Für eine aktuelle Horváth-Studie wurden 32 Personen aus der Logistikbranche interviewt. Darunter Wissenschaftler, Manager und Fachexperten aus Unternehmen wie Hermes, DB Schenker, Hapag-Lloyd, HHLA oder Duisport. Horváth formulierte im Vorfeld Thesen, welche die Entwicklungen der Branche bis zum Jahr 2035 vorhersagen. Diese Prognosen wurden mit den Interview-Partnern diskutiert und validiert. Ein Ergebnis: der fundamentale Wandel in Logistik-Unternehmen lässt sich in fünf Hauptthemen aufschlüsseln.
1. Nachhaltigkeit
Alle Unternehmensprozesse werden sich immer stärker an Nachhaltigkeitszielen orientieren und nach diesen ausrichten. Es lässt sich eine „Werteverschiebung“ erkennen – auch bei den Kunden. Bis 2035 werden Logistiker ungefähr 75 Prozent alternative Energien nutzen. Ein kompletter Verzicht auf fossile Energie sei bis dahin jedoch nicht realistisch, da dieser voraussichtlich ressourcentechnisch (insbesondere Technologie und Infrastruktur) noch nicht möglich sein wird. Außerdem wird das Modell der Kreislaufwirtschaft mehr in den Fokus rücken. Verpackungen und Ladehilfen können beispielsweise recycelt werden. Hierbei ist die Umsetzung im B2B-Bereich leichter als im Kontakt mit dem Konsumenten.
Eine große Rolle spiele dabei auch die Automatisierung, so Christian Schnöbel, Partner bei Horváth. „Weil die Automatisierung natürlich Standards braucht - Standard-Behälter, Standard-Container und so weiter. Das knüpft an das Thema Nachhaltigkeit an, weil der Einsatz von wiederverwendbaren Standard-Artikeln gleichzeitig Robotik-Lösungen erleichtert und einen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft ist.“, erklärt er.
2. Kapazitätsengpässe
Durch den Personalmangel, welcher durch den demographischen Wandel in den kommenden Jahren noch verstärkt wird, muss die Branche attraktiver werden und die Arbeitsbedingungen verbessern. Durch Prozesse der Digitalisierung und Automatisierung von Arbeitsabläufen können redundante Aufgaben durch Maschinen übernommen werden. Lösungsansätze für den Mangel sind ausländische Fachkräfte, aber auch umgeschultes Personal aus anderen Branchen des Arbeitsmarktes, die ebenfalls disruptive Veränderungen erfahren werden.
Betroffen ist auch der Mittelstand, wo die Nachfolge in der Unternehmensleitung in Familienbetrieben oftmals unklar ist.
Voraussichtlich werden die Kosten der Zustellung von Waren - besonders in urbanen Arealen - teurer und strenger durch Emissions-Zonen reglementiert werden. Gleichzeitig wird der E-Commerce-Konsum weiter ansteigen. Beides muss von KEP-Dienstleistern bewerkstelligt werden. Dabei können neue Technologien wie Hubs, emissionslose Fahrzeuge (wie Lastenräder) und eine Umstrukturierung des Liefernetzwerks eingesetzt werden.
3. Strukturelle Veränderungen
Grundsätzliche Veränderungen des Marktes werden in naher Zukunft durch differenziertere Kundenanforderungen befeuert, die einer Anpassung des Angebotsportfolios bedürfen. So möchten manche Konsumenten beispielsweise einen emissionsärmeren Transportweg für ihre Paketlieferung wählen und sind bereit, dafür mehr zu bezahlen. Andererseits gibt es Kunden mit einer geringen Zahlungsbereitschaft, die man nicht durch steigende Kosten verlieren möchte. Anwendungen, die den Kunden eine Auswahlmöglichkeit geben und die Lieferkette transparenter machen, werden zunehmend attraktiver.
Zudem wird es eine Ausweitung der Lieferung von Stückgutsendungen direkt zum Konsumenten nach Hause geben – also größere Sendungen wie Möbel und Haushaltgeräte. Das kann einen neuen Markt für KEP-Dienstleister eröffnen. Diese können dann zusätzliche Leistungen wie Montagen anbieten und so ihr Geschäftsmodell erweitern.
4. Resilienz von Lieferketten
Absehbar ist, dass zur Stabilisierung der Lieferkette immer mehr europäische Unternehmen ihre Handelsströme nach Europa rückverlagern. Die Versorgungssicherheit wird Logistikkunden zunehmend wichtiger und sie beziehen Logistiker stärker in ihr Risikomanagement mit ein. Neue Ansätze wie zusätzliche Pufferlager und ein verbesserter Umgang mit Daten können bei der Transformation helfen, ebenso Technologien wie Digitale Zwillinge und das Internet of Things. Und all dies bringt auch wieder neue Prozesse ins Rollen – werden mehr Lagerflächen gebraucht, rücken Immobilien weiter in den Fokus der Branche.
„Die Frage ist: Bleibt das jetzt ein kurzfristiger Trend, dass Resilienz so weit oben steht, oder wird sich das wieder entspannen? Da gab es unter den Interview-Partnern sehr unterschiedliche Meinungen. Die einen glauben, dass das Near-Shoring und damit einhergehend die Lagerhaltung an Bedeutung gewinnen. Andere glauben, dass der Trend wieder zurückgeht und es dabei bleibt, dass viele vorwiegend in Asien produzieren“, berichtet Merle Alf, die Leiterin der Studie. Für die Logistiker sei das ein sehr spannendes Thema, weil sie sich darauf einstellen müssen, ob sie Langstrecke bedienen von Asien Richtung Europa oder eher regionale Route von Osteuropa nach Westeuropa.
5. Digitalisierung
Wie alle anderen Branchen wird die Logistik vor allem durch die Digitalisierung disruptiv verändert. In der Studie stellt Horváth fest, dass es für Unternehmen besonders wichtig ist, einen Kulturwandel hin zu einem offeneren Umgang mit Daten und einem ständigen Austausch bezüglich Trends und nötigem Know-How zu vollziehen. Stichworte sind hierbei Big Data und offene, sektorübergreifende Plattformen. Außerdem empfiehlt es sich, die digitale Strategie des eigenen Unternehmens nach außen zu kommunizieren und neue Positionen zur Verfolgung dieser zu schaffen.
Außerdem wird es in der Branche voraussichtlich mehr Übernahmen und Zusammenschlüsse von Unternehmen geben. Übernahmen, beispielsweise von Start-ups mit innovativen Lösungen, und die Ausweitung der Zusammenarbeit mit IT-Unternehmen sind besonders attraktiv und strategisch wichtig für Logistikkonzerne.
„2021 war die Logistikbranche auf dem vorletzten Platz des Digitalisierungs-Index in Deutschland. Auch hier waren sich alle Interviewteilnehmer einig, dass die Digitalisierung in der Logistikbranche hier noch sehr weit hinten ist im Vergleich zu anderen Branchen.“, so Merle Alf.
Am wichtigsten ist es, als Logistik-Unternehmen überhaupt damit anzufangen, sich eine Strategie und womöglich Ziele für die kommenden transformatorischen Jahre zu überlegen und diese zu konkretisieren. Die Unternehmensberatung bietet mit ihrem Corporate Transformation-Ansatz eine wissenschaftlich fundierte Hilfestellung dafür.
Horváth
Horváth ist eine internationale, unabhängige Managementberatung mit mehr als 1.300 Mitarbeitern und 18 Büros in 10 Ländern.
Christian Schnöbel ist seit 2008 bei Horváth und leitet als Partner den Bereich Transportation, Travel and Logistics.
Merle Alf, seit 4 Jahren bei Horváth, ist Senior Project Manager und arbeitet auch im Bereich Transportation, Travel and Logistics. Sie leitete die Studie „Corporate Transformation in der Transport- und Logistikindustrie“.