Weltweit werden jährlich mehrere Hundert Seeschiffe außer Dienst gestellt. In Deutschland wird seit Anfang der 1980er-Jahre kein Schiffsrecycling mehr betrieben. Deshalb werden die Schiffe zum Abwracken in andere Länder geschickt – häufig nach Südasien, wo die Lohnkosten äußerst niedrig sind. Dabei werden die Schiffe oft mit hoher Fahrt auf den Strand gefahren, dort zerlegen sie Arbeiter per Hand – zumeist ohne Beachtung von Arbeitssicherheits- und Umweltschutzstandards.
Nun soll Deutschland die erste nachhaltige Schiffsrecyclinganlage bekommen. Dazu hat Leviathan mit der Hansestadt Stralsund einen Pachtvertrag für eine 3.500 Quadratmeter große Schiffbauhalle mit 1.000 Quadratmeter Außenfläche im Maritimen Industrie- und Gewerbepark Volkswerft unterzeichnet, wo das Bremer Unternehmen derzeit die Abwrackanlage einrichtet. „Wir haben die finale Genehmigung zwar noch nicht, aber im Technikumsbetrieb dürfen wir ab sofort kleinere Schiffe – bis 50 Meter – annehmen“, sagt Simeon Hiertz, geschäftsführender Gesellschafter und Gründer von Leviathan.
Bisher habe hierzulande keiner eine solche Genehmigung beantragt, daher sei es nicht ganz einfach, sie zu bekommen. „Wir alle müssen erst noch Erfahrungen sammeln“, fügt er hinzu. Im Zuge eines Pilotprojekts hat Leviathan in Kiel die grundsätzliche Machbarkeit der Recyclinganlage nachgewiesen. Der Test zielte darauf ab, den Prozess des Schiffsrecyclings umweltfreundlich und nach haltig zu gestalten.
Automatisierte Systeme und Roboter im Einsatz
Im Kieler Versuch hat Leviathan Roboter und automatisierte Systeme eingesetzt und erprobt, die in der Lage sind, verschiedene Aufgaben wie das Entfernen von gefährlichen Stoffen, das Zerlegen von Schiffsteilen und das Sortieren von wiederverwertbaren Materialien zu erledigen. „Durch den Einsatz von Robotern werden gefährliche Arbeiten vermieden, und die Sicherheit der Arbeiter lässt sich erheblich verbessern“, sagt Hiertz. Leviathan hat dabei eng mit lokalen Behörden, Umweltschutzorganisationen und anderen Interessengruppen zusammengearbeitet, um sicherzustellen, dass der Test den höchsten Umweltstandards entspricht.
Nun soll das Verfahren in Stralsund weiterentwickelt und später auch auf andere Standorte ausgeweitet werden. Ziel ist, nicht nur einen großen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, sondern auch den aus den Schiffen gewonnenen Gebrauchtstahl auf kurzen Wegen in die Kreislaufwirtschaft zurückzubringen, da dieser ein gefragter Rohstoff ist.
„Wir müssen jetzt im Technikumsbetrieb weitere Daten sammeln, die in das Genehmigungsverfahren einfließen, sodass die Behörden die Genehmigung erteilen können.“ Sobald dies geschehen ist, kann Leviathan auch Schiffe bis 140 Metern Länge annehmen.
Die ersten Kundenanfragen für die kleineren Schiffe liegen bereits vor, es könnte also bald schon losgehen mit dem nachhaltigen Recycling. „Wir halten bei unserem Verfahren den Menschen zu 99 Prozent aus gefährlichen Bereichen raus“, erläutert Hiertz. Roboter arbeiten sich kalt durch den Stahl, geschnitten wird mit Wasser und Sand. Dabei entstehen keinerlei CO2-Emissionen. „Bei unserem Prozess werden weder Farbe noch Kabel verbrannt, die ansonsten toxische Gase verursachen würden“, betont er.
Auch das Schneidwasser wird komplett in einer Wanne aufgefangen, sodass nichts in den Boden oder das Grundwasser gelangt. Umwelt- und Arbeitsschutz haben nach Aussagen von Hiertz maximale Priorität. „Die Anlage soll weitgehend automatisiert arbeiten, vollautomatisch geht das von Anfang aber sicherlich nicht.“ Das Unternehmen wird zunächst in Teilbereichen auch manuelle Arbeiten erledigen, die aber nach und nach automatisiert werden sollen.
Die Lohnkosten betreffend, ist Hiertz ebenfalls zuversichtlich, konkurrenzfähig arbeiten zu können. „Wir rechnen mit Tariflöhnen“, sagt er. Durch den hohen Automatisierungsgrad könne der Durchsatz bei kleiner Personaldecke so deutlich gesteigert werden, sodass umgerechnet ungefähr die gleichen Kosten für Personal anfallen wie in Asien. Und auch Stralsund profitiert, da die MV-Werften-Gruppe, die bislang dort tätig war, 2022 Insolvenz anmelden musste.
Leviathan will sich zunächst auf das Abwracken von Handelsschiffen konzentrieren, da bei diesen – anders als bei Personenschiffen – circa 95 Prozent Stahl zurückgewonnen werden können. Im Schiffbau werde gemäß strenger Vorschriften hochwertiger und reiner Stahl eingesetzt, der sich daher nach dem Abwracken ohne Weiteres wiederverwenden lässt. Hiertz: „Unser Stahlschrott ist sortenrein und wir können den Stahlwerken einen Rohstoff liefern, aus dem sie wiederum höherwertigen Stahl produzieren können“. Ziel sei, den recycelten Stahl in Deutschland weiterverarbeiten zu lassen und damit wiederum die Produktionen hierzulande zu versorgen. Auch das dient dem Umweltschutz: einerseits durch kurze Transportwege, andererseits können hiesige Stahlöfen, die derzeit alle auf Elektrobetrieb umrüsten, so ihre Produktion CO2-neutral bekommen. „Die Stahlkonzerne sind dabei, sich ihre Rohstoffe bei uns zu sichern, die sie inzwischen kostenaufwendig importieren.“ Die Recyclinganlage soll so effektiv arbeiten können, dass Leviathan alle 14 Tage ein neues Schiff annehmen, zerlegen und damit bis zu 20.000 Tonnen Stahlschrott pro Jahr erzeugen kann.