Zero by DVZ: Mit EU ETS geht es Anfang 2024 für die Schifffahrt los. Haben die Protagonisten in der maritimen Industrie die Dringlichkeit denn erkannt?
Friederike Hesse: Die Unternehmen, die sich bei uns melden und mit uns sprechen wollen, haben die Dringlichkeit schon verstanden. Die Anfragen nehmen signifikant zu. Die Industrie ist im Laufe 2023, was ETS betrifft, aufgewacht, aber ich würde nicht sagen, dass sie schon ganzheitlich vorbereitet ist. Wir haben auch jetzt im Herbst noch Gespräche, in denen wir feststellen, dass die Kunden noch gar keine Vorstellung davon haben, wie häufig ihre Flotten nach Europa fahren. Oder das Unionsregisterkonto ist noch nicht beantragt – das ist ein mehrmonatiger Prozess. Oder die Geschäftsführung weiß noch gar nicht, wer die Verantwortung übernehmen soll und welche Verträge noch einmal angefasst werden müssen. Bei vielen Kunden merken wir, dass bisher nichts davon passiert ist oder nur in Ansätzen umgesetzt wurde.
Wie kann Zero44 über die Software hinaus unterstützen?
Wir geben Reedereien im Onboarding eine To-Do-Liste und Beispielprozesse an die Hand, die ihnen zeigen, was erledigt werden muss und wie es aussehen könnte. Wir haben etwa Handlungsanleitungen geschrieben, wie man ein Unionsregisterkonto beantragt. Wir können den Unternehmen nicht abnehmen, ihre Charter-Verträge und ihre internen Prozesse zu überarbeiten, aber wir versuchen, ihnen Hilfestellungen zu geben. Der Kern ist natürlich unsere Software, die nächstes Jahr im laufenden Betrieb ermöglichen wird, ETS-Kosten entlang der Wertschöpfungskette zu verteilen und untereinander abzurechnen: Wir bieten ein zuverlässiges ETS-Buchhaltungssystem.
EU ETS betrifft die globale Schifffahrtsbranche. Welche Unternehmen stehen bei Ihnen als potenzielle Kunden im Fokus?
Wir sprechen grundsätzlich mit allen. Aber wenn man zwischen Outbound, das heißt, wir sprechen aktiv Kunden an, und Inbound, wir reagieren auf Kundenanfragen, unterscheidet, dann sind wir mit Outbound im Moment stark auf Deutschland und Nordeuropa fokussiert gewesen. Das wird sich aber mit unserem neuen Mitarbeiter in Singapur ändern. Von dort werden wir auch im asiatischen Raum Outbound-Aktivitäten starten. Inbound reagieren wir auf jeden, der auf uns zukommt. Wir haben im Moment unter anderem auch Kunden aus Nordamerika, Asien und Griechenland.
Sind die Rückmeldungen in den verschiedenen Regionen unterschiedlich?
Ich würde sagen, dass es in Griechenland am schwierigsten ist. Von griechischen Schifffahrtskunden bekommen wir die geringste Resonanz. In Asien sind die größeren Firmen dagegen schon recht wach: Es gibt dort sehr viele große Player, vor allem im Container-Bereich, die genau wissen, dass sie Handelsrouten nach Europa unterstützen. Und so ein Containerschiff emittiert sehr viel, das heißt, es kann sehr schnell sehr teuer werden. Dasselbe gilt auch für unsere größeren nordamerikanischen Kunden. Diese Firmen haben dedizierte Teams, die sich mit dem Thema EU ETS rechtzeitig beschäftigen.
Ein Großteil der maritimen Unternehmen hat aber kleine Teams und keine Strukturen, um sich mit dem Thema rechtzeitig zu beschäftigen.
Das stimmt. 80 Prozent der Schiffe dieser Welt sind in den Händen von Klein- bis Kleinstreedern oder -managern, die vielleicht eine Flotte von zehn bis 20 Schiffen haben. Und die haben nicht sehr viel Personal und höchstwahrscheinlich auch keine Strategieabteilung. Durch das sehr zyklische Schifffahrtsgeschäft sind die Teams eben häufig sehr klein und operativ aufgestellt, um Kosten zu sparen.
Kann das dazu führen, dass kleinere Unternehmen mit der Einführung von EU ETS nicht überleben?
Das möchte ich unseren Kunden nicht wünschen, aber es ist auch absehbar, dass es nicht bei CII und EU ETS bleibt. Wir wissen, dass in den USA gerade eine „Carbon Tax“, also eine CO2-Steuer, diskutiert wird, während die asiatischen Länder entweder Emissionshandelssysteme oder auch CO2-Steuern planen. Die Komplexität nimmt von hier an nur zu und deswegen ist es definitiv so, dass größere Firmen mit professionellen Strukturen systematische Vorteile haben. Dass das zu einer Markt-Konsolidierung führen kann, haben wir bereits in anderen Industrien gesehen.
Die Software von Zero44 wird mit einer Lizenzgebühr pro Monat pro Schiff angeboten und soll so gleichermaßen für kleine wie große Firmen attraktiv sein.
Ja, das ist immer noch unser Modell. Wir haben es allerdings jetzt für EU ETS um eine Abrechnungsmöglichkeit nach der Anzahl der EU-Zertifikate ergänzt. Denn es kann sein, dass nur einige Schiffe einer Reederei nach Europa fahren und das dann auch nur manchmal. Wir wollen mit unseren skalierbaren Softwareprodukten gerade kleine und mittlere Reeder unterstützen. Die Schifffahrt ist nicht umsonst immer noch so fragmentiert, weil es auch Vorteile hat, in Nischen zu springen und ein sehr direktes, operatives Geschäft zu betreiben. Wir werden in den kommenden Jahren sehen, was sich als Wettbewerbsvorteil durchsetzt.
Über zero44
Das 2022 in Berlin gegründete Unternehmen zero44 hilft Reedereien, Schiffsmanagern und Charterern dabei, ihre CO2-Emissionen zu planen und zu optimieren. Schifffahrtsunternehmen erhalten mithilfe der digitalen Lösung einen umfassenden und tagesaktuellen Überblick über ihre CO2-Emissionen und können erfassen, welche kommerziellen Auswirkungen bestimmte Entscheidungen ihrer Schiffseinsatzplanung haben, und ihre Prozesse daraufhin optimieren.
Sind weitere Lizenzmodelle geplant?
Ein Start-up würde zwar nie sagen, dass wird ewig so bleiben, aber im Moment sind wir damit gut aufgestellt.
Was wird auf Softwareseite noch in den kommenden Monaten passieren?
Bei CII sind wir bei ungefähr 95 Prozent und arbeiten an den letzten 5 Prozent kleinteilig weiter. Bei ETS ist das anders. Die Grundlage für die ETS-Zertifikate-Buchhaltung steht, aber wir müssen das jeweils auf die verschiedenen Geschäftsmodelle beziehungsweise Verträge, wie beispielsweise Zeit- oder Reisecharter, in der Schifffahrt anpassen. Das sind alles sehr komplizierte Einzelfälle, die wir jetzt Stück für Stück mit unseren Kunden durcharbeiten. Im Dezember werden wir bei 85 Prozent sein und wir versprechen den Kunden, die jetzt bei uns einsteigen, dass die Software für sie im Januar lauffähig sein wird. Das schaffen wir. Aber wir werden in 2024 daran weiterarbeiten müssen, zahlreiche verschiedene Fälle in unserer Software abbilden zu können.
Wie sehen diese unterschiedlichen Anforderungen der Kunden aus?
Die Ausprägung ist nur geschäftsmodellspezifisch, nicht kundenspezifisch. Wir bauen nicht für jeden Kunden eine individuelle Lösung, sondern wir bauen beispielsweise eine Lösung für Reisecharter, eine für Zeitcharter und eine weitere für einen Tankerpool. Das sind Geschäftsmodelle, die häufig in der Industrie vorkommen. Das große Bedürfnis aller Kunden ist, bei diesem finanziellen Risiko nicht den Überblick zu verlieren. Denn die Kosten können auch bei einer kleinen Reederei auf zweistellige Millionenbeträge ansteigen. Das Bedürfnis ist also, nicht auf diesen Kosten sitzen zu bleiben oder gar, wenn die Einreichung im Folgejahr ansteht, Zertifikatelücken zu haben, die dann mit einer hohen Strafzahlung belegt sind.
Stichwort Strafzahlung. Sind Sie sicher, dass diese wie angekündigt durchgesetzt werden?
Wir können davon ausgehen, dass es sehr konsequent durchgesetzt wird und Europa dafür auch die entsprechenden Mittel in der Hand hat. Der gesamte Datenberichtsprozess in Bezug auf Emissionen, die auf Reisen nach Europa verursacht werden, ist auch schon jahrelang durch das sogenannte MRV (Monitoring Reporting Verification) geübt worden. Sobald ein Schiff in einen europäischen Hafen einfahren will, wird das registriert und darüber entsteht die Verpflichtung zum Erwerb der ETS-Zertifikate.
Ein Durchmogeln ist also nicht möglich? Was droht Unternehmen, die es trotzdem versuchen?
Die Sanktionsliste ist bereits veröffentlicht. Für jedes Zertifikat – ein Zertifikat ist dabei immer eine Tonne CO2 auf den Europareisen –, welches nicht gekauft wurde, muss eine Strafzahlung von 100 Euro gezahlt werden. Zusätzlich muss das nicht gekaufte Zertifikat nachgekauft werden, und zwar zum aktuellen Preis. Der schwankt. Im Moment liegt er bei ungefähr 80 Euro, die Zertifikate haben auch schon einmal 100 Euro gekostet. Vielleicht kosten sie, wenn eine Reederei die Zertifikate nachkaufen muss, 150 Euro. Eine Reederei, die da auf Lücke spielen will, muss sich das sehr gut überlegen, weil sie ein sehr hohes finanzielles Risiko in Kauf nimmt. Momentan machen die Unternehmen, mit denen wir sprechen, aber nicht den Eindruck, dass sie das vorhaben.
Über Friederike Hesse
Friederike Hesse ist Mitgründerin und Managing Director von zero44. Davor war sie u. a. COO bei Homeday, Geschäftsführerin bei der Dussmann Group und Referentin im deutschen Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Friederike Hesse hat Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen (Schweiz) studiert und hält außerdem einen Master of Public Business Administration der Harvard University (USA).
Welche Auswirkungen wird EU ETS auf die globalen Schiffsrouten haben?
Man kann damit rechnen, dass zunächst einmal effizientere Schiffe nach Europa fahren, weil die weniger emittieren als ältere Schiffe. Dementsprechend sind diese Schiffe im Angesicht von EU ETS wettbewerbsfähiger. Es kann aber auch sein, dass Routen nach Europa stärker hinterfragt werden. Wenn sich Alternativen anbieten, wird Europa im nächsten Jahr vermutlich erst einmal vermieden werden, weil die Routen nach Europa im Vergleich zu anderen Regionen teurer sind. Wir werden sehen, wie sich die Märkte da neu aufstellen und ausrichten werden. Das kann sich mit der Zeit allerdings auch wieder ändern, da andere Regionen der Welt mit ihren eigenen Systemen nachziehen könnten.
Gibt es in Asien oder Amerika ähnliche Pläne wie das europäische Emissionshandelsgesetz?
In den USA wurde vor der Sommerpause ein konkreter Gesetzesvorschlag von zwei Senatoren in den Kongress eingebracht. In dem Gesetzentwurf stand, dass es auch im Januar 2024 losgehen soll, aber da der Kongress momentan blockiert ist, können wir davon ausgehen, dass sie das nicht mehr schaffen werden. Für Asien weiß ich nichts Konkretes, aber wir haben schon mit Experten gesprochen, die der Meinung sind, dass Asien nachziehen wollen wird, wenn Europa erfolgreich ist. Denn so ein ETS-System ist auch eine sehr gute Einnahmequelle. Die EU verdient aus dem verpflichtenden Emissionshandel enorme Steuergelder, die sie dann für viele industriepolitische Zwecke und Klimawandelbekämpfungszwecke einsetzen.
Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich aktuell über EU ETS und CII hinaus bei Zero44?
Die EU diskutiert derzeit FuelEU Maritime als nächste große regulatorische Maßnahme für Europa. Da geht es darum, dass ein bestimmter Anteil der Kraftstoffe, die verfahren werden, nachhaltige Kraftstoffe sein müssen. Auch diese Regulatorik verlangt nach einer Softwarelösung. Da starten wir gerade mit der Suche nach einem Business Development Manager, den wir mit dieser Aufgabe betrauen können und der rechtzeitig anfängt, das Produkt vorauszudenken. So sind wir dann im Januar 2025 hoffentlich startklar, wenn es mit der Regulatorik los gehen soll.
Wo wird die Industrie und auch Zero44 in einem Jahr stehen?
Was die Industrie allgemein angeht, werden wir im nächsten Herbst einen guten Eindruck davon haben, wie die Industrie auf ETS reagiert hat. Und wir werden auch klarer wissen, wie es mit den anderen regulatorischen Themen weitergeht. In Bezug auf uns ist das nächste halbe Jahr sehr spannend. Unser Plan ist, dann 600 Schiffe unter Vertrag zu haben und signifikante Umsätze zu generieren. Wir haben ein wirklich gutes Produkt. Deshalb sind wir sehr optimistisch, dass wir nächstes Jahr ein noch reiferes Unternehmen präsentieren können, das sichere Umsätze schreibt.
Im ersten Teil des Interviews ging es unter anderem um das schwierige Marktumfeld für junge Unternehmen in der Logistik. Friederike Hesse verrät zudem, wie es ihrem Start-up seit der Gründung Anfang 2022 ergangen ist.