Die junge Vorständin setzt sich dafür ein, dass ihr Familienunternehmen nachhaltig wirtschaftet. Dazu gehört für sie auch soziales Engagement und Umweltschutz.

Bild: Noerpel

Familienunternehmen Noerpel: Junge Generation bringt grüne Transformation voran

16.02.2024

Die Vorständin Judith Noerpel-Schneider und Nachhaltigkeitsmanagerin Viktoria Wessel fühlen sich für das nachhaltige Wirtschaften ihres Unternehmens verantwortlich. Im Interview verraten sie, welche Rolle der Nachhaltigkeitsbericht bei ihrer Arbeit spielt und wie sie das Unternehmen strukturell umbauen.

DVZ: Frau Noerpel-Schneider, kürzlich hat Noerpel den ersten Nachhaltigkeitsbericht präsentiert. Seit wann ist das Thema bei Ihnen im Unternehmen relevant?

Judith Noerpel-Schneider: Wir als Familienunternehmen beschäftigen uns schon länger mit dem Thema, aber früher lief dies nicht so strukturiert ab wie heute. Unser Unternehmen war schon immer sozial engagiert, vor allem durch meinen Großvater. Wir haben viel im Bereich Flüchtlingsarbeit sowie Unterstützung von kulturellen und sozialen Einrichtungen gemacht. Als das Thema Nachhaltigkeit zentraler wurde, haben wir bei Neubauprojekten mit Photovoltaikanlagen oder anderen Einzelmaßnahmen wie der Ansiedlung von Bienenvölkern angefangen. Seit 2021, ist Viktoria Wessel unsere Nachhaltigkeitsmanagerin – unsere erste. Das war der Startpunkt, diesen Bereich im Unternehmen strukturiert aufzubauen. Davor war alles eher ein bunter Blumenstrauß, wo viel an den Standorten selbst gemacht wurde. Jetzt gibt es eine zentrale Stelle mit anderem Stellenwert und einem viel stärkeren Fokus.


Gab es einen konkreten Grund, diese zentrale Stelle für die Nachhaltigkeit einzurichten?


Noerpel-Schneider: Wir hatten auf Kundenseite ein verstärktes Interesse, dem wir nachkommen wollten. Es waren viele Themen, die man besser managen musste. Deshalb wurde das Thema Nachhaltigkeit in unserer Unternehmensstrategie gezielt verankert. Es ist nun eine unserer Leitsäulen. Dafür ist es notwendig, dass es ein entsprechendes Management und die Aufmerksamkeit bekommt. Außerdem ist durch den Eintritt meines Bruders und mich eine jüngere Generation in den Vorstand gekommen, die das Thema anders betrachtet. Mir ist es ein persönliches Anliegen, das Thema vorwärts zu treiben.

Frau Wessel, Sie sind 2021 Nachhaltigkeitsmanagerin bei Noerpel geworden. Gab es zu ihrem Start bereits eine gute Basis oder haben Sie viel strukturell verändern müssen?

Viktoria Wessel: Eine gewisse Basis war vorhanden, beispielsweise wurde schon der CO2-Fußabdruck bei unseren Transporten erfasst. Wir haben das Thema Nachhaltigkeit trotzdem neu aufgegleist und von Anfang an gestartet, um eine saubere Grundlage zu schaffen, auf der wir nach und nach aufbauen konnten. Es war viel Arbeiten im Hintergrund, um diese Grundlage zu schaffen. Zum Beispiel die Ist-Analyse, welche unsere wesentlichen Themen bestimmt und unseren Unternehmensfußabdruck das erste Mal komplett erfasst. Es war ein großes Unterfangen, die Daten aus dem System zu ziehen und zusammenzutragen. Auf der Analyse haben wir unser Leitbild und unsere Strategie aufgebaut. Im letzten Jahr haben wir dann unsere Klimaziele gemäß der „Science based targets initiative“ erstellt.

Judith Noerpel-Schneider
Judith Noerpel-Schneider studierte BWL in München und machte ihren Master in Unternehmensführung in St. Gallen. Seit 2018 verantwortet die 32-Jährige die Vorstandsbereiche Marketing, Personal, Personalentwicklung und Nachhaltigkeit in der Noerpel-Gruppe. Gemeinsam mit ihrem Bruder Lucas Noerpel-Schneider zählt Judith Noerpel-Schneider bereits zur fünften Generation des familiengeführten Unternehmens.

Viktoria Wessel
Seit 2021 ist Viktoria Wessel als Nachhaltigkeitsmanagerin der Noerpel-Gruppe tätig. Vom Standort Hilden (bei Düsseldorf) aus, koordiniert die 37-Jährige sämtliche Maßnahmen zur Nachhaltigkeit der Unternehmensgruppe. Viktoria Wessel hat 2012 ihr Master-Studium in „Business Administration in Transport and Logistics“ in Heilbronn mit einer Masterarbeit zum Thema „Nachhaltigkeitsberichterstattung für Logistikdienstleister“ abgeschlossen und im Anschluss einige Jahre in der Beratung mit Schwerpunkt „Grüne Logistik“ gearbeitet.

Wie definieren Sie beide Ihre Rolle? Gibt es weitere Personen, die Sie beim Thema Nachhaltigkeit unterstützen?

Noerpel-Schneider: Wir sind nicht zu zweit, das würde den Themen nicht gerecht werden und wäre nicht machbar. Mit mir als Vorständin in dem Bereich, hängt das Thema Nachhaltigkeit ganz oben bei uns im Unternehmen. Viktoria Wessel ist direkt unter mir als Nachhaltigkeitsmanagerin besetzt und zentral verantwortlich für die Themen der gesamten Gruppe. Wir haben zudem eine Task Force, in der aus allen Fachbereichen themenspezifisch Verantwortliche mit ihrer Fachexpertise mitwirken, je nachdem, welchen Projektschwerpunkt wir haben. Es ist wichtig, dass Nachhaltigkeit im eigenen Unternehmen akzeptiert wird. Dafür sollten alle Akteure von Anfang an dabei sein, weil sie in ihrem Bereich die Experten sind und wir auf das Know-how angewiesen sind.

Ist Nachhaltigkeit für Sie auch im Recruiting ein relevanter Faktor?

Noerpel-Schneider: Wir beobachten, dass das Thema heute für junge Mitarbeitende ein viel zentraleres Thema ist, als noch vor fünf oder zehn Jahren. Man bekommt viele Rückfragen dazu, von potenziell neuen Mitarbeitenden, die man gewinnen möchte, oder auch von bestehenden Mitarbeitenden. Kollegen und Kolleginnen kommen auch mit Vorschlägen auf uns zu, beispielsweise, weil sie sich selber sozial engagieren und uns teilhaben lassen wollen. Das empfinde ich als einen sehr wertvollen Austausch.

Setzt ihr Unternehmen bestimmte Prioritäten bei der sozialen Nachhaltigkeit?

Noerpel-Schneider: Die Themen Arbeitsbedingungen, flache Hierarchien, Gestaltungsmöglichkeiten, Unternehmenskultur und -werte sind uns sehr wichtig. Ein Kernpunkt ist zum Beispiel das Thema Aus- und Weiterbildung. Wir haben im Bereich Personalentwicklung mit Talentmanagement und Führungskräfteentwicklung angefangen. Der zweite zentrale Ankerpunkt ist unser gesellschaftliches Engagement. Das ist eine Herzensangelegenheit von meinem Opa gewesen, die ich übernommen habe.

Sie haben sich entschlossen, Ihren ersten Nachhaltigkeitsbericht Ende letzten Jahres zu veröffentlichen. Dabei wären Sie erst ab 2026 dazu verpflichtet. Warum haben Sie sich entschieden so frühzeitig aktiv zu werden?

Wessel: Wir müssen uns auf die neuen Berichtspflichten vorbereiten. Der Nachhaltigkeitsbericht ist ein Instrument, um Fortschritt und Maßnahmen zu dokumentieren und an alle interessierten Parteien zu kommunizieren. Von den Kunden merken wir, dass stärker nach Nachhaltigkeit gefragt wird. Verstärkt durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Ab dem zweiten Bericht wird es einfacher, aber wir mussten die Berichtsstrukturen erst schaffen und schauen, wo welche Daten vorhanden sind. Der Bericht ist nach der Global Reporting Initiative (GRI), dem aktuellsten Standard, erstellt. Für die neue Reporting-Richtlinie wird es allerdings einen neuen Standard geben, ESRS (European Sustainability Reporting Standards). Da wir die Bedingungen für GRI erfüllt haben, ist die Umstellung nicht allzu groß. Wir haben genug Zeit, uns auf ESRS vorzubereiten.

Wie lange haben Sie am ersten Bericht gearbeitet?

Wessel: Es war jetzt ein gutes halbes Jahr, da wir den CO2-Fußabdruck schon erfasst hatten. Diesen braucht man als Basis für den Bericht.

Was sind für Sie aktuell die größten Herausforderungen im Hinblick auf die Berichterstattung?

Noerpel-Schneider: Für uns sind das ganz klar die Richtlinien für den Bericht. Die angesprochene Berichtspflicht ab 2026 setzt einen anderen Standard als dieses Mal voraus. Dass man die Standards wieder wechseln muss, macht natürlich zusätzliche Arbeit.

Wessel: Unseren ersten Bericht werden wir als Basis nehmen, um uns in Richtung des neuen ESRS-Standards auf den Weg zu machen. Wir werden in Zukunft Daten anders verarbeiten müssen. Beispielsweise müssen wir künftig die kaufmännischen und gewerblichen Mitarbeitenden differenzieren. Wir haben das im ersten Bericht nicht getrennt, sondern als eine Zahl zusammengefasst.

Bei der Nachhaltigkeit steht für viele Unternehmen ihr ökologischer Fußabdruck im Fokus. Was ist da Noerpels aktueller Stand?

Wessel: Wir haben unseren Basisfußabdruck für das Jahr 2021 erhoben. Für 2022 konnten wir eine absolute CO2-Reduktion von 3,87 Prozent erzielen. Diese Reduktion resultierte aus Energieeinsparmaßnahmen im Bereich der Heizung und der Umstellung weiterer Standorte auf Naturstrom. Unser Ziel ist langfristig, alle Standorte auf Naturstrom umzustellen. Uns fehlt dafür nur noch ein Standort, der ebenfalls umgestellt wird, sobald in 2024 die Verträge auslaufen.

Welche konkreten Reduktionsziele haben Sie für die kommenden Jahre?

Wessel: Wir haben uns kurz-, mittel- und langfristige Klimaziele zur Reduktion der Treibhausgasemissionen gesetzt. Zur Formulierung der Ziele haben wir die Tools der SBTI zur Hilfe genommen, um sicherzustellen, dass wir mit diesen Zielen zum globalen 1,5 Grad Zielpfad beitragen können. Langfristig möchten wir bis spätestens 2050 als Unternehmensgruppe klimaneutral bzw. treibhausgasneutral unterwegs sein. Auf dem Weg dahin haben wir zwei Zwischenziele definiert. Bis 2030 sollen die Emissionen je Tonnenkilometer um 30 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 2021 reduziert werden. Dabei berücksichtigen wir Scopes 1, 2 und 3 – inklusive Verwaltung und Logistik. Bis 2040 sollen die Emissionen entsprechend um 60 Prozent reduziert werden, wobei Verwaltung und Logistik dann bereits neutral sein sollen. Um diese Ziele zu operationalisieren, haben wir im letzten Jahr ein Projekt zur konkreten Planung der Jahre bis 2030 begonnen.

An welchen konkreten Maßnahmen sind Sie aktuell dran?

Wessel: Eine erfolgreich abgeschlossene Maßnahme ist aber beispielsweise, dass wir interne Leitlinien für nachhaltige Neubauten erstellt haben. Wir haben im letzten Jahr eine E-Car Policy erarbeitet, um die Umstellung der Firmenwagen auf E-Fahrzeuge anzugehen. Wir prüfen regelmäßig, ob wir unsere Hallen mit Photovoltaik-Anlagen ausstatten können. Ein großes Thema sind zudem alternative Antriebe. Wir haben dazu eine Machbarkeitsstudie erstellt, aus der Pilotprojekte entstanden sind. Wir werden an zwei Standorten die Hoflogistik auf Elektro umstellen und ab September jeweils elektrische Hofrangierfahrzeuge einsetzen. Unsere erste Sattelzugmaschine auf E-Basis testen wir dabei ebenfalls, um den Grundstein für die Umstellung auf alternative Antriebe zu legen.

Für viele Logistiker ist die CO2-Maut aktuell ein großes Thema. Wie blicken Sie darauf?

Noerpel-Schneider: Das Mautthema ist eine sehr große Belastung für uns. Es ist ärgerlich, dass Beschlüsse häufig mit einer so kurzen Vorlauffrist um die Ecke kommen. Wir müssen Lösungen finden, wie wir damit umgehen, denn die Umsetzungsfrist, bis das neue Gesetz in Kraft tritt, ist wirklich sehr knapp. Uns bleibt kaum Zeit und das setzt uns enorm unter Druck. Die wirtschaftliche Belastung für Unternehmen, die nicht schnell genug reagieren, wird fatal sein. Ich verstehe, dass wir Regulatorien brauchen, sonst würde man generell mit Nachhaltigkeit in der Wirtschaft zu langsam vorankommen. Andererseits brauchen Unternehmen eine gewisse Vorlaufzeit und konkrete Entwürfe. So auch bei der Förderung für alternative Antriebe. Wir haben Monate investiert, um diese Förderanträge minutiös detailliert aufzubereiten. Doch dann gab die Regierung bekannt, dass es ein riesiges Haushaltsloch gibt und vielleicht werden nun die Förderungen wieder gestrichen.

Was wünschen Sie sich für Ihr Unternehmen? Was sind Ihre persönlichen Ziele?

Wessel: Ich würde mir wünschen, dass wir uns entsprechend unserer Agenda unseren Klimazielen bis 2050 entgegenbewegen. Und dass ich das Erreichen dieser Ziele in meinem Berufsleben mitbekomme.

Noerpel-Schneider: Für mich ist es kein Wunsch. Ich fühle mich verantwortlich. Ich möchte uns so aufstellen, dass wir nachhaltig erfolgreich sein können. Wir haben einen tollen Start hingelegt und ich bin zuversichtlich, dass wir mit vereinten Kräften unsere Ziele erreichen können. Wenn ich einen konkreten Wunsch habe, dann dass die alternativen Antriebe sich in den nächsten Jahren schnell weiterentwickeln, damit die Klimaziele einfacher zu erreichen sind.

Noerpel
Im Jahr 1881 gegründet, betreibt die Noerpel-Gruppe heute 28 Standorte in Deutschland, der Schweiz und Österreich. Noerpel verknüpft die Leistungsbereiche Transport und Logistik mit Co-Packing-Services, bietet E-Commerce-Fulfillment und eine eigene Personaldienstleistung. Im Geschäftsjahr 2022 erwirtschaftete die Noerpel-Gruppe einen Umsatz von rund 600 Millionen Euro und beschäftigt circa 3.200 Mitarbeitende.​
Weitere Informationen unter: www.noerpel.de

Bildergalerie

  • Judith Noerpel-Schneider, Noerpel-Vorständin

    Judith Noerpel-Schneider, Noerpel-Vorständin

    Bild: Noerpel/matthiastunger

  • Viktoria Wessel, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Noerpel

    Viktoria Wessel, Nachhaltigkeitsmanagerin bei Noerpel

    Bild: Noerpel

  • Das Unternehmen stattet seine Dächer teilweise mit Photovoltaikanlagen aus.

    Das Unternehmen stattet seine Dächer teilweise mit Photovoltaikanlagen aus.

    Bild: Noerpel

  • Um die Artenvielfalt zu schützen, hat Noerpel angefangen eigene Bienenvölker anzusiedeln.

    Um die Artenvielfalt zu schützen, hat Noerpel angefangen eigene Bienenvölker anzusiedeln.

    Bild: Noerpel

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