Wasserstoff und aus Wasserstoff hergestelltes Ammoniak, Methanol und andere E-Fuels sollen in der EU zur Erfüllung der vorgeschriebenen Quoten für erneuerbare Energie beitragen dürfen, wenn ihre Produktion und ihr Einsatz mindestens 70 Prozent weniger Treibhausgase verursachen als konventionelle Kraftstoffe. Konkrete Berechnungsmethoden dafür hat die EU-Kommission in einem sogenannten delegierten Rechtsakt über Renewable Fuels of non-biological origin (RFNBO) formuliert. In einem zweiten RFNBO-Rechtsakt legt sie fest, mit welcher Art von Ökostrom diese Kraftstoffe erzeugt werden dürfen.
Die Rechtsakte ergänzen die geplante neue Richtlinie über erneuerbare Energie. Sie werden Gesetz, wenn EU-Staaten oder Europäisches Parlament nicht innerhalb von zwei Monaten widersprechen. Beide Institutionen können nur Ja oder Nein sagen, die Rechtsakte aber nicht abändern.
Tür für Nutzung von Atomenergie geöffnet
Kernenergie gilt nach der aktuellen Eneuerbaren-Energie-Richtlinie nicht als erneuerbar, teilt die Kommission mit. Allerdings verhandeln die EU-Gesetzgeber derzeit auch über Vorschriften zur Dekarbonisierung von Gas und Wasserstoff, wonach Wasserstoff als „CO₂-arm“ gilt, wenn er im gesamten Lebenszyklus mindestens 70 Prozent weniger Treibhausgase verursacht als fossiles Erdgas. Das könnte mit Atomstrom wohl erreicht werden. Die 70-Prozent-Schwelle muss auch von mit Biogas erzeugtem Wasserstoff erfüllt werden, der als „nachhaltiger Biokraftstoff“ angerechnet werden soll.
Der Europaabgeordnete Michael Bloss (Grüne) sprach von „Labelbetrug“. Die EU brauche „Wasserstoff aus Erneuerbaren - und keine weiteren Anreize, veraltete Atommeiler am Netz zu halten oder gar Milliarden zu investieren, um neue zu bauen“.
EU will Gezerre um Ökostrom vermeiden
Damit durch die Wasserstofferzeugung nicht die Nachfrage nach Strom aus fossilen Energiequellen angeheizt wird, soll laut EU-Kommission das Prinzip gelten, dass nachhaltige RFNBO mit zusätzlich erzeugtem Ökostrom hergestellt werden müssen. Zudem gibt es Vorschriften darüber, dass Ökostrom und RFNBO in einer bestimmten räumlichen und zeitlichen Nähe zueinander erzeugt werden müssen. Als „zusätzlich“ sollen Ökostromanlagen gelten, die nicht länger als drei Jahre vor Beginn der RFNBO-Produktion in Betrieb gingen. Am einfachsten ist der Nachweis der Zusätzlichkeit, wenn Grünstromanlage und RFNBO-Anlage direkt miteinander verbunden sind.
Die europäische Umweltorganisation Transport&Environment (T&E) begrüßte die Zusätzlichkeitsverpflichtung. Dadurch vermeide die EU „potenziell desaströse Folgen einer zusätzlich erzeugten Nachfrage nach der jetzt schon begrenzten Menge Stroms aus erneuerbaren Quellen“. T&E kritisiert aber, dass laut Gesetzesentwurf RFNBO-Anlagen, die vor 2028 in Betrieb gehen, noch bis Ende 2037 ohne Zusätzlichkeitsnachweis Strom aus den Netzen nehmen dürfen.
Weitere Ausnahmen sind vorgesehen. Liegt der Erneuerbaren-Anteil in einer Strompreiszone über 90 Prozent, soll dort fünf Jahre lang kein Zusätzlichkeitsnachweis nötig sein. Das Ökostromangebot gilt dann als ausreichend. Ähnlich sollen Stromnetze behandelt werden, in denen bei der Stromerzeugung höchstens 64,8 Gramm CO₂ pro Kilowattstunde (18 Gramm CO₂ pro Megajoule) entstehen. Auch das eröffnet nach Ansicht von Experten Möglichkeiten, „grünen“ Wasserstoff mit Atomstrom herzustellen.
Industrie kritisiert „bürokratischen Akt“
Der Industrieverband E-Fuel Alliance begrüßte, die Unternehmen bekämen mit den delegierten Rechtsakten nun Klarheit, wie „grüner“ Wasserstoff und E-Fuels hergestellt werden müssen. Geschäftsführer Ralf Diemer findet allerdings, es sei ein „sehr bürokratischer Akt“ herausgekommen. Die USA zeigten mit ihrer Wasserstoffförderung über den Inflation Reduction Act (IRA), dass es auch anders gehe.
Bis 2030 will die EU 10 Millionen Tonnen nachhaltigen Wasserstoff in der EU erzeugen und 10 Millionen Tonnen davon importieren. Für die eigene Erzeugung sind laut Kommission etwa 500 Terrawattstunden Ökostrom nötig, das entspricht 14 Prozent des EU-Stromverbrauchs. Die Importe von nachhaltigem Wasserstoff würden durch die vorgeschlagenen Rechtsakte „unnötig erschwert“, meint die E-Fuel Alliance. Erzeuger aus Drittstaaten müssen laut Kommission durch Zertifizierungssysteme nachweisen, dass sie dieselben Kriterien erfüllen, die in der EU gelten.