DVZ: Herr Berberich, Nachhaltigkeit, Grüne Logistik, Umweltschutz. Seit wann und wie hat sich Ihr Unternehmen diesem großen komplexen Thema angenommen?
Georg Berberich: Wir beschäftigen uns mit dem Thema seit weit über fünfzehn Jahren. Konzepte zur Verbrauchsoptimierung oder zur Transportvermeidung gibt es bei uns schon lange. Denn der beste Transport ist der, den man nicht fährt. In den 2000er-Jahren haben wir uns mit Biodiesel beschäftigt, der ist aber aus steuerlichen Gründen irgendwann verschwunden. Seit 2003 heizen wir unsere Verwaltungsgebäude mit Wärmepumpen. Das war vor 20 Jahren noch Pionierarbeit. 2010 haben wir schon einen Carbon-Footprint-Rechner für unsere Transportlogistik-Dienstleistungen eingeführt. Wir waren bei vielen Themen, die heute Mainstream sind, einige Jahre früher dran.
Wie blicken Sie aktuell auf die Entwicklung bei den alternativen Antrieben?
Endlich kommt Bewegung in die Branche. Es gab ein paar zaghafte Anfänge, die allerdings nicht von Dauer waren. Im Prinzip war bis vor drei, vier Jahren der Diesel Standard. Man hat sich branchenweit damit beschäftigt, wie man den Dieselverbrauch reduzieren kann. Aber richtig dekarbonisieren konnten die Unternehmen in den letzten Jahren im Straßengüterverkehr nicht. Jetzt kommt mit verschiedenen Entwicklungen wie LNG oder CNG Bewegung in die Thematik. Natürlich gilt immer: Nur eine CO₂-neutrale Lösung ist eine echte Lösung. Das ist bei fossilem LNG und CNG nicht der Fall. In den kommenden Jahren steht nun die Welle der Elektrifizierung an. Vieles davon steckt noch in den Kinderschuhen. Aber im Moment öffnet sich auch hier das Feld und das wird sehr spannend.
Warum kommt erst jetzt richtig Bewegung bei den alternativen Antrieben? Warum nicht früher?
Hier spielen mehrere Punkte eine Rolle. Gasbetriebene Fahrzeuge gibt es ja bereits seit vielen Jahren. Insbesondere in Italien oder Spanien sind solche Fahrzeuge schon seit langem Usus. In Deutschland sorgte etwa die Mautbefreiung bei diesem Thema für Bewegung. Das Thema Elektro wiederum ist technologisch unter anderem dadurch getrieben, dass der Pkw-Bereich elektrifiziert wird. Das wirkt sich auch auf die Lkw-Sparte aus. Aber es sind auch die Kunden und gesetzlichen Vorschriften, die auf viele Unternehmen einwirken, sich mit dem Thema Dekarbonisierung zu beschäftigen. Das ist ein ganz, ganz großes Thema. Vor einigen Jahren bestand hier kein großes Interesse. Inzwischen ist die Nachfrage nach dieser Art von Verkehr vorhanden.
Die meisten Logistiker setzen mittlerweile auf Elektro-LKWs oder testen Wasserstoff-Lösungen. Reichhart geht einen etwas anderen Weg: Sie setzen aktuell voll auf Biomethan. Warum?
Biomethan ist eine Technologie, die wettbewerbsfähig ist und einen Industriestandard in der Fahrzeugtechnik erreicht hat. Dies gibt uns die beste Möglichkeit, momentan in CO₂-neutrale Verkehre zu investieren. Bei Elektro und Wasserstoff entwickelt sich aktuell zwar viel, aber wenn man heute im Verkehrsbereich in der Masse dekarbonisierte Verkehre anbieten will, ist Biomethan die einzige Möglichkeit. Unser Ansinnen ist es, unseren Kunden JETZT eine Lösung zu bieten. Was im nächsten oder übernächsten Investitionszyklus passiert, ist noch offen. Sollte sich bis dahin eine andere Technologie so weiterentwickeln, dass es die für uns wirtschaftlichere oder technisch passendere Lösung ist, dann werden wir uns möglicherweise für Elektro, Wasserstoff oder andere Möglichkeiten entscheiden. Wichtig ist für uns, dass wir heute Verkehre dekarbonisieren und nicht erst in fünf, zehn oder 15 Jahren. Das kommt auch bei unseren Kunden sehr gut an.
Sie haben bislang 10 Lkws auf Bio-LNG umgerüstet. Nun ist ein weiterer Umbau geplant. Was haben Sie konkret vor?
Ab Herbst können wir unsere CNG-Fahrzeuge an unserer eigenen Tankstelle betanken. Wir beschäftigen uns natürlich laufend damit, in den nächsten Monaten unseren CNG- und LNG-Fuhrpark weiter auszubauen. Wir wollen mit unseren Fahrzeugen für unseren Kunden und Autoteilegroßhändler LKQ Stahlgruber, der zu LKQ DACH gehört, bis Ende des Jahres eine Dekarbonisierung von 25 Prozent erreichen. Weitere Investitionen sind geplant. Hier sind wir aber auch von der Fahrzeugverfügbarkeit abhängig.
Wie lang sind die von Ihnen genannten Investitionszyklen?
Das sind fortlaufende Entscheidungen. Wir investieren in Zyklen von drei bis fünf Jahren, je nachdem wie auch die technische Entwicklung voranschreitet. Das Antriebsthema ist eigentlich ein Dauerbrenner für uns und beschäftigt uns bei jeder Kaufentscheidung von Neuem. Wir fahren 40 Prozent unserer Transporte im Eigenfuhrpark und arbeiten bei den restlichen 60 Prozent mit festen Partnern zusammen. Diese Unternehmer müssen auch mitgenommen werden, wir müssen sie von unseren Dekarbonisierungsplänen überzeugen.
Was sicher nicht immer einfach ist.
Das ist viel Arbeit, die uns bestimmt noch fünf bis zehn Jahre beschäftigen wird. Hinzu kommt die bislang schlechte Tankstelleninfrastruktur für alternative Antriebe, die sich nun hoffentlich verbessert. Hier bin ich optimistisch. Denn wenn wir schauen, was in den letzten fünf Jahren an Entwicklung in diesem Bereich passiert ist und das auf die nächsten fünf Jahre projizieren, dann wird sich der Engpass schnell auflösen.
Stichwort Tankstelleninfrastruktur. Wie sieht es mit Tankstellen für LNG und CNG aus?
Im LNG-Bereich ist bereits ein relativ gutes Tankstellennetz vorhanden, allerdings sind das meist fossile Kraftstoffe. Unsere Fahrzeuge sind aktuell auf zwei Routen unterwegs, auf denen es Tankstellen für Bio-LNG gibt. Sehr viele Anbieter stellen momentan auf Bio-LNG um. Ich bin mir sicher, dass in ein bis zwei Jahren eine flächendeckende Versorgung vorhanden ist. Im Moment können wir aber einen nicht unbeträchtlichen Teil unserer Verkehre nicht dekarbonisieren, weil das Tankstellennetz noch nicht ausgebaut ist. Das ist sehr ärgerlich.
Reichhart Logistik
Das Unternehmen wurde 1967 von Horst Reichhart als Ein-Mann-Transportunternehmen gegründet und wird heute von seinem Sohn Alexander Reichhart weitergeführt. Heute ist Reichhart Logistik nicht nur ein Transportunternehmen, sondern ein Logistikdienstleister, der alle Logistikleistungen entlang der Supply Chain anbietet. Das Unternehmen hat über 800 Mitarbeiter an 15 Standorten, die meisten davon in Deutschland. Für das Jahr 2023 ist ein Umsatz von knapp 90 Millionen Euro geplant.
Bis Ende 2023 wollen Sie nun die Verkehre für LKQ Stahlgruber, einem Großhändler für Kfz-Teile, Zubehör und Werkstattausrüstung, also um 25 Prozent dekarbonisieren. Bis 2028 soll es eine vollständige Dekarbonisierung geben. Wie ist es zu diesem gemeinsamen Projekt gekommen?
Mit LKQ Stahlgruber arbeiten wir seit über 50 Jahren zusammen. Wir versorgen die einzelnen Filialen und haben dazu rund 100 Fahrzeuge im Einsatz. Hier haben wir am Anfang zwei LNG-Fahrzeuge integriert, um entsprechende Erfahrungen zu sammeln. Perspektivisch hatten wir natürlich immer das Ziel, diese Fahrzeuge mit Bio-LNG zu betreiben. Vor rund einem Jahr kam von LKQ STAHLGRUBER die Frage, welche Dekarbonisierungs- und Klimaziele wir bei Reichhart haben. Daraufhin haben wir unser Konzept vorgestellt und gemeinsam beschlossen, dass wir weitere Schritte zusammen unternehmen wollen. Das hat zeitlich auf beiden Seiten perfekt gepasst.
Haben das Thema auch andere Kunden bei Ihnen angesprochen?
Ja, ganz klar. Wir haben 2019 und 2020 gemerkt, dass sich viele Kunden mit der fortschreitenden Klimadebatte damit befasst und dann auch bei uns angefragt haben, welche Lösungen wir anbieten. Während Corona und der einhergehenden Lieferkettenprobleme ist das Thema etwas in den Hintergrund gerückt, aber inzwischen werden diese Anfragen wieder vermehrt gestellt. Die Kunden fordern klimafreundliche Lösungen. Logistiker müssen vorweisen, was sie tun, um Emissionen zu reduzieren.
Beim Thema Biomethan setzen Sie aktuell auf eine Partnerschaft mit dem Bioenergie-Produzenten Verbio. Wie ist diese Zusammenarbeit zustande gekommen?
Kontakt zu Verbio besteht schon seit über zwei Jahren, nun arbeiten wir das erste Mal konkret zusammen. Um zu verstehen, was dahintersteckt, war für uns auch eine Besichtigung der Verbio-Produktion wichtig. So können wir das Thema auch unseren Kunden erklären. Denn wenn man von Biogas spricht, begegnen einem oft Vorurteile gerade mit Blick auf den Ressourcenverbrauch und die angebliche Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. In den ersten Monaten haben wir uns also intensiv kennengelernt. Dass die Tankstelle im Herbst für uns in Betrieb gehen wird, wurde vor fast einem Jahr beschlossen.
Was ist seitdem passiert?
An solch einem Projekt hängen Genehmigungsverfahren, Grundstücksfragen und weitere Aspekte, die teils viel Zeit benötigen. Diese Themen sind in Deutschland leider nur mit einem Vorlauf von Jahren umsetzbar. Wir haben uns natürlich auch andere potenzielle Partner angeschaut, uns dann aber bewusst für Verbio entschieden. Uns war wichtig, dass die Produktion aus Reststoffen in Deutschland stattfindet. Außerdem baut Verbio in den kommenden Jahren ein flächendeckendes Netz an LNG- und CNG-Tankstellen in Deutschland auf, was für uns natürlich wichtig ist. Je breiter das Netz ist, umso besser können wir unsere Fahrzeuge einsetzen.
Laufen schon die Planungen, um die Partnerschaft mit Verbio weiter auszubauen?
Wenn Verbio das eigene Netz ausbaut, können wir darauf entsprechend zurückgreifen. Im Moment ist darüber hinaus nichts geplant. Sollte sich bei uns in einem bestimmten Gebiet ein konkreter Bedarf ergeben, besprechen wir das aber natürlich mit Verbio.
Georg Berberich
Der 44-Jährige ist seit 18 Jahren bei Reichhart Logistik tätig. Als stellvertretender Leiter Transportlogistik ist er für die Fuhrpark-Technik des Eigenfuhrparks verantwortlich und beschäftigt sich in dieser Funktion insbesondere mit alternativen Antrieben aber auch mit ganzheitlichen Nachhaltigkeitskonzepten.
Für Sie ist die Wirtschaftlichkeit von Biomethan, der aktuell große Vorteil. Warum setzen nicht mehr Logistiker darauf?
Die Politik sorgt leider für Verunsicherung. Sehr spannend wird, wie die Maut Verordnung 2024 aussehen wird. Hier sollen CO₂-Aufschläge in erheblicher Höhe auf die Maut erfolgen und entsprechend CO₂-neutrale Verkehre weiterhin begünstigt werden. Man hört, dass das nicht für Biomethan gelten soll, was ich nicht verstehen kann. Es ist eine Lösung, die wir heute schon umsetzen können und die im Verkehr erhebliche CO₂-Reduzierungen erreichen kann. Dass hier keine Klarheit herrscht, erschwert die Planung. Solche Unsicherheiten hemmen die Entwicklung. Deshalb wäre es sehr gut, wenn die Politik Technologie-offen handeln und bald Fragen beantworten würde.
Könnte eine finale politische Entscheidung zuungunsten von Biomethan die aktuelle Ausrichtung bei Reichhart infrage stellen?
Nein. Wir kalkulieren aktuell damit, dass die Mautbefreiung Ende des Jahres entfällt. Allerdings würde ein wirtschaftlicher Vorteil wegfallen. Das könnte Kunden dazu bewegen, sich möglicherweise nicht mehr so stark mit dem Thema zu beschäftigen. Was aber viel schlimmer wäre, ist die Signalwirkung. Es würde bedeuten, dass die Politik Biomethan als nicht mehr förderwürdig und zukunftsfähig sieht. Das würde die Investitionen nicht mehr in diesen Bereich lenken. Man würde damit endgültig sagen: „Die Zukunft sehen wir in Elektro und Wasserstoff.“
Wie sieht denn Ihr langfristiger Ausblick für die Antriebe aus? Einige politische Fragezeichen gibt es sicherlich noch zu klären. Aber was glauben sie, wie der Mix an Kraftstoffen in 2030 aussieht?
Die CO₂-Bepreisung sollte immer wichtiger werden. Damit wird der Diesel immer unwirtschaftlicher, was automatisch den Fokus auf Alternativen wie Biomethan, Elektro und Wasserstoff legt. Wir werden auch Elektro und Wasserstoff zur Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs brauchen. Ich glaube, es wird nicht die eine Lösung geben, sondern wir müssen alles pushen, um die Klimaziele zu erreichen.
Wann wird der Diesel wirklich nur noch eine untergeordnete oder gar keine Rolle mehr spielen?
Wenn ich die Entwicklung der vergangenen Jahre beim Ausbau der Tankstellen-Infrastruktur sehe und davon ausgehe, dass es so weitergeht, dann werden wir bei Reichhart in drei Jahren nur noch für 20 Prozent unserer Transporte echten Diesel benötigen. Diese Transporte werden in die hintersten Ecken von Frankreich oder Spanien führen, in denen es die Infrastruktur vermutlich noch nicht geben wird. Aber ich gehe fest davon aus, dass wir zeitnah eine flächendeckende LNG- und CNG-Infrastruktur in Deutschland und vielen umliegenden Ländern haben werden. Wichtige Fragen hierbei sind: Welche Mengen können die Biomethan-Hersteller mobilisieren? Wie schnell können Biogasanlagen und Verflüssigungsanlagen gebaut werden? Da sehe ich eher das Bottleneck, bei der Verfügbarkeit der Kraftstoffe. Ich glaube aber, es wird bei einigen Themen sehr viel schneller gehen, als es viele aktuell erwarten. Entscheidend ist dann nur, dass die Transportunternehmen und Flottenbetreiber auch in diese Fahrzeug-Arten investieren.