Erste Passagierflugzeuge mit Wasserstoffantrieben sollen in absehbarer Zukunft abheben. Airbus will bis 2035 zudem das erste Wasserstoffflugzeug in den Liniendienst bringen. Das Start-up H2fly plant ab 2029 kommerzielle Flüge in einer 40-Sitzer-Propellermaschine. Doch dass diese Technologie rechtzeitig skalierbar ist, um bis 2050 einen Beitrag zur anvisierten CO₂-Neutralität für Europas Luftfahrt zu leisten, ist eher unwahrscheinlich.
Insbesondere in der Luftfracht werde diese Technologie, sofern sie sich durchsetzt, erst sehr viel später ankommen. Eike Stumpf, Professor an der RWTH Aachen, rechnet damit, dass eine nennenswerte Frachterflotte mit Wasserstoffantrieben erst nach 2075 zur Verfügung stehen wird. Seine Begründung: „Passagierflugzeuge werden zum großen Teil zu Frachtern konvertiert, wenn sie nach etwa 20 bis 25 Jahren ausgemustert werden. Bei einem Szenario, bei dem im Jahr 2050 ein Teil der Passageflotte mit Wasserstoffantrieben fliegt, erreicht diese Technologie die Luftfracht etwa ein Vierteljahrhundert später.“
Energiedichte zu gering
Für Stumpf zeichnet sich zusätzlich ab, dass Wasserstoff als Treibstoff für Frachtflugzeuge ein Platzproblem darstellt. Aufgrund des enormen Volumens von Wasserstoff muss er im verflüssigten Zustand bei minus 253 Grad mitgeführt werden, was große und schwere Tanks erfordert. Die ideale Lösung seien kugelförmige Behälter.
Diese ließen sich aber nicht wie bisher in den Flügel integrieren, sondern würden im Rumpf platziert – zulasten der Frachtkapazität, so Stumpf. Aus Sicht des Professors lohnt sich deshalb ein Blick in alternative Flugzeugkonzepte abseits der klassischen Drachenkonfiguration. Eine Markteintrittschance für Frachter sieht er für eine übergangslose Flügel-Rumpf-Verbindung (Blended Wing Body).
Für Daniel Riefer, Partner bei McKinsey, ist noch nicht erkennbar, wie Wasserstoffantriebe in der Luftfahrt vor 2040 skalieren und einen nennenswerten Beitrag zur CO₂-Reduzierung leisten werden. Der ehemalige Lufthansa-Pilot geht davon aus, dass die Technologie zunächst auf regionalen Strecken eine Chance hat. Diese seien aber nur für einen geringen Anteil an den CO₂-Emissionen von circa 5 Prozent verantwortlich.
An SAF kommt man nicht vorbei
Er folgert: „Wir werden auf absehbare Zeit nicht um die Nutzung von nachhaltigen Treibstoffen herumkommen, wenn wir CO₂-Emissionen in der Luftfahrt reduzieren wollen. Je größer das Flugzeug und je länger die Flugdistanz, desto relevanter ist Sustainable Aviation Fuel – kurz SAF.“ Das Thema nachhaltige Treibstoffe begleitet den 41-Jährigen seit 2011. Damals durfte er als verantwortlicher Projektmanager für Lufthansa den ersten Flug mit Biokraftstoffen im Rahmen einer Testserie durchführen.
Die Luftfracht habe es bei Zukunftskonzepten mit Wasserstoffantrieben besonders schwer. Hierfür sieht Riefer drei Gründe: „Erstens werden tendenziell große Distanzen zurückgelegt. Zweitens ist typischerweise schwere Nutzlast zu transportieren, drittens werden hauptsächlich ältere Flugzeuge eingesetzt.“ All das spreche in diesem Marktsegment für kohlenwasserstoffbasierte Treibstoffe mit höchster Energiedichte.
In diese Richtung wiesen auch die hohen selbstgesteckten SAF-Ziele der KEP-Dienstleister DHL, Fedex und UPS. Diese streben in 2030 eine SAF-Beimischung von 30 bis 35 Prozent an. Im Vergleich dazu liegt die von der EU vorgeschriebene Beimischungsquote ab 2025 zunächst bei nur 2 Prozent für Abflüge aus Europa. Doch auch die SAF-Zukunft ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht belastbar. Aktuell verbraucht die Luftfrachtindustrie jährlich über 300 Millionen Tonnen Kerosin.
Der Anteil von nachhaltig hergestelltem Kraftstoff liegt bei etwa 0,1 Prozent. Auch wenn dieser Zukunftsweg mit vielen Unsicherheiten behaftet ist, geht Riefer davon aus, dass sich SAF leichter skalieren lässt als ein ganzheitliches Luftfahrtkonzept für Wasserstoffantriebe.
Wasserstoff nicht abschreiben
Björn Nagel geht davon aus, dass Wasserstoff als Energieträger dennoch einen entscheidenden Beitrag leisten kann, um künftig klimaneutral zu fliegen. Dass seine These angesichts der vielen Hürden verwegen erscheint, ist dem Gründungsdirektor des Instituts für Systemarchitekturen in der Luftfahrt am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bewusst.
Seiner Einschätzung nach hat die Wasserstofftechnologie theoretisch das Potenzial, in der praktischen Nutzung effizienter zu sein als SAF. Nagel erläutert: „Für die Herstellung des synthetischen Kerosins mit dem Verfahren Power-to-Liquid wird 75 Prozent mehr Energie benötigt als für flüssigen Wasserstoff.“ Zwar schrumpfe der Vorteil von Wasserstoff auf 30 bis 40 Prozent, wenn man dessen Transport zu den Flughäfen mit einbezieht. Das habe eine DLR-Studie für zwölf ausgewählte Flughäfen ergeben, berichtet Nagel. Doch es bleibe noch ein großes Polster zugunsten von Wasserstoff, was ihn wirtschaftlich perspektivisch interessant machen könnte.
Nagel geht davon aus, dass im ersten Schritt Flugzeugtypen für den breiten Markt lanciert werden. Nur so ließen sich die damit verbundenen Investitionen, auch in die Bodeninfrastruktur der Flughäfen, rechtfertigen. In einem weiteren Schritt ist es für ihn vorstellbar, dass sich mit Kerosin betriebene Kurzstreckenflugzeuge zu Wasserstoff-Frachtfliegern umrüsten lassen.
Technisch könnten Wasserstoffkapseln als Energieträger genutzt werden, wie sie der US-Hersteller Universal Hydrogen entwickelt. Außerdem bräuchte es eine andere Brennkammer für die Triebwerke. „Eine solche Perspektive ist für eine beschränkte Reichweite bis etwa 1.000 Kilometer denkbar. Da das Wachstum in der Luftfahrt in den Schwellenländern mit schlecht ausgebauter Infrastruktur stattfindet, könnte auch eine solche Nische interessant werden“, blickt Nagel voraus.
Fracht über kurze Entfernungen von weniger als 1.500 Kilometer mit wasserstoffbetriebenen Flugzeugen zu befördern, wird aus Sicht von Todd Tuthill innerhalb des nächsten Jahrzehnts technisch möglich sein. Allerdings erwartet der Vizepräsident von Aerospace & Defense, Siemens Digital Industries Software erhebliche Herausforderungen bei der Einführung.
Beispielhaft nennt er die Zulassung von Flugzeugen, die hohen Herstellungskosten und den Transport von Wasserstoff sowie eine fehlende wasserstoffunterstützende Infrastruktur auf Flughäfen. „Es gibt noch viel zu tun, bevor Wasserstoff eine echte Alternative zum Antrieb mit fossilen Brennstoffen wird“, sagt Tuthill, der Wasserstoff für eine wichtige Zukunftstechnologie hält. (ol)