Um das Jahr 2050 soll die Netto-Null in der Schifffahrt erreicht werden. Das hat die internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO (International Maritime Organization) vergangenes Jahr festgelegt. Neben Treibstoffen, die weniger Emissionen verursachen, wird in der Branche zunehmend auch auf Wind gesetzt. Dabei gibt es jedoch nur wenige reine Frachtsegler. Bei den allermeisten Schiffen dient der Wind als Zusatzantrieb.
Zum Einsatz kommen dabei ganz unterschiedliche Segeltypen: Die bereits in den 1920er-Jahren entwickelten Flettner-Rotoren, also rotierenden Zylinder, wurden weiterentwickelt und erleben ein kleines Revival. Ein anderes Beispiel sind Flügelsegel mit eingebautem mechanischen Luftansaugmechanismus, die bereits auf einer Reihe von Stückgut- und Massengutfrachtern sowie Öl- und Chemikalientankern installiert sind. Überdies zählen Hartsegel, Kites, Weich- und Rumpfsegel sowie Windturbinen zu den Technologien.
Wie viele Schiffe mit Windzusatzantrieb es ganz genau sind, ist nicht so einfach zu beziffern. Bei DNV etwa liegen angepasste Schätzungen vor, die zum Teil auf dem World Fleet Register des britischen Schiffsmaklers Clarkson basieren. Demnach sind derzeit 38 im Betrieb und 76 beauftragt. Bereits im Betrieb sind hauptsächlich Bulker (11) und RoRo-Schiffe (8). Hinzu kommen einige Tanker (5) sowie Stückgut- und Mehrzweckschiffe (4). In den Auftragsbüchern stehen zudem 28 Stückgutschiffe, 25 Tanker und 10 Bulker.
Nach Angaben von Gavin Allwright, Generalsekretär der International Windship Association (IWSA), sind derzeit etwa 50 große Frachtschiffe mit Windantrieb ausgestattet. Überdies sind zehn Schiffe für Windantrieb bereit. „Ende des dritten Quartals 2023 hatten wir 31 installierte Schiffe, das heißt die Zahl der großen Schiffe ist in den vergangenen zwölf Monaten um 20 gestiegen. Die Zahl 100 wird wahrscheinlich innerhalb der nächsten zwölf Monate erreicht werden, und wir erwarten, dass die Zahl bis zum Ende des ersten Quartals 2025 auf 80, möglicherweise auf 87 Schiffe mit Windantrieb und dafür taugliche ansteigt.“
Das Potenzial ist womöglich groß: „Nach EU-Forschungsergebnissen könnten bis 2030 bis zu 10.700 Windantriebssysteme installiert sein, die 50 Prozent des Massengutfrachtmarktes und bis zu 65 Prozent der Tankschiffe abdecken“, berichtet Allwright. Dies würde zu einer Verringerung der CO2-Emissionen um 7,5 Millionen Tonnen führen. „Bei vollständiger Markteinführung könnte der Windantrieb bis zu einem Drittel des Antriebsenergiebedarfs der Flotte oder bis zu 1 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen decken.“
Doch wie sieht es in der Containerschifffahrt aus?
Seit Anfang 2023 arbeitet Hapag-Lloyd an einer Konzeptstudie für ein 4.500-TEU-Containerschiff mit Methanol-Dual-Fuel-Hauptmotor und einem windunterstützten Antriebssystem (Wind Assisted Ship Propulsion, kurz WASP). Neben der Hamburger Reederei gehören dem Projektkonsortium der Tragflächensegel-Technologieanbieter Ocean Wings (früher Ayro), das Ingenieur- und Beratungsunternehmen Technolog Services und das Segelteam Team Malizia um Boris Herrmann an.
„Das Konzept-Segelsystem umfasst acht Ocean Wings mit einer Gesamtfläche von etwa 2.900 Quadratmetern“, berichtet Christoph Thiem, Leiter Fleet Innovation bei Hapag-Lloyd. Die sechs hinteren Flügelsegel können mit Hilfe eines von Ocean Wings entwickelten Hebemechanismus vollständig abgesenkt werden. Die beiden vorderen Flügelsegel sind kippbar.
„Erste Studienergebnisse zeigen, dass die Flügelsegel unter den meisten Bedingungen zu einer Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs der Hauptmaschine führen“, so Thiem. „Wie erwartet, hängen die mit dem WASP-System erzielbaren Kraftstoffeinsparungen aufgrund unterschiedlicher Windverhältnisse von dem Gebiet ab, in dem das Schiff eingesetzt wird.“
Bei einer durchschnittlichen Schiffsgeschwindigkeit von 15,5 Knoten werde der Kraftstoffverbrauch der Hauptmaschine bei dem untersuchten Einsatz rund um Südamerika um durchschnittlich circa 10 Prozent reduziert. Im Gegensatz dazu liegen die Kraftstoffeinsparungen auf der untersuchten Transatlantikroute bei gleicher Geschwindigkeit bei etwa 20 Prozent.
Darüber hinaus könnten die (relativen) Kraftstoffeinsparungen durch eine Reduzierung der Schiffsgeschwindigkeit erheblich gesteigert werden: „Für die Route um Südamerika steigen die relativen Kraftstoffeinsparungen von etwa 10 Prozent auf fast 20 Prozent, wenn die Schiffsgeschwindigkeit von durchschnittlich 15,5 auf 12,5 Knoten reduziert wird“, unterstreicht Thiem.
Windantriebe brauchen Platz und Stauraum
Es gibt allerdings auch einige Herausforderungen. Da ist zunächst der Platzbedarf: „Segelsysteme müssen zwischen den Laderäumen angebracht werden, um eine ausreichende Segelfläche für eine hohe Nutzung der Windenergie zu erhalten“, erläutert Thiem. Auf bestehenden Schiffen sei aber nicht genügend Platz vorhanden, so dass fortschrittliche Segelsysteme in der Regel nur auf Containerneubauten eingesetzt werden können.
Ein weiteres Problem: die Verstauung. „Um Störungen während des Lade- und Löschbetriebs im Hafen und zusätzliche höhenbedingte Durchfahrbeschränkungen zu vermeiden, sollten Segelsysteme Hebe- oder Neigefunktionen enthalten, die einen entsprechenden technischen Aufwand, eine höhere Systemkomplexität und zusätzliche Kosten verursachen“, so Thiem. Nicht zuletzt gebe es auch Einschränkungen beim Routing: „Um die Nutzung von Segeln zu maximieren, sollten Schiffe auf bestimmten Routen mit guten Windbedingungen eingesetzt werden.“
Aus Sicht von Allwright liegen die Hürden vor allem in den Geschäftsmodellen, was für die Containerschifffahrt besonders wichtig sei. Unter dem Gesichtspunkt der Kapitalrendite würden Windantriebssysteme für Nachrüstungen insgesamt bei drei bis vier Jahren liegen. Voraussetzung sei ein Kraftstoffpreis in Höhe von 600 bis 700 US-Dollar, was bei einer vollständigen Umsetzung des EU-Emissionshandelssystems der Fall wäre. „Diese Zahlen beruhen jedoch auf einem Schiff, das sein Betriebsprofil nicht anpasst“, so Allwright. „Wenn man Windrouting einbezieht, könnte sich diese Amortisationszeit erheblich verkürzen.“
Auch Allwright weiß um die Platzprobleme und begrenzte Deckfläche. Für die Nachrüstung könne seiner Ansicht nach eine modulare (containerisierte) Anlage für kleinere Zubringerschiffe in Frage kommen, wie sie gerade von der japanischen Reederei One erprobt wird. Drachen seien eine Option außerhalb des Decks.
Entscheidend sei aber: „Wenn der Treibstoffpreis die tatsächlichen Kosten widerspiegelt, wird die Abwägung zwischen einer Senkung der Betriebskosten um etwa 10 Prozent und einem geringen Verlust an Laderaum attraktiver“, so Allwright. „Bei Neubauten wie dem Hapag-Lloyd-Konzept und anderen können Windantriebssysteme mit minimaler Unterbrechung des normalen Betriebs, aber zu höheren Kosten in das Design integriert werden.“