Die Energiewende darf für kleine und mittelständische Transportunternehmen nicht zur Überlebensfrage werden, warnt Prof. Detlef Stolten, Leiter des Instituts für Jülicher Systemanalyse. „Spätestens ab 2029 wird der Transport mit Diesel-Lkw nach unserer Projektion aufgrund der steigenden Energiekosten nicht mehr wirtschaftlich sein“, erklärt der Inhaber des Lehrstuhls für Brennstoffzellen am Institut für Maschinenwesen der RWTH Aachen.
Bereits ab 2027 greifen die Bestimmungen der Emissionshandelsrichtlinie der EU mit der Einführung des zweiten Emissionshandelssystems (EHS II/ETS 2); Projektionen zufolge wird der Tankstellenpreis dann zum Jahreswechsel um bis zu 40 Cent pro Liter ansteigen. In den Folgejahren erhöhen sich die Kosten für den CO2-Ausstoß weiter.
„Neben Elektro-Lkw werden selbst Brennstoffzellenfahrzeuge nach unseren Berechnungen ab 2029 günstiger zu betreiben sein als Verbrenner-Lkw mit fossilen Kraftstoffen“, unterstreicht Stolten. Angesichts dieser Vorhersage müssten sich Straßengüterverkehrsunternehmen dringend mit ihrer künftigen Antriebsstrategie befassen und die Voraussetzungen schaffen, um die Energiewende zu bewältigen.
Dabei sorge der Technologiewandel für eine Herausforderung, die für die Unternehmer kaum zu bewältigen sei. „Noch immer ist unklar, wie sich das Energiesystem in Deutschland weiterentwickeln wird und auf welche Energieträger die Bundesrepublik künftig setzt“, verdeutlicht der Analytiker. Unternehmen benötigten eine langfristig verlässliche Energiepolitik für ihre Investitionsentscheidungen. „Wir können heute aber nicht vorhersagen, ob Strom der hauptsächliche Energieträger der Zukunft sein wird oder ob auch Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen wird“, benennt er das Dilemma.
In jedem Fall müssten sich Transporteure darauf einstellen, ihr Geschäft mit anderen Fahrzeugen oder zumindest anderen Energieträgern als Diesel zu betreiben, weil fossile Kraftstoffe schon bald zu teuer würden und auch pflanzliche oder synthetische Alternativen Mehrkosten verursachten; das erhöhe die Komplexität der Betriebsführung erheblich. Hinzu komme, dass für einen Technologiewandel hohe Startinvestitionen erforderlich werden, die gerade kleine Unternehmen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Struktur kaum aufbringen könnten. „Auch mittelfristig wird die Herstellung von Elektro-Lkw um 20 bis 30 Prozent teurer sein als die von Verbrennern“, schätzt Stolten. Ähnliches gelte für Brennstoffzellenfahrzeuge. Zu hoch seien die reinen Technologiekosten. Zudem müssten die Betriebe weitere Mittel für die Anschaffung privater Ladeinfrastruktur einrechnen, sofern diese sich überhaupt realisieren lasse. Die Kapazität des Mittelspannungsnetzes, das für den Betrieb von Ladesäulen benötigt werde, unterscheide sich von Region zu Region beträchtlich und sei in der Summe stark begrenzt.
Zusammenarbeit als Ausweg
Für den Jülicher Systemanalytiker ist deshalb klar, dass es neue Ideen braucht, um die Unternehmen aus der Kosten- und Komplexitätsfalle zu befreien. „Aus meiner Sicht sollten sich insbesondere die kleinen Transportunternehmen zusammenschließen und zusammenarbeiten, wenn sie die Energietransformation ihrer Flotte sichern wollen“, rät der Energieforscher. Als erfolgreiches Beispiel für eine solche Struktur nennt er den Weinbau, der durch regionale Genossenschaften die Voraussetzungen dafür geschaffen habe, dass auch kleinste Betriebe weiter wettbewerbsfähig blieben. „Technisches Wissen wird künftig über die Wirtschaftlichkeit des Straßengüterverkehrs entscheiden“, betont Stolten und fügt hinzu: „Deshalb sollten sich lokale Transportunternehmen beispielsweise auf Kreisebene zusammenschließen und einen Energieingenieur beschäftigen, der Einsatz- und Bezugsmöglichkeiten sowie die benötigte Infrastruktur bewerten kann“, so der Vorschlag des Forschers. Dann könne es ihnen gelingen, im Wettbewerb mit Großflotten zu bestehen.
Planungs- und Einkaufsprozesse profitierten von der genossenschaftlichen Struktur erheblich. Der Aufbau von Infrastruktur erfordere ein straffes Projektmanagement und regionale Lobbyarbeit. „Viele der wichtigen Weichenstellungen erfolgen dafür auf der Ebene der Landkreise“, betont der Wissenschaftler. Für kleine Unternehmen sei es nahezu unerschwinglich, solche Aufgaben an externe Berater abzugeben. „Eine Genossenschaft kann solches Fachpersonal stattdessen kostengünstiger selbst beschäftigen“, verdeutlicht Stolten. „Ein Energieingenieur, der sich mit allen wichtigen Akteuren vor Ort verbindet, lernt außerdem bei jedem Projekt hinzu und kann Planungsprozesse immer effizienter gestalten“, benennt er weitere Chancen. Ganz wichtig sei auch, dass die Genossenschaft Einkaufsvorteile erzielen könne. Durch die Abnahme höherer Stückzahlen würden insbesondere Brennstoffzellen-Lkw deutlich eher erschwinglich.
Als Alternative zu batterieelektischen Lkw werden die Fahrzeuge, die Wasserstoff in Strom umwandeln, aus seiner Sicht eine wichtige Rolle auf den Fernstrecken im dekarbonisierten Straßengüterverkehr spielen. „Sicher erreichen Elektro-Lkw isoliert betrachtet eine höhere Effizienz, allein der Aufbau von Ladeinfrastruktur ist aber so zeitaufwendig und teuer, dass sie selbst mittelfristig nicht die einzige klimafreundliche Alternative zum Diesel bleiben dürften“, betont Stolten. Denn der Wissenschaftler erwartet, dass sich die Bundesrepublik Deutschland für Strom und Wasserstoff als Energieträger der Zukunft entscheidet: „Unsere Analysen zeigen, dass insbesondere die volkswirtschaftlichen Kosten für Anschaffung und Betrieb einer alternativen Energieversorgung dann erheblich geringer ausfallen“, erklärt er.
Dabei seien es eine Reihe von Faktoren, die dafür sprächen: „Erstens ist ein Energiesystem mit nur einem Energieträger zu störanfällig und unsicher im Hinblick auf Sabotage oder hybride Kriegsführung. Zweitens kann Deutschland zwar genügend Strom erzeugen, ihn aber kaum speichern oder mit den aktuellen Stromnetzen aus dem Norden bis in den Süden durchleiten. Und drittens fallen für ein rein strombasiertes Energiesystem deutlich höhere Infrastrukturkosten an“, begründet der Jülicher Forscher.
Dabei verfüge die Bundesrepublik grundsätzlich über das Potenzial, genügend Strom für den eigenen Bedarf aus regenerativen Quellen zu erzeugen. Windkraftwerke im Norden und Photovoltaikanlagen im Süden des Landes kämen zwar auf die benötigte Leistung; Strom stehe aber weder rund um die Uhr zur Verfügung noch könne er in hinreichender Menge gespeichert werden. „Aus physikalischer Sicht ist es unausweichlich, Wasserstoff als Energiespeicher zu verwenden“, betont der Hochschullehrer. Batteriespeicher, die deutlich über wenige Tage hinaus reichten, seien auch mittelfristig zu teuer und könnten nicht mit ausreichender Kapazität bereitgestellt werden. „Dagegen lässt sich eine dezentrale Energieversorgung mit Elektrolyseuren an den Netzknoten vergleichsweise einfach realisieren“, berichtet Stolten. Dort könne Wasserstoff hergestellt werden, der sich bei Bedarf über Wasserstoffkraftwerke wieder in elektrische Energie verwandeln lasse.
„Natürlich ist es nicht effizient, Strom durch Verbrennen von Wasserstoff zu erzeugen“, verdeutlicht der Wissenschaftler. Schließlich könnten offene Wasserstoffkraftwerke das Gas nur mit einem Wirkungsgrad von rund 30 Prozent rückverstromen. „Aber bevor wir Strom überhaupt nicht speichern können, verlieren Effizienzüberlegungen an Bedeutung“, zeigt er eine ungewöhnliche Perspektive auf; eine Rückverstromung sei ohnehin nur für wenige kurze Phasen im Jahr erforderlich. „Fossile Energieträger lassen sich hervorragend lagern und verfügen über eine sehr hohe Energiedichte – diese beiden Vorteile verlieren wir mit alternativen Energieträgern“, erklärt der Wissenschaftler. In einem flexiblen Energiesystem der Zukunft könne es deshalb nicht allein um Effizienz gehen, „jedenfalls nicht, wenn wir auch die Kosten der Energiebereitstellung berücksichtigen“, so Stolten weiter.
Wasserstoff als zweiter Energieträger
Dennoch bleibe der Effizienzgedanke ein Schlüssel zu bezahlbaren erneuerbaren Energien. Deshalb plädiert er für Wasserstoff als zweiten Energieträger der Zukunft im deutschen Versorgungssystem. Einmal elektrolysiert, könne dieser beispielsweise bedenkenlos als Brennstoff für Transportprozesse verwendet werden, so die Überlegung: „Brennstoffzellenfahrzeuge werden künftig in etwa den doppelten Wirkungsgrad heutiger Verbrenner-Lkw erreichen.“ Zudem sei es erheblich leichter, ein flächendeckendes Transportnetz für das Gas herzustellen, als das Stromnetz dafür zu ertüchtigen, Energie jederzeit dort bereitzustellen, wo sie benötigt werde. „Wir verfügen bereits über ein zu rund 80 Prozent flächendeckendes Pipelinenetz in Deutschland, das wir aktuell für Erdgas verwenden, aber für den Wasserstofftransport umwidmen können“, berichtet der Systemanalytiker.
Das sei auch erforderlich, weil grüner Wasserstoff selbst für eine strombasierte Energieversorgung als Reserveenergieträger benötigt werde, der die Energieversorgung bei Dunkelflauten im Winter sichere, während denen zu wenig Strom aus Sonnenlicht und Windenergie erzeugt wird. „Auch die heutigen Erdgasspeicher werden dann zur Lagerung von Wasserstoff umgewidmet; in Deutschland verfügen wir mit Salzkavernen in Niedersachsen über das größte Speicherpotenzial Europas“, erklärt Stolten. Allerdings reiche selbst deren Kapazität in einem rein strombasierten Energiesystem nur zur Überbrückung einer rund zweiwöchigen Dunkelflaute aus, wenn die gesamte deutsche Industrie Biomasse für ihre Energieversorgung verwende. „In den Wetterdaten der vergangenen 30 Jahre finden sich aber bis zu dreiwöchige Episoden“, berichtet er.
Demzufolge geht der Jülicher Systemanalytiker davon aus, dass Wasserstoff für ein besseres Risikomanagement stärker in die Energieversorgung eingebunden werde. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass alles stillsteht, wenn der Strom ausfällt, sogar der Güterverkehr“, benennt der Metallurge das Problem. Es sei außerdem sicher, dass Wasserstoff als Brennstoff für Hochtemperaturprozesse ab 800 Grad in der Chemie- und Stahlindustrie dringend benötigt werde. „Unsere Simulation zeigt, dass wir selbst für ein hybrides Energiesystem rund 40 Prozent des benötigten Wasserstoffs zu wirtschaftlichen Bedingungen hierzulande herstellen können“, unterstreicht der Brennstoffzellenforscher.
Für den Import der Restmenge gebe es mehrere Szenarien, wo Energiemärkte entstehen und unter welchen Bedingungen der Wasserstoff nach Deutschland transportiert werden könne: innerhalb Europas als Binnenmarkt, der über bestehende Pipelines bedient werden kann, in Nordafrika, das über eine marokkanische Pipeline mit Europa verbunden ist, und auf der arabischen Halbinsel. Insgesamt steht nach Berechnungen des Jülicher Instituts weit mehr grüner Wasserstoff als benötigt zur Verfügung. „Allein Saudi-Arabien könnte mühelos mehr als das Zehnfache des deutschen Bedarfs erzeugen“, betont Stolten.
Dort lasse sich Wasserstoff zu Niedrigstpreisen von rund 2 Cent pro Kilowattstunde herstellen; deshalb sei auch ein Import nach Deutschland für Preise zwischen 4 und 8 Cent realistisch. Für die Transportbranche habe sein Institut errechnet, dass Wasserstoff bereits ab Brennstoffpreisen von 22 Cent je Kilowattstunde wirtschaftlicher sein werde als Diesel. Dafür werde allerdings eine erhebliche Infrastruktur benötigt, deren Aufbau Zeit koste: Der Wasserstoff müsse gekühlt, verflüssigt und auf Schiffe verladen werden, die den gekühlten Transport ermöglichten, in Deutschland wieder erwärmt und dem Pipelinenetz zugeführt werden. „Je nach Einkaufsmenge und Entfernung des Exportlandes werden zwischen 60 und 100 Schiffe benötigt“, so Stolten. Der Konzern Kawasaki Heavy Industries arbeite an der gesamten Lieferkette und habe das erste auf den Wasserstofftransport ausgelegte, integrierte Tankschiff für 2030 angekündigt.
Trotz solcher technischen Herausforderungen ist Stolten sicher, dass ein Weg nicht mehr eingeschlagen werden könne: der Wiedereinstieg in die Atomenergie samt Aufbau neuer Kraftwerke. Um mit erneuerbaren Energien konkurrieren zu können, müssten die Investitionskosten für Kernenergie 6.600 Euro pro Kilowatt installierter Leistung unterschreiten. Angesichts der Kosten für die gesamte erforderliche Technikkette erwarte er aber selbst bei einem Drittel geringeren Investitionskosten einen Maximalanteil von 10 Prozent der Atomkraft an der Stromerzeugung. Dabei seien die Entsorgungskosten des Nuklearmaterials noch nicht einmal berücksichtigt. „Ob es dafür überhaupt eine gesellschaftliche Akzeptanz gibt, wäre erst noch zu klären, besonders hinsichtlich der Endlagerung“, gibt er zu bedenken.
Mitarbeit: Frederic Witt