Vergangene Woche verkündete das Umweltbundesamt die offiziellen Emissionszahlen des letzten Jahres. Auffallend waren dabei die Werte des Verkehrssektors. Dieser verfehlte in 2022 seine gesteckten Klimaziele und verzeichnete als einziger Sektor gleichzeitig auch einen Anstieg des Ausstoßes gegenüber dem Vorjahr: „Im Verkehr wurden im Jahr 2022 rund 148 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente ausgestoßen. Damit liegen die Treibhausgasemissionen dieses Sektors rund 1,1 Millionen Tonnen (0,7 Prozent) über dem Wert von 2021 und rund 9 Millionen Tonnen über der im Bundesklimaschutzgesetz für 2022 zulässigen Jahresemissionsmenge von 138,8 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten.“ (Pressemitteilung BUA, 15.03.23)
Ein Blick ins Jahr 2016 gibt Aufschluss über mögliche Gründe für die miserablen Bilanzen. Damals veröffentlichte die Regierung den Bundesverkehrswegeplan (BVWP), welcher die Grundlage für den Bedarfsplan 2016 ist. Auf dessen Basis wurden bundesweit Verkehrs- und Infrastrukturprojekte bis ins Jahr 2030 geplant und bewilligt.
Laut Greenpeace und BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) ist der Bundesverkehrswegeplan aber verfassungswidrig – in ihm würden Zahlen falsch dargestellt und das Pariser Klimaabkommen sowie das verschärfte Klimaschutzgesetz ignoriert. Ende Februar veröffentlichten beide Umweltverbände eine gemeinsame Studie, welche die offiziellen Berechnungen der CO₂-Emissionswerte künftiger Verkehrsprojekte im BVWP als Mogelpackung identifiziert. „Selbst wenn man die – konservativ berechneten – Werte des Verkehrsministeriums nimmt, kommt man am Ende auf einen viel höheren CO₂-Ausstoß. Wir haben die CO₂-Bewertungen der einzelnen Straßenprojekte aus dem Projektinformationssystem des Ministeriums ausgewertet. Diese wurden nur einzeln dargestellt, und bei rund 2.000 Projekten ist das schon ein großer Arbeitsaufwand. Nachdem wir die Werte addiert haben, sind wir auf eine doppelt so hohe Zahl gekommen als das, was damals das Bundesverkehrsministerium dem Bundestag im Umweltbericht präsentiert hat“, erklärt die Greenpeace-Mobilitätsexpertin Lena Donat der DVZ.
Die Analyse zeigt außerdem, dass indirekte Emissionsquellen wie der Verlust natürlicher CO₂-Senken in Form von Wäldern und Mooren durch den Straßenbau nicht in die Prognosen des Ministeriums einflossen. Donat betont auch, dass das häufig genannte Argument einer Entlastung des Verkehrs durch neue Bundesfernstraßen nicht aufgehe: „Wir haben eine weitere Studie erstellt, die zeigt, dass durch den Ausbau von Autobahnen nur noch mehr Stau entsteht. Neue Fahrspuren erzeugen an bestehenden Engpässen zusätzlichen Verkehr und verstopfen damit auch umliegende Straßen.“ Für die Auswertung wurden Daten von Navigationsgeräten und Smartphones genutzt, um Veränderungen des Verkehrsflusses vor und nach dem Ausbau bestimmter Autobahnstrecken zu vergleichen. Analysiert wurden dabei nur Pkw-Daten. Staubildung könne laut Greenpeace nicht mit dem Ausbau der Autobahnen bekämpft werden – Letzteres verschlimmere die Situation oftmals sogar.
Bedarfsplan steht auf fragwürdigem Fundament
Schlussendlich sei die negative CO₂-Gesamtbilanz des BVWP nicht mehr haltbar: „Wenn man die Zahlen der einzelnen Projekte addiert, kommt man auf eine positive Bilanz – das heißt, die Umsetzung des BVWP wird zu zusätzlichen CO₂-Emissionen führen und diese nicht, wie behauptet, senken. Und da sind indirekte Emissionen, graue Energie, Lebenszyklus-Emissionen und Emissionen aus induziertem Verkehr noch gar nicht einberechnet“, so Lena Donat. Die CO₂-Emissionswerte der geplanten Projekte seien in Wirklichkeit doppelt so hoch (über 1 Million Tonnen jährlich) als vom Ministerium berechnet.
Greenpeace befürwortet eine größere Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene und eine Ausweitung der Elektromobilität. Lena Donat wünscht sich vom Bundesverkehrsminister einen „ehrlichen Blick auf die Fernstraßenprojekte“ und eine individuelle Prüfung der Bauvorhaben. „Wirklich einen übergreifenden Blick einzunehmen – das war ursprünglich auch der Anspruch des Bundesverkehrswegeplans. Funktioniert hat das leider überhaupt nicht“, meint sie.
In diesem Jahr ist ohnehin eine turnusmäßige Prüfung der Bedarfspläne des Bundesverkehrswegeplans vorgesehen – sie wurde bereits um ein Jahr verschoben. Es bleibt abzuwarten, wie ausführlich diese ausfallen wird und ob das Bundesverkehrsministerium auf Forderungen der Umweltverbände eingehen wird.
Klage wegen fehlender Sofortprogramme
Zudem hatte der BUND im Januar Klage beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingereicht. Der Vorwurf: Das in 2021 verschärfte Klimaschutzgesetz sieht Sofortprogramme vor, um die jährlichen Klimaziele der Sektoren einzuhalten. Die Regierung hat bisher aber nicht einmal Entwürfe für Sofortprogramme vorgelegt. Es stünde nicht im Belieben der Bundesregierung, ob sie bei Überschreitungen von Jahresemissionsmengen durch einzelne Sektoren ein Sofortprogramm aufstellt oder nicht, sie sei hierzu ganz klar verpflichtet, so Anwältin Franziska Heß, die mit anderen die Klage rechtlich vertritt. Greenpeace und der BUND fordern beide einen vorläufigen Stopp aller Bundesfernstraßenprojekte und eine Neubilanzierung des gesamten Bundesverkehrswegeplans unter Berücksichtigung der gesetzlichen Klimaziele.
Das ausstehende Urteil und die Prüfung der Bedarfspläne zum Ausbau der Bundesfernstraßen könnten in diesem Jahr einiges durcheinander wirbeln. Momentan schreit alles nach mehr Investitionen in die Schiene: die Deutsche Bahn selbst bewertet ihr Netz als marode und "Die Güterbahnen" fordern vom Bundesverkehrsminister einen größeren Anteil am Modal Split.