Verkehrsminister Volker Wissing eröffnete die IAA Transportation.

Bild: picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

Die E-Lkw sind erwachsen geworden

19.09.2024

Die Nutzfahrzeugbranche treibt ihre Transformation kräftig voran, und die Lkw-Hersteller demonstrieren in Hannover, wie die batterieelektrische Zukunft des Güterverkehrs aussehen wird. Doch noch sind die Diesel-Lkw nicht abgeschrieben.

Die IAA Transportation markiert einen deutlichen Schwenk weg von konventionellen Diesel-Lkw hin zu alternativen Antrieben. Dabei sind in diesem Jahr vor allem die batterieelektrisch angetriebenen Lkw (BEV) in den Fokus gerückt – obwohl nach wie vor auch die eine oder andere Weiterentwicklung bei den Diesel-Lkw ihre Premiere feiert.

Ein markanter und wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum emissionslosen Güterverkehr ist, dass die potenziellen Reichweiten vieler neuer Modelle von Mercedes-Benz, Daf Trucks, Scania, Iveco und Co. mittlerweile bei 500 Kilometern und mehr mit einer Batterieladung liegen. Damit lassen sich Experten zufolge rund 80 Prozent aller Einsatzfälle im Nah- und Fernverkehr abdecken.

Konkurrenten aus USA und China

Doch sind die europäischen Hersteller anscheinend nicht die Benchmark, wenn es um die Reichweiten geht. Newcomer wie der chinesische Hersteller Windrose versprechen mittlerweile Reichweiten von rund 650 Kilometern – und auch Tesla gibt für die Sattelzugmaschine Semi, die in Hannover für Probefahrten zur Verfügung stand, einen noch etwas höheren Wert an. Doch bis diese Fahrzeuge in Serie gefertigt werden, müssen sich die Interessenten noch bis Ende des nächsten Jahres beziehungsweise Anfang 2026 gedulden müssen.

Fraglich ist dabei, ob sich die für den chinesischen und den US-amerikanischen Markt konzipierten Fahrzeuge sinnvoll auf europäischen Straßen einsetzen lassen. Doch immerhin hat Charles Yu, der bei Windrose für globale strategische Partnerschaften verantwortlich zeichnet, angekündigt, dass sein Unternehmen ein für europäische Vorgaben passendes Fahrzeug anbieten will. Dieses läuft seit zwei Monaten im Testbetrieb in Polen – und sieht dem Tesla Semi verblüffend ähnlich.

Neben diesen beiden Protagonisten sorgte eine Kooperation der besonderen Art für Aufmerksamkeit. Das chinesische Technik-Start-up Super Panther hat gemeinsam mit der österreichischen Lkw-Schmiede Steyr innerhalb von nur zwei Jahren den Prototypen des eTopas 600 entwickelt – komplett mit eigener Elektro-Achse und einer hochkompakten Regelungselektronik. Der technische Reifegrad ist so hoch, dass die beiden Partner laut Europachef Michael Ruf bereits Ende 2025 mit der Serienfertigung beginnen wollen. Die grundlegende Antriebstechnik stammt dabei von Super Panther, alles andere wird von Steyr kommen.

State of the Art in Europa

Die Ansätze von Daf Trucks, MAN, Scania, Volvo Trucks und Renault Trucks unterscheiden sich von dem Ansatz des Start-ups. Sie setzen mit ihren aktuellen Fahrzeugen allesamt auf die konventionelle Zentralantriebskonfiguration. Die Motorgetriebeeinheiten übertragen ihre Kraft in diesem Layout klassisch per Kardanwelle an die Hinterachse. Mal kommt eine E-Maschine zum Einsatz, mal sind es drei. Die Getriebe schalten je nach Modell durch zwei bis sechs Gänge. Die Batteriepakete wiederum werden hauptsächlich an den Seiten des Leiterrahmens montiert.

Diese Produktionsstrategie bringt Vorteile: Mit dem Antriebsstrangkonzept ist es möglich, über alle Antriebsalternativen viele Gleichteile zu nutzen, beispielsweise Hinterachsen oder sogar Getriebe. Außerdem verbleibt für die Hinterachse eine hohe Nutzlast. Negativ ist auf der anderen Seite, dass die Effizienz im Vergleich zum E-Achsen-Layout leidet und der Zentralantrieb mehr Raum beansprucht, der damit für zusätzliche Akkupakete nicht mehr zur Verfügung steht.

Iveco und Mercedes-Benz Trucks setzen aus diesen Gründen klar auf die E-Achse, womit sie die im Feld der europäischen Wettbewerber größten Batterien (in Bezug auf die entscheidende nutzbare Kapazität) und die höchsten Reichweiten realisieren können. Mit voll ausgeladenen Aufliegern im Schlepp lassen sich auf diese Weise bis zu 500 Kilometer zurücklegen – ohne Ladepause.

Auch Volvo Trucks wird vor diesem Hintergrund schon bald Fernverkehrs-Lkw mit E-Achsen fertigen. Die für 2025 angekündigte Long-Range-Variante des FH Electric wird weggehen vom Zentralantrieb und damit laut Hersteller eine Reichweite von bis zu 600 Kilometer aufweisen.

Bühne für politische Forderungen

Bundesverkehrsminister Volker Wissing stellte während der Eröffnung der IAA Transportation Forderungen, die der Branche trotz aller Elektro-Ambitionen gefallen dürften. Er fordert von der EU eine Überprüfung der CO₂-Flottenziele für die Auto- und Nutzfahrzeugindustrie. „Europa verliert an Glaubwürdigkeit, weil es Ziele vorgibt, die es selbst nicht erreichen kann“, sagte der FDP-Politiker in seiner Eröffnungsrede. Er unterstütze daher die Forderung der Branche, die Überprüfung der CO₂-Ziele auf 2025 vorzuziehen. Vorgaben seien nötig, so der Minister, aber sie müssten in der Praxis auch tatsächlich umsetzbar sein. Alles andere schwäche die Industrie.

Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, hatte zuvor ebenfalls in ihrer Rede gefordert, die CO₂-Vorgaben für 2025 zu überprüfen. „Die erforderlichen Rahmenbedingungen werden nicht mit der notwendigen Entschlossenheit angegangen“, sagte sie. „Wir fordern die EU-Kommission daher auf, die für 2026 und 2027 geplanten Reviews jeweils ein Jahr vorzuziehen.“ Nur dann gebe es Klarheit, wo nachgebessert werden müsse.

Hintergrund ist der Stufenplan der EU zur Senkung des CO₂-Ausstoßes von Neufahrzeugen. Die Flottenziele der einzelnen Hersteller, die sich auf den Durchschnittswert aller Neu-Lkw beziehen, werden ab 2025 verschärft. Erreichen lassen sich die strengeren Grenzwerte nach Einschätzung der Branche nur mit mehr Elektrofahrzeugen, die den Schnitt drücken. Wird das Ziel verfehlt, drohen hohe Strafzahlungen. Angesichts der schwachen Verkaufszahlen solcher Modelle fordern mehrere Hersteller eine Streckung des Zeitplans. (mit Material von dpa)

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