W ildreis, Nussbutter und Müsli-Flakes: Solche und andere Lebensmittel mit feinster Bioqualität bietet die Midsona Deutschland GmbH unter dem Markennamen Davert in den Outlets von DM, Kaufland, Rewe und anderen Handelsketten an. Und verspricht unter dem Slogan „Exploring the Origin“ umweltbewussten Endkunden größtmögliche Transparenz. Bei über einem halben Dutzend Nussbutterprodukten können diese über den QR-Code erfahren, wo die Nüsse angebaut wurden und wie sie nach Europa gelangten. Außerdem gibt es Wissenswertes über Anbauländer, Farmen und die Nüsse selbst.
Solche Daten sind eine Spezialität von Seedtrace. Die Berliner Plattform wendet sich an Lebensmittelunternehmen, die ihre Supply Chains transparent machen wollen. Jetzt nutzen die ersten Kunden die Daten zusätzlich für ihre Endkundenkommunikation, indem sie interaktive Karten auf der Nachhaltigkeitsseite oder im Onlineshop einbinden oder einen QR-Code auf die Produktverpackung drucken. „Davert möchte dieses Projekt auf weitere Produkte ausweiten“, betont Geschäftsführerin Katharina Elisa Davids.
Gemeinsam mit der Ökonomin Ana Selina Haberbosch hat die frühere Deloitte-Beraterin Seedtrace 2019 gegründet. Die 14 Beschäftigten sammeln, speichern und analysieren Daten. Sie sehen sich als Partner von Lebensmittelherstellern und -händlern, welche eine durchgängige Rückverfolgbarkeit von Produkten und deren Zutaten wünschen. An Nachfrage fehlt es nicht. Als Folge des bereits in Kraft getretenen EU-Lieferkettengesetzes (CSDDD) und der geplanten Entwaldungsverordnung (EUDR) zeigen immer mehr Unternehmen Interesse an den Seedtrace–Dienstleistungen. Die neuen Regelwerke verpflichten die Unternehmen, gravierende Risiken für Menschenrechte und Umwelt in ihren Wertschöpfungsketten zu ermitteln, Präventions- und Abwehrmaßnahmen zu ergreifen und dieses Vorgehen in Berichten zu dokumentieren.
EU-Gesetze machen hellhörig
Vor allem die EUDR-Anforderungen sind wohl nur mit Seedtrace-Daten zu stemmen. Für sieben Rohstoffe, darunter Holz, Palmöl, Soja und Kakao, will Brüssel entwaldungsfreie Supply Chains vorschreiben. Die Rohstoffe müssen auf Böden produziert werden, welche nach dem Stichtag 31.12.2020 nicht gerodet wurden. Jedes Unternehmen, das Lebensmittel mit diesen Zutaten in der EU vertreibt, muss die EUDR-Vorschriften beachten und eine Sorgfaltserklärung abgeben.
Weil das IT-System, das diese Erklärungen aufnehmen soll, im Herbst 2024 immer noch nicht startklar ist, wird die EU die EUDR um ein Jahr verschieben. Ab Ende 2025 soll sie für große Unternehmen gelten, ab 2026 auch für mittlere und kleine Unternehmen. Viele Daten können die Berliner bereits jetzt
bereitstellen.
„Wir bieten ein Set mit über 100 Datenpunkten an, das flexibel erweitert werden kann“, sagt Davids. Die Berliner prüfen zunächst, welche Daten über Farmer-Kooperativen und deren Anbauflächen aus Zertifizierungen beispielsweise von Fair Trade oder Bioanbau vorliegen. Sie importieren diese dann aus Excel-Tabellen in die Plattform. Weitere Daten über Farmgrößen oder Entwaldungen ermitteln sie unter anderem mit Geoinformationssystemen.
Soziale Rahmenbedigungen sind wichtig
Eine besondere Herausforderung sind Daten über die sozialen Rahmenbedingungen vor Ort. Als wichtige Quelle entpuppten sich Daten des südafrikanischen Telekommunikationsriesen Mobile Telephone Networks (MTN). Über dessen Netzwerke werden Zahlungen auf die Smartphones vieler Farmer überwiesen. Bei deren Auswertung müssen Davids, Haberbosch und ihr Team natürlich auch den Datenschutz beachten. Manche afrikanischen Länder haben vergleichsweise strenge Regelungen erlassen und sich hierbei die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der EU zum Vorbild genommen.
Viele Daten kann Seedtrace nur anonymisiert oder mit dem Einverständnis der Bauern erheben. Zusätzlich interessieren sich die Berliner für persönliche und familiäre Details wie Alter, Bildung, Geschlecht und Kinderzahl. Manche Daten werden in Zusammenarbeit mit Kunden erhoben, die sich persönlich in den Anbaugebieten informieren. „Wir wollen die Gegebenheiten vor Ort möglichst präzise erfassen und schauen deshalb auch auf die Verfügbarkeit von sanitären Einrichtungen und sauberem Trinkwasser”, betont Davids. Wenn letztere von Feldern und Plantagen aus gut erreichbar sind, gilt dies als Indiz für akzeptable Arbeitsbedingungen.
„Wir bieten ein Set mit über 100 Datenpunkten an, das flexibel erweitert werden kann.“
– Katharina Elisa Davids, Geschäftsführerin von Seedtrace
Grundsätzlich unterscheiden die Berliner zwischen statischen und dynamischen Daten. Erstere werden am Ursprungsort erhoben und erfassen Anbau, Ernte und örtliche Verarbeitungen. Hier hat Seedtrace beachtliche Bestände aufgebaut. Die dynamischen Daten werden überwiegend während der Transport- und Lagerprozesse erfasst und angereichert. Hier ist Seedtrace auf die Kooperation mit Logistikern angewiesen. Von einer „gewissen Spannbreite“ spricht Davids. „Viele sehen in einer Zusammenarbeit mit uns Vorteile, weil sie dann ihren Kunden größtmögliche Transparenz garantieren können.“ Ansonsten variiert die Rückverfolgbarkeit von Rohstoff zu Rohstoff. Bei Kaffee ist die Datenlage deutlich besser als bei Kakao – wohl auch deshalb, weil viele Röstereien sensibel auf Kundennachfragen nach fair angebautem und gehandeltem Kaffee reagieren. Ebenso gibt es große Unterschiede zwischen den Herkunftsländern. Im stark digitalisierten Brasilien lassen sich statische Daten vergleichsweise einfach erheben, im von Bürgerkriegen erschütterten Äthiopien ist das hingegen kaum möglich.
Transparenz über Verarbeitungsschritte
Viele Unternehmen kennen lediglich das Ursprungsland. Sie haben jedoch keine Transparenz hinsichtlich der Verarbeitungsschritte, die vor der Ankunft der Waren in ihren Lagern stattfinden. Ein bekanntes Beispiel ist der Export von Nüssen oder Krabben zum Schälen in Länder mit niedrigen Lohnkosten. „Aus sozialer und ökologischer Sicht ist das ein Desaster“, erklärt Davids. Andere Unternehmen ergreifen von sich aus die Initiative und setzen sich für gute Arbeitsbedingungen in den Anbauländern ein. Das war beispielsweise beim Zutatenspezialist KOA Switzerland der Fall, der mit Kakaoprodukten Getränke, Flakes und andere Lebensmittel verfeinert. Er entwickelte mit Seedtrace eine Lösung, die faire Bezahlungen an Kakaobauern in Ghana sicherstellt und hierfür eine Schnittstelle mit MTN nutzt.
Stefan Bottler ist freier Journalist mit Sitz in Oberschleißheim