Die Werften im Land Bremen sind seit Jahrhunderten ein wichtiger Teil der maritimen Wirtschaft. Hier werden Schiffe gebaut, repariert und umgebaut. Was es nicht gibt: Anlagen für Schiffsrecycling, die nach modernen EU-Standards Schiffe am Ende ihres Lebens zerlegen und wertvolle Werkstoffe sichern. Aber das könnte sich ändern.
„Die Perspektiven für das Schiffsrecycling im Land Bremen sind vielversprechend“, heißt es in einer Studie, die seit Ende 2023 die Debatte bereichert. An Vorzügen zählt das Papier die starke maritime Tradition mit Infrastruktur und Know-how auf. Ferner liege Bremen verkehrsgünstig. Akteure aus Industrie und Logistik seien eng verzahnt und politische Entscheidungswege kurz. Auch der internationale Ruf der deutschen Recyclingstandards sei ein Plus, heißt es.
Verfasser der Studie „Schiffsrecycling in Bremen“ sind Prof. Raimund Bleischwitz und zwei Mitarbeiter vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen. Bei einem Ortstermin in Bremerhaven erläutert Bleischwitz die Perspektiven. Man dürfe Schiffsrecycling nicht nur als soziales und ökologisches Problem in Ländern wie Indien, Pakistan und Bangladesch sehen – dort werden die meisten Schiffe unter oft fragwürdigen Bedingungen abgewrackt –, sondern auch unter dem Vorzeichen der Rohstoffsicherheit und des Klimaschutzes. Denn Stahlproduzenten wollten ihre Produktion klimafreundlich gestalten, auch mit dem sogenannten Lichtbogenverfahren. Dazu sei viel Stahlschrott nötig.
Als Hauptabnehmer für Stahl aus Schiffsrecycling in Bremen sehen Bleischwitz und Kollegen daher das dort ansässige Stahlwerk von ArcelorMittal. Zudem könnten Rohstoffe wie Kupfer, Aluminium und Blei sowie Ausrüstungsersatzteile wiederaufbereitet werden. Dabei wäre der Einsatz digitaler und automatischer Verfahren wie digitale Zwillinge denkbar. Neben der Wiedergewinnung der wertvollen Stoffe müssten Schadstoffe wie Asbest und Altöle entsorgt werden.
Pilotprojekt könnte dieses Jahr starten
Bleischwitz erkennt ein Potenzial von 20 bis 25 größeren recycelten Schiffen pro Jahr im Land Bremen. Auf Basis aktueller Stahlpreise laufe das auf rund 100 Millionen Euro Wertschöpfung hinaus. Die Herausforderung sei, eine Anlage dafür zu realisieren und damit auch die Logistikprozesse zu definieren. Er meint beispielsweise den Transport des Stahls vom Bremerhavener Fischereihafen – einem möglichen Standort für Schiffsrecycling – zum Stahlwerk in Bremen und den Weg weiterer Teile zu anderen Firmen. Letztlich gehe es um eine „maritime Kreislaufwirtschaft“. Zunächst wäre für Bleischwitz aber ein Pilotprojekt mit einem mittelgroßen Schiff sinnvoll. „Das könnte in diesem Jahr anfangen, wenn die Genehmigungsverfahren zügig geklärt werden.“
Beauftragt hat die Studie der Bremer Senat. Die Landesregierung erkennt die Chance für Schiffsrecycling ebenfalls, wie sie Mitte Mai in der Antwort auf eine Große Anfrage der FDP-Bürgerschaftsfraktion klarmachte. „Investitionen in spezifische Infrastrukturen zum nachhaltigen Schiffsrecycling“ plant der Senat aber nicht. Dafür sei kein Bedarf erkennbar. „Anzunehmen ist vielmehr, dass bestehende Unternehmen wie Schiffbau- und Werftbetriebe deren vorhandene Anlagen ergänzend auch für mit dem Recycling von Schiffen verbundene neue Aufgaben nutzen können.“
Diese Haltung kritisiert der FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Prof. Hauke Hilz. Er findet, dass beim geplanten EnergyPort ein Recycling-Dock an der Weser direkt mit eingeplant werden sollte. Der EnergyPort wurde 2023 politisch auf den Weg gebracht. Auf dem Areal im Süden von Bremerhaven könnten künftig beispielsweise Teile für Windparks sowie Wasserstoff umgeschlagen werden.
Hohe Nachfrage nach Recycling
In den Startlöchern beim Schiffsrecycling steht die Firma Leviathan. Sie hat ihren Sitz in Bremen, will Schiffe allerdings zunächst andernorts recyceln. Für den ersten Standort in Stralsund laufe das Genehmigungsverfahren nach Bundesimmissionsschutzgesetz, für einen weiteren Standort sei das Genehmigungsverfahren in Vorbereitung, teilt Co-Chef Simeon Hiertz mit. Die Nachfrage von Reedereien sei groß, „wir haben wöchentlich neue Anfragen“. Perspektivisch kann er sich Bremen auch für das Recycling selbst vorstellen. Grundsätzlich seien die Rahmenbedingungen hervorragend. „Allerdings sind Flächen am Wasser, idealerweise mit Werftinfrastruktur, knapp und in wenigen Händen.“
Die Frage, welche Hürden das Schiffsrecycling in Deutschland und Bremen behindern, beantwortet Hiertz so: „Langfristige Genehmigungsverfahren und noch langsamere Finanzinstrumente zur Förderung sind enorme Innovationsbremsen.“ Dies gelte zwar nicht nur für Schiffsrecycling. Doch durch die Genehmigungspflicht, bevor man überhaupt starten könne, seien Innovationen im Abfallbereich „noch viel schwieriger als sonst in der Industrie“. (alb)