DVZ: Herr Frey, Sie sind 2008 als Projektmanager zur Seifert Logistics Group gekommen. Heute sind Sie der CEO. Wie hat sich das Thema Nachhaltigkeit in den vergangenen Jahren in Ihrem Unternehmen entwickelt?
Axel Frey: Als ich bei Seifert angefangen habe, war das auch schon ein Thema. Der Elektro-Lkw hat damals natürlich keine Rolle gespielt. Dafür gab es noch nicht die technischen Möglichkeiten. Da ging es noch um Themen wie Müllsortierung oder Mülltrennung. Wir haben auch Videokonferenzen gemacht, um Reisen zu vermeiden.
Was hat sich gegenüber 2008 geändert?
Frey: Sehr, sehr viel. Da lohnt sich ein Blick auf unsere aktuelle Nachhaltigkeitsstrategie. Natürlich ist die ökologische Nachhaltigkeit dort immer noch der größte Pfeiler. Aber gerade die soziale Nachhaltigkeit steht heute mehr im Fokus. Durch unsere neue Unternehmensstrategie, die wir vor zwei Jahren ins Leben gerufen haben, haben wir den Mitarbeiter völlig in den Mittelpunkt unseres Handelns gestellt.
Was bedeutet das konkret?
Frey: Wir wollen, dass der Mitarbeiter am liebsten vom Anfang der Ausbildung bis zu seiner Rente bei uns arbeitet. Deswegen zentrieren wir ihn und wollen uns auch im Umfeld des Mitarbeiters engagieren, etwa in den Sportvereinen der Kinder. Wir helfen aber auch bei den großen Krisen, haben beispielsweise Hilfslieferungen in die Ukraine organisiert.
Fehlt noch die dritte Säule der Nachhaltigkeit: Ökonomie.
Frey: Ganz klar, wir sind ein Wirtschaftsunternehmen. Wir haben 4.000 Mitarbeiter und müssen gewährleisten, dass es uns morgen, übermorgen und auch noch in 20 Jahren gibt. Dieser Wandel von der rein ökologischen Nachhaltigkeit zu diesem Drei-Säulen-Konzept wurde bei uns in den vergangenen rund 15 Jahren vollzogen.
Axel Frey
2022 übernahm Axel Frey im Rahmen des Transformationsprozesses die Nachfolge von Harry Seifert als CEO der Seifert Logistics Group und damit die Verantwortung für die Weiterentwicklung der Unternehmensgruppe. Freys Karriere im Familienunternehmen begann 2008 mit einem dualen Studium.
Dieses Konzept ist aber kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Was ist das Besondere bei Ihnen?
Frey: Die Seifert Logistics Group hat eine große Transformation vollzogen. Zum einen ist das Unternehmen zuletzt stark gewachsen, zum anderen hat Harry Seifert es erst vor kurzem in die Fremdgeschäftsführung übergeben. Wir haben ganz bewusst gesagt, wir müssen die Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie verankern.
Ist das heute nicht selbstverständlich?
Frey: Das wäre schön. Leider ist es in unserer Branche immer noch häufig so, dass Nachhaltigkeit jemand noch neben seinem eigentlichen Job betreuen soll. Da werden dann ein paar Berichte ausgefüllt, damit der Kunde zufrieden ist. Ich nenne das Alibi-Nachhaltigkeit. Das ist nicht unser Weg.
Wie haben Sie sich personell zur Nachhaltigkeit aufgestellt?
Frey: Wir sind sehr froh, dass wir mit Regina Taranyuk eine Mitarbeiterin haben, die sich Vollzeit mit dem Thema beschäftigt. Sie ist dafür verantwortlich, dass alle Dimensionen der Nachhaltigkeit im Fokus sind. Wir verfassen seit 2021 Nachhaltigkeitsberichte, obwohl wir dazu aktuell noch keine Verpflichtung haben.
Regina Taranyuk
Seit 2022 ist Regina Taranyuk als Nachhaltigkeitsbeauftragte der Seifert Logistics Group tätig. Mit ihrem Team verantwortet sie die Implementierung der Nachhaltigkeitsstrategie, die Koordination von Umweltkennzahlen, die Umsetzung von gesetzlichen und normativen Anforderungen sowie die Erstellung des Nachhaltigkeitsberichts.
Fordern Ihre Kunden diese Berichte schon heute oder erstellen Sie sie aus eigener Überzeugung?
Frey: Derjenige in der Branche, der erst dann anfängt, über Nachhaltigkeitsberichte nachzudenken, wenn die Kunden nachfragen, ist raus. Unsere Nachhaltigkeitsbemühungen sind mit großen Investitionen verbunden. Nachhaltigkeit ist nicht nur wichtig für unsere Zukunft und die Welt unserer Kinder, sondern bietet auch für das Unternehmen einen ökonomischen Vorteil in den kommenden Jahren. Dafür gehen wir aktuell in Vorleistung.
Frau Taranyuk, Sie sind seit zwei Jahren als Nachhaltigkeitsverantwortliche bei Seifert tätig. Diese Funktion wird sehr unterschiedlich ausgelegt. Wie definieren Sie Ihre Rolle?
Regina Taranyuk: Das Aufgabenfeld ist sehr umfangreich. Über allem steht bei mir die Entwicklung und permanente Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie im Kontext der vielfältigen Anforderungen aller drei Säulen.
Bei einem Unternehmen mit mittlerweile mehr als 4.000 Mitarbeitern sind die Aufgaben des Nachhaltigkeitsteams natürlich auch gewachsen. Wie groß ist das Team?
Taranyuk: Wir sind zu dritt. Ich bin gewissermaßen die Koordinatorin der Aufgaben. Vor kurzen haben wir einen Kollegen in der neu geschaffenen Position des Nachhaltigkeitscontrollers dazubekommen. Er prüft künftig, ob die von uns gesteckten Jahresziele auch erreicht werden.
Frey: Dieses Kernteam ist elementar wichtig für uns. Dazu haben wir aber auch in den Fachabteilungen, also im Bereich Personal oder im Bereich Real Estate, immer Personen definiert, die sich um die spezifischen Themen in ihren Ressorts kümmern. Das Nachhaltigkeitsteam muss aber sehr viel abdecken und wissen. Wir haben über 45 Standorte in Europa, und jeder davon ist etwas anders. Letztlich braucht es die zentrale Koordination und den Support aus den einzelnen Fachbereichen, damit die Transformation gelingt.
Viele Logistiker bereiten sich gerade auf die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vor. Ab wann sind Sie nach CSRD berichtspflichtig und wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen?
Taranyuk: Wir sind ab 2026 für das Berichtsjahr 2025 berichtspflichtig. Tatsächlich stecken wir da aktuell auch mitten in den Vorbereitungen. Was gehört alles dazu? Die doppelte Wesentlichkeitsanalyse ist ganz zentral. Wir optimieren unsere Strategie zudem anhand der CSRD-Vorgaben und auch die jährliche Zieldefinition. Das alles wird im Nachhaltigkeitsreport künftig zusammengeführt.
Bringt die CSRD noch neue Herausforderungen oder haben Sie sich ohnehin schon mit vielen der Themen befasst?
Frey: Ich bin sehr froh, dass wir nicht heute damit anfangen, sondern schon lange daran arbeiten und daher auch wissen, was auf uns zukommt. Wenn man sich in der Branche umhört, ist das längst nicht selbstverständlich. Einerseits legt uns die steigende Bürokratie viele Steine in den Weg und sorgt für deutlich mehr Belastung durch Berichtspflichten. Andererseits glaube ich, dass wir auf dem Markt Vorteile erzielen können, wenn wir die CSRD gut nutzen. Dann können wir unserer Kundschaft ganz transparent zeigen, wie es bei Seifert funktioniert.
Welche Projekte zur Emissionsreduktion stehen aktuell besonders im Fokus?
Taranyuk: Ganz wichtig ist der E-Lkw. Wir haben mittlerweile fünf im Einsatz, planen aber mit weiteren. Hier gibt es aber noch einige Herausforderungen. Erstens die Verfügbarkeit von den Fahrzeugen. Zweitens, dass die Fahrzeuge da funktionieren, wo wir sie einsetzen wollen. Drittens die Kosten. Die Fördersituation ist weiterhin ein Problem. Selbst die Förderung, die es gab, war nicht zufriedenstellend.
Fünf E-Lkw ist angesichts der knapp 200 Einheiten umfassenden Flotte von Seifert Logistics noch keine große Zahl.
Frey: Wir sind da noch im einstelligen Prozentbereich unserer Flotte. Aber es geht um die kontinuierliche Entwicklung. Ende 2022 hatten wir noch gar keinen E-Lkw, Ende 2023 waren es drei. Heute haben wir fünf, und wir werden dieses Jahr weitere drei anschaffen. Wir können nicht die ganze Flotte innerhalb von drei Jahren austauschen. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, und auch die Kunden müssen uns bei der Transformation unterstützen.
Der E-Lkw ist in vielen Einsatzgebieten mit Blick auf die Gesamtkosten – Total Cost of Ownership (TCO) – schon heute wirtschaftlicher als der Diesel. Wie sieht das bei Seifert aus?
Frey: Die E-Lkw sind bei uns in allen Bereichen im Einsatz: im Nahverkehr, im Shuttleverkehr und auch im Fernverkehr. Tatsächlich funktioniert der TCO-Ansatz auch aus unserer Sicht. Mal ganz grob gerechnet: Der Elektro-Lkw kostet 150.000 Euro mehr als der Diesel-Lkw. Wenn wir den fünf Jahre lang nutzen, haben wir also 30.000 Euro Mehrkosten pro Jahr. Der Fernverkehrs-Lkw fährt rund 100.000 Kilometer im Jahr, davon sind 80.000 Kilometer bemautet. 80.000 Kilometer mal 0,35 Euro macht 28.000 Euro. Wenn ich also in der Lage bin, den Strom für den richtigen Preis zu beziehen, dann ist diese Rechnung positiv. Eine weitere Unsicherheit bilden in dem Zuge aber die Mautsätze, die für die nächsten Jahre nicht fixiert sind und die Rechnung damit schnell umdrehen können.
Frau Taranyuk, wann wird es keine Frage mehr sein, ob sich der E-Lkw mehr lohnt?
Taranyuk: Neben dem Strompreis spielen weitere Faktoren wie die Lkw-Maut und der CO2-Preis eine Rolle. Letztlich glaube ich, dass sich der finanzielle Gap in den kommenden Jahren weiter schließen wird. Entscheidend ist natürlich auch die Preisentwicklung der Fahrzeuge. Heute werden noch deutlich weniger Elektro-Lkw als Diesel-Lkw gebaut. Wenn die Stückzahlen nach oben gehen, gibt es Mengeneffekte, und der Preisunterschied liegt nicht mehr bei 150.000 Euro, sondern bei 100.000 Euro oder noch weniger.
Frey: Ich glaube übrigens, dass wir nie flächendeckend den Elektro-Lkw im Einsatz haben werden, sondern es wird einen Mix geben. Die Reichweitenfrage werden wir beim E-Lkw nicht so schnell gelöst bekommen. Bei einer Route von Krakau nach Lissabon, gute 3.000 Kilometer, wird der Diesel auch in fünf Jahren noch im Vorteil sein. Beim Fernverkehr setze ich – ohne genau zu wissen, wie die technische Entwicklung weitergeht – eher auf andere Antriebsstoffe wie HVO.
Glauben Sie, dass auch der Wasserstoff-Lkw eine relevante Rolle einnehmen wird?
Frey: Erste 40-Tonner, die mit Wasserstoff betrieben werden, erwarte ich erst 2030. Zudem gibt es noch gar keine Tankinfrastruktur, und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese in wenigen Jahren aufgebaut werden kann. Zweitens ist der Wirkungsgrad beim Wasserstoff-Lkw noch viel zu niedrig, und die Verflüchtigung von Wasserstoff ist ein großes Problem.
Auch um Kosten zu sparen, lohnt sich langfristig die Investition in eigene Energieproduktion. Wie ist Seifert da aufgestellt?
Taranyuk: Wir bauen gerade auf unserer neuen Lagerhalle in Ulm eine Photovoltaikanlage. Die wird insgesamt mit der Anlage, die wir schon haben, bis zu 5,5 Megawatt Peak leisten können. Aber auch so ein Projekt ist in der Umsetzung nicht einfach. Man muss jemanden finden, der lieferfähig ist und die Anlage zu einem Preis errichten kann, sodass es sich am Ende für alle Beteiligten rentiert. Hinzu kommt, dass wir gar nicht so viel Strom brauchen, wie wir produzieren. Dann muss der Strom entsprechend abtransportiert oder auch von anderen Unternehmen genutzt werden können, sofern wir diesen beispielsweise an Marktbegleiter, die bei uns abladen, weiterverkaufen können.
mehr als 45
Standorte hat die Seifert Logistics Group in Europa.
mehr als 4.000
Mitarbeiter hat die Seifert Logistics Group.
Quelle: Seifert Logistics
Bietet die Nachhaltigkeit denn schon heute ökonomische Vorteile oder ist es ein Draufzahlgeschäft beziehungsweise ein Invest in die Zukunft?
Frey: Vor einem Jahr wäre meine Antwort noch ganz anders ausgefallen. Da fanden unsere Kunden toll, was wir machten, aber bezahlen wollten sie nicht dafür. Das hat sich in den vergangenen zwölf Monaten aber so gewandelt, dass man teilweise bei Ausschreibungen nicht mehr mitbieten darf, wenn man nicht nachhaltig anbieten kann. Wir haben Kunden, die in größeren Ausschreibungen heute sagen, wir brauchen CO₂-Reduktionen zwischen 50 und 80 Prozent im Vergleich zum konventionellen Transport.
Bei wie vielen Ausschreibungen ist Nachhaltigkeit heute ein wichtiger Faktor?
Frey: Das ist heute bei ungefähr einem Viertel der Ausschreibungen der Fall. Noch vor zwölf Monaten war das im einstelligen Prozentbereich. Heute ist es aber definitiv ein relevanter Faktor.
Die Seifert-Gruppe ist zuletzt stark gewachsen. Das macht das Erreichen von Reduktionszielen zusätzlich schwierig.
Frey: Die Reduktionsziele für Scope 1, 2 und 3 werden an absoluten Zahlen festgemacht. Das halte ich allein mathematisch gesehen für den falschen Ansatz. Wenn ein Unternehmen sich in zehn Jahren verdoppelt und im selben Zeitraum die CO₂-Emissionen halbiert, dann ist das eigentlich eine Vierteilung der Werte. Ich verstehe natürlich den Grundansatz, dass wir insgesamt die Reduktion schaffen müssen und jeder einen Teil dazu beitragen muss. Absolute Reduktionsziele von 50 oder 70 Prozent sind leicht formuliert. Aber das ist in Verbindung mit einem stark wachsenden Unternehmen wie dem unseren eine doppelte Herausforderung.
Was sind die Wachstumsziele für Seifert in den kommenden Jahren?
Frey: Klar ist, dass wir weiter wachsen wollen. Es muss aber nicht so rasant wie in den vergangenen Jahren weitergehen. Sollten sich Möglichkeiten ergeben, machen wir das aber. In unserer Unternehmensstrategie haben wir eine Prognose bis zum Jahr 2028 gegeben, dass wir uns in den kommenden vier Jahren um 15 bis 20 Prozent vergrößern werden. Wachstum ist weiterhin wichtig, um am Markt eine gewisse Relevanz zu haben und weiter bestehen zu können.
Bis 2033 sollen die Scope-1- und Scope-2-Emissionen der Seifert-Gruppe im Vergleich zum Basisjahr 2021 um 55 Prozent reduziert werden, die Scope-3-Emissionen um 33 Prozent. Klingt ambitioniert.
Frey: Ich bin vollkommen überzeugt, dass wir das schaffen werden. Ansonsten hätten wir dieses Commitment gar nicht abgegeben. Es ist wichtig, sich früh auf den Weg zu machen, weil die Transformation sonst in kürzerer Zeit noch schwieriger wird. Wichtig für das Gelingen sind für uns stabile politische Rahmenbedingungen. Wir brauchen Hersteller, die ausreichend Fahrzeuge bereitstellen, und idealerweise sich reduzierende Preise für nachhaltige Lösungen. Und ganz wichtig ist natürlich die entsprechende Infrastruktur. Aktuell brauchen wir möglichst flächendeckend Tankstellen, die HVO anbieten. Dazu muss die Ladeinfrastruktur für E-Lkw und die Tankinfrastruktur für Wasserstoff-Lkw schnellstmöglich ausgebaut werden.