken und Lösungen dafür zu entwickeln, wie die Ressourcenwende gelingen kann. Die gute Nachricht ist, dass bereits 89 Prozent der Bau- und Abbruchabfälle verwertet werden. Das geschieht jedoch bislang nur auf niedrigem Verwertungsniveau, wie zum Beispiel im Tiefbau. Geht es nach der EU-Taxonomie, lautet das Ziel, verbaute Materialien am Lebenszyklusende eines Gebäudes wieder dem Kreislauf zuführen beziehungsweise Stoffströme schließen zu können. Diese höherwertige Verwertung ist allerdings ein anspruchsvolles Unterfangen. Sie setzt eine andere Planung und Umsetzung von Rückbaumaßnahmen voraus. Die relevanten Schlüsselbegriffe in diesem Kontext lauten: Transparenz und Prozessoptimierung. Zur Beantwortung der Frage, ob Materialien überhaupt wiederverwertet werden können, müssen sie zunächst identifiziert und auf ihre Kreislauffähigkeit bewertet werden. Besteht darüber Klarheit, stehen die Fragen im Raum, was wie mit ihnen geschehen soll. Sprich: Welche Materialien können wiederverwertet, welche recycelt und welche müssen möglicherweise doch entsorgt werden? Diese intensive Auseinandersetzung mit dem Rückbauprozess bildet die Grundlage dafür, eine ehrliche Materialstrombilanz erstellen zu können. Die Zertifizierung ist der Maßstab für die Qualitätssicherung und zugleich auch die Erfolgskontrolle – schließlich werden alle Materialien erfasst und entsprechend dokumentiert.
• 14 Hektar umfasst das Betriebsgelände des multifunktionalen Gewerbe- und Industrieparks „The Tube“.
• 6.000 Lkw-Bewegungen konnten eingespart werden.
• 100.000 Tonnen Abbruchmaterial wurden vor Ort recycelt.
(Quelle: Frasers Property Industrial)
Effekte eines strukturierten Rückbaus
Dass sich eine strukturierte Vorgehensweise lohnt, lässt sich an ersten Zwischenergebnissen beim Rückbau der ehemaligen Vallourec Röhrenwerke in Düsseldorf-Reisholz, jetzt als „The Tube“ bekannt, veranschaulichen. Es ist eine Pilot-Zertifizierung. Denn erstmals wird eine Gold-Zertifizierung für einen ressourcenschonenden Gebäuderückbau von Industrieflächen in dieser Größenordnung bei der deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) angestrebt. Die Zwischenbilanz: Etwa 100.000 Tonnen Abbruchmaterialien wurden vor Ort recycelt. Von 12.500 Tonnen Rohmaterial konnten knapp 10.500 Tonnen einem direkten Recyclingkreislauf zugeführt werden. Dies führte zu einer Verringerung der Abfallmenge und ermöglichte gleichzeitig, rund 6.000 Lkw-Bewegungen einzusparen. Durch die Reduktion und Optimierung von Verwertungs- und Entsorgungswegen werden CO2-Emissionen sowie die durch Lärm, Staub und Fahrzeugbewegungen verursachten Umweltbelastungen verringert. Auch das steht im Fokus der Zertifizierung. Damit nicht genug. Um die Nachnutzung von bestehenden Gebäuden zu fördern beziehungsweise Möglichkeiten der Weiternutzung auszuloten, ist die Zertifizierung des Rückbaus an eine Bedarfsprüfung gekoppelt. Gelingt es dem Bauherrn nicht, plausibel zu begründen, warum der Rückbau einer weiteren Nutzung des Gebäudebestands vorgezogen wird, ist eine Zertifizierung von vornherein ausgeschlossen. Der Rückbau soll im Sinne der Nachhaltigkeit die letzte Option sein. Mit „The Tube“ entsteht auf einem 14 Hektar großen Betriebsgelände ein multifunktionaler Industrie- und Gewerbepark, der in punkto Nachhaltigkeit in vielerlei Hinsicht neue Maßstäbe setzen wird. Der zertifizierte Rückbau des Gebäudebestands schaffte die Grundlage dafür, dass an dem Standort in Zukunft die neuen Gebäude klimaneutral betrieben werden und eine ausgeglichene CO2-Bilanz aufweisen können.
Die nächsten Schritte gehen
Logistik ist für ein funktionierendes, modernes Wirtschaftsleben essenziell. In Deutschland haben landwirtschaftliche Nutzungen einen Flächenanteil von rund 50 Prozent. Lediglich 14,5 Prozent der Gesamtfläche werden für Siedlung und Verkehr genutzt. Trotzdem gehen mit Logistikansiedlungsvorhaben immer häufiger Zielkonflikte einher, die verhandelt werden müssen. Denn die Anforderungen werden nicht nur mit Blick auf die Zielvorgaben der EU-Taxonomie komplexer. Auch das definierte Klimaschutzziel, bis 2045 in Deutschland treibhausgasneutral zu sein, sowie den Flächenverbrauch bis 2050 auf netto null zu senken, erfordern ein Umdenken aller Akteure. Maßnahmen zum Klimaschutz, zur Senkung des Ressourcen- und Flächenverbrauchs und zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft sind in diesem Kontext elementar wichtige Bausteine. Damit die vorgegebenen Ziele erreicht werden, sind auf dem Weg noch viele Fragen zu klären – abgesehen von Richtlinien und Standards, die es neu zu definieren gilt. Von Albert Einstein stammt das Zitat: „Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Und im Alleingang schon gar nicht. Alle Stakeholder sind deshalb gefordert, sich an der Entwicklung von Lösungen zu beteiligen und neue Wege zu gehen. (tof)
Alexander Heubes ist Managing Director Europe bei Frasers Property Industrial