98 Prozent der CO₂-Emissionen des Güterverkehrs entfallen auf den Straßengüterverkehr, hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Frühjahrsgutachten festgestellt.

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Wie der Straßengüterverkehr bis 2045 klimaneutral wird

08.07.2024

Straßentransporte lassen sich nur mit Elektro-Lkw vollständig und wirtschaftlich dekarbonisieren. Technologiekosten und die Verfügbarkeit von Infrastruktur verzögern jedoch aktuell die Transformation. Energieexperten fordern deshalb, während des 
Markthochlaufs auch konsequent alternative Kraftstoffe zu verwenden.

Die Bundesrepublik Deutschland wird es wohl nicht schaffen, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden. Voraussichtlich verfehlt sie die Ziele des Klimaschutzgesetzes, das die Große Koalition in der vergangenen Legislaturperiode beschlossen hat, um den deutschen Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen nachzukommen, das die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzen will.

Warum dieses Scheitern wahrscheinlich ist, betrachtet eine aktuelle Studie des Berliner Öko-Instituts und des Züricher Forschungsinstituts Infras, die das Umweltbundesamt (UBA) als Auftraggeber im Juni vorgestellt hat. Die Untersuchung befasst sich mit den Ziel für den Verkehrssektor als einem der landesweit größten CO2-Emittenten. Der Sektor umfasst den gesamten Straßenverkehr, die Schiene und die Binnenschifffahrt sowie den innerdeutschen Flugverkehr. Die Studie zeigt, dass die mittelfristigen Klimaschutzvorgaben für den Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 nicht zu erreichen sind, und entwickelt Maßnahmenszenarien, mit denen das langfristige Ziel der Klimaneutralität nach Ansicht der Forscher noch realistisch erscheint.

Dabei steht der Verkehrssektor vor einer gewaltigen Herausforderung, denn bislang sind seine Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Referenzjahr 1990 nur geringfügig gesunken. Bis 2045 bleiben ihm nur noch knapp mehr als 20 Jahre, die Klimaneutralität doch noch zu erreichen. Mehr als ein Viertel der deutschen Treibhausgasemissionen (2021 waren es 29 Prozent), die durch den Verkehr entstehen, stammt von schweren Nutzfahrzeugen. Deshalb zählt die Verlagerung von Straßengütertransporten auf emissionsärmere Verkehrsträger wie Bahn und Binnenschiff zu den wichtigsten Klimaschutzmaßnahmen.

Die Schiene kann kaum helfen

Der Anteil der Schiene an der Güterverkehrsleistung soll bis 2030 nach politischen Vorgaben von heute rund 19 auf 25 Prozent ansteigen. Doch dieses Ziel erscheint bereits jetzt unrealistisch. Das macht den Straßengüterverkehr zu einem entscheidenden Bereich für die Senkung klimaschädlicher CO2-Emissionen, seine Elektrifizierung sowie die Einführung effizienterer Nutzfahrzeuge scheint unverzichtbar.

Nur ein einziges Mal seit Inkrafttreten des Klimaschutzgesetzes reduzierten sich im Jahr 2020 die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors in Deutschland erheblich auf damals 145 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente; im Referenzjahr 2019 lagen sie noch bei 163,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Die Rückgang war aber vor allem auf eine reduzierte Mobilität der Menschen infolge der Corona-Pandemie zurückführen. Seitdem lagen die Werte mit 147 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten 2021 und 148 Millionen 2022 über den im Gesetz festgelegten Maximalwerten.

Die Überarbeitung der Lkw-Maut – und vor allem ihre CO2-Komponente – wirkt sich laut den Autoren der Studie in erheblichem Maße auf die Gesamtnutzungskosten der Fahrzeuge aus. Sie verschaffe emissionsfreien Lkw einen Kostenvorteil gegenüber konventionellen Antriebstechnologien mit direkten CO2-Emissionen. Zudem wirke sie, anders als der CO2-Preis im Brennstoffemissionshandelsgesetz, auf alle in Deutschland fahrenden Lkw, weil sie nicht durch Tanken im Ausland umgangen werden kann. So schaffe sie einen Anreiz, im Transitland Deutschland emissionsfreie Lkw einzusetzen.

Veranstaltung: 8. DVZ-Forum Zukunft des Ladungsverkehrs
Strategien großer Unternehmen des europäischen Ladungsverkehrs und Möglichkeiten der Digitalisierung in diesem Marktsegement sind zwei zentrale Themen auf dem DVZ-Forum Ladungsverkehr am 5. September in Köln. Große Player wie Girteka, Waberer’s oder Sennder kommen ebenso zu Wort wie Vertreter des Mittelstands und von Start-ups. Das genaue Programm und die Anmeldemöglichkeit finden Sie unter: www.dvz.de/ladungsverkehr24

Die Autoren der UBA-Studie kommen zu dem Schluss, dass der Markthochlauf und die Verbreitung von Elektro-Lkw erst dann die erforderliche Geschwindigkeit zur Einhaltung der Emissionsziele erreichen, wenn die Lkw-Maut auf alle Straßen ausgeweitet werde. Einen ersten Vorstoß in diese Richtung hat die baden-württembergische Landesregierung unternommen, die Straßeninfrastruktur aus den Einnahmen der neu einzuführenden Gebühr finanzieren will. Für die Forscher des Öko-Instituts und von Infras steht dagegen im Vordergrund, Elektrofahrzeugen einen Kostenvorteil zu verschaffen, der nach ihren Überlegungen für eine schnellere Marktdurchdringung sorgen soll. Das verstärke die Wirkung der neuen CO₂-Komponente in der Lkw-Maut. Gemäß den Studienergebnissen sei sogar notwendig, die Straßennutzungsgebühr spätestens ab 2025 auf allen Strecken zu erheben, um die Sektorziele für den Verkehr zumindest ab 2030 einzuhalten und Klimaneutralität bis 2045 zu ermöglichen.

Doch für den Straßengüterverkehr bedeutet es angesichts geringer Margen eine besondere Herausforderung, solche strukturellen Veränderungen umzusetzen. „Welcher Transportunternehmer kann das bezahlen und wer stellt sicher, dass die vielen Mautmilliarden auch wieder in einen klimafreundlichen Straßengüterverkehr reinvestiert werden?“, fragt BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt. „Wir befürworten die klimafreundliche Transformation zu elektrisch angetriebenen, emissionsfreien Fahrzeugen ausdrücklich“, betont er, „aber sowohl Deutschland als auch die EU müssen für mehr Planungssicherheit sorgen, bei der Maut sowie deren zweckgebundener Reinvestition in die erforderlichen Infrastrukturen aber auch in Zuschüsse für den Kauf der zwei- bis dreimal teureren E-Lkw.“

Das Management von Klima- und Umweltrisiken sei auch für Kreditinstitute besonders wichtig, sagt Lavinia Bauerochse, die den Nachhaltigkeitsbereich in der Geschäftskundensparte der Deutschen Bank leitet und im Leitungsgremium der Geschäftskundensparte bei der Deutschen Bank sitzt: „Es wird heute bereits in die Kreditgenehmigungsverfahren für Firmenkunden, zum Beispiel auch Transportunternehmen, einbezogen.“

Das Kreditinstitut wolle zunächst verstehen, wie sich die Nachhaltigkeits- und Transitionsstrategie sowie die Dekarbonisierungsziele seiner Kunden auf deren unternehmerisches Handeln auswirke. Dabei sei die Bank von der Verpflichtung geleitet, bis 2050 selbst Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Sie unterstütze „mit nachhaltigen Finanzierungen die Dekarbonisierung des Transportsektors, etwa mit Projektfinanzierungen für die Batteriebranche.“ Konzepte für die Transportbranche selbst liegen nach DVZ-Recherchen im Bankensektor aktuell nicht vor.

CO₂-Ausstoß zu 98 Prozent von Lkw

Der Blick auf die Zahlen unterstreicht, welche Bedeutung Lkw dafür haben, die Klimaschutzziele im Verkehrssektor zu erreichen: 98 Prozent der CO₂-Emissionen des Güterverkehrs entfallen auf den Straßengüterverkehr, hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Frühjahrsgutachten festgestellt. Ein Schlüssel zum spürbaren Erfolg der Klimaschutzmaßnahmen liege darin, den Ausstoß klimaschädlicher Gase durch Lkw-Transporte drastisch zu verringern.

Einen besonders großen ordnungspolitischen Hebel dazu machen die CO₂-Flottengrenzwerte für Lkw-Hersteller aus. Sie begrenzen das Fahrzeugangebot mit Verbrennungsmotoren, indem sie in zwei Stufen eine Reduktion der durchschnittlichen CO₂-Emissionen aller am Markt verfügbaren Lkw eines Anbieters vorschreiben: bis 2025 um 15 Prozent und bis 2030 schließlich um 30 Prozent gegenüber dem Ausgangsjahr 2019. Verfehlt ein Hersteller dieses Ziel, wird er 2025 mit einer Buße von 4.250 Euro für jedes zusätzlich emittierte Gramm CO₂ je Kilometer belegt, ab 2026 erhöht sich der Wert auf 6.800 Euro pro Gramm CO₂ je Kilometer. Zudem ist das Aus für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor in der EU ab 2035 bereits beschlossen. Erst vor wenigen Wochen hat allerdings die CDU/CSU einen erneuten Vorstoß unternommen, dies wieder zurückzudrehen. Sie forderte die Bundesregierung dazu auf, die Zukunft des klimafreundlichen Verbrennungsmotors dauerhaft zu sichern, sofern Fahrzeuge mit E-Fuels und Biokraftstoffen CO₂-neutral betrieben würden.

Die politischen Vorgaben zeigen, dass die Transformation des Straßengüterverkehrs zu einem wesentlichen Teil über das Fahrzeugangebot erreicht werden soll. Hinzu kommt, dass der Einsatz von Dieselfahrzeugen nach der Mauterhöhung ab 2027 auch über den Emissionsrechtehandel wesentlich teurer werden soll. Durch die zusätzlichen Abgaben entsteht ein Kostennachteil von Verbrennern gegenüber Elektro-Lkw, der sich schrittweise immer weiter vergrößert.

Das begrüßt auch der Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV). „Zur Senkung der CO₂-Emissionen im Güterverkehr gehört auch die effiziente Nutzung des Kombinierten Verkehrs auf Schiene und Wasserstraße“, betont Simon Brück, Leiter Umwelt, Klima- und Energiepolitik des Verbands. Elektro-Lkw seien inzwischen über den Prototypenstatus hinaus und beispielsweise in Werksverkehren bereits wirtschaftlich einsetzbar. Das Fehlen einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur sorge aber dafür, dass die Fahrzeuge für lange Distanzen kaum zu gebrauchen seien.

Herausforderung Ladeinfrastruktur

„Das Depotladen ist die Achillesferse für den Einsatz batterieelektrischer Fahrzeuge“, formuliert Brück seine Skepsis. „Aktuell stehen wir vor der Herausforderung, Logistikimmobilien zu elektrifizieren, und stoßen dabei auf diverse Probleme mit Netzanschlüssen, Planungszeiten und Genehmigungen.“ Die Netzbetreiber seien gefragt, schneller für die benötigte Leistung zu sorgen und den Ausbau ihrer Kapazitäten voranzutreiben. Off-Grid-Systeme hält er für keine praktikable Alternative: „Die Systeme liefern oftmals noch keine ausreichenden Strommengen, und wenn doch, dann werden dafür riesige und teure Batteriespeicher benötigt.“

Diese Einschätzung unterstützt auch Patrick Schuster, Leiter Strategie Landverkehr bei Kühne + Nagel (KN): „Wenn die Verantwortung für die Ladeinfrastruktur allein bei den Logistikdienstleistern läge, wäre ich sicher, dass wir sie schaffen können.“ Logistikdienstleistern würde es helfen, wenn die Netzbetreiber beim Ausbau von Ladeinfrastruktur schneller agierten: „An einem unserer Standorte, an dem wir mehrere Fahrzeuge umrüsten wollen, hat sich seit über einem Jahr nicht viel getan.“

Auch dezentrale Infrastruktur mit autonomen Ladesäulen entstehe sowohl aus Materialmangel als auch aufgrund der hohen Kosten viel zu langsam. „Die Kosten für eine Kilowattstunde Batteriespeicherkapazität liegen aktuell noch bei rund 130 Euro“, berichtet DSLV-Energiefachmann Brück. Ein Fuhrpark mit 50 Lkw, die über 600 Kilowattstunden Akkukapazität verfügen, würde also allein Batteriespeicher für fast 4 Millionen Euro benötigen, die Ladeinfrastruktur noch nicht eingerechnet. Als ähnlich überteuert bewertet KN-Mann Schuster Lkw mit Wasserstoff-Brennstoffzelle: „Wasserstoff wird aus wirtschaftlichen Gründen eine geringere Rolle spielen als viele annehmen“, verwirft er die langstreckentaugliche Fahrzeugalternative.

Dass das Stromnetz selbst zum Hindernis der Elektrifizierung im Straßengüterverkehr werden könnte, schließen Energieversorger aber aus. Martin Konermann, Technischer Geschäftsführer von Netze BW, dem größten Verteilnetzbetreiber im EnBW-Konzern, stellt klar: „Wir haben eines der sichersten und zuverlässigsten Stromnetze weltweit.“ Da aber auch das sicherste Netz irgendwann an seine Grenzen stößt, trieben Unternehmen wie Netze BW oder E.On den Ausbau voran. „Wir entwickeln basierend auf Parametern wie Anschlusszahlen und politischen Zielen Prognosen für die Zukunft, planen Maßnahmen und bauen dann das Netz bedarfsorientiert und zielgerichtet aus. Der daraus abgeleitete Ausbaubedarf ist riesig“, erklärt Konermann.

Auch Benjamin Ruß, der bei E.On Drive Ladelösungen für Busse und Nutzfahrzeuge entwickelt, erwartet keine Probleme. Der Teamleiter E-Transport im Tochterunternehmen des Energieversorgers setzt auf Erfahrung: „Im Pkw-Bereich gab es ähnliche Sorgen, da haben wir schon mehr als eine Million Fahrzeuge auf den Straßen, und es funktioniert. Die Herausforderungen werden wir auch im Truck-Bereich meistern, wenn wir die Netze vorausschauend ausbauen.“ Und tatsächlich sind beim Mautbetreiber Toll Collect derzeit rund 1,2 Millionen mautpflichtige Nutzfahrzeuge registriert. Bedenklich stimmt allerdings der geringe Anteil der mautbefreiten emissionsfreien Fahrzeuge, mit denen die Klimawende gelingen soll: Mit nur rund 900 Registrierungen liegt er zum Ende des ersten Quartals 2024 bei 0,0008 Prozent.

Konermann und Ruß sind sich einig darin, dass alle Beteiligten schnellstmöglich vom Reden zum Handeln kommen müssen. Schließlich könnten die Prozesse rund um die Netzintegration der Ladeinfrastruktur von E-Lkw bis zu zehn Jahre dauern. „Ein Großteil der Ladevorgänge wird im Depot stattfinden,“ meint Ruß. Die 150 Millionen Euro für das Förderprogramm Gewerbliches Schnellladen hält er deshalb für deutlich zu gering: „Kaum jemand wird auf Basis dieser Förderung eine neue Investitionsentscheidung treffen.“

Emissionsminderung vermarkten

Diese Herausforderung unterstreicht auch KN-Manager Schuster; sie sei einer der Auslöser für die Einführung eines Book-and-Claim-Angebots bei dem Logistikkonzern gewesen. Der Dienstleister erwirbt dafür eine bestimmte Menge klimafreundlicher Energie, die er für seine Kunden verwendet. „Wir wollen die Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs beschleunigen, indem wir Nachfrage und Angebot zusammenbringen“, formuliert er den Anspruch hinter dem Konzept und fügt hinzu: „Damit überwinden wir Limitierungen zum Beispiel bei der Reichweite der Fahrzeuge, der Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur und Wartungskapazitäten.“

Anbieter von Konsum- und Verbrauchsgütern, Pharmaunternehmen und Hightech-Produzenten könnten angesichts der europäischen Nachhaltigkeitsrichtline CSRD besonders davon profitieren, ihre im Transportbereich entstehenden Scope-3-Emissionen zu senken. Dafür prüfe KN zunächst alle Möglichkeiten vor Ort; reichten diese nicht aus, erhalte der Kunde die Möglichkeit, von der CO₂-Reduktion durch den Einsatz alternativer Kraftstoffe und Antriebe zu profitieren. „Noch in diesem Jahr beziehen wir auch unsere Frachtführer mit Book and Claim Third Party in das Konzept ein“, verrät Schuster.

Doch wie funktioniert eigentlich Book and Claim genau? Mit dem Energiemanagementsystem ist es nicht mehr entscheidend, in welchem Fahrzeug oder an welchem Ort beispielsweise Ökosprit oder Elektroantriebe verwendet werden. „Wichtig ist, dass die Dienstleister entlang ihrer gesamten Transportkette nachweisen können, dass sie Energie verwenden, die den Ausstoß klimaschädlicher Gase verringert“, erklärt Tobias Bohnhoff, Mitgründer und CEO des Start-ups Shipzero, das unter anderem die CO₂-Emissionen in komplexen Transportketten überwacht.

Alternative Kraftstoffe helfen sofort

In diesem Kontext fordert Kim Dennis Backhaus, Marketingleiter des Gießener Brennstoffhändlers Roth Energie, sich stärker mit den Möglichkeiten der Bestandstechnologien auseinanderzusetzen. Alternative Kraftstoffe wie HVO100 verfügten über das Potenzial, den CO₂-Ausstoß der Lkw ohne Startinvest bei Speditionen oder Transportunternehmen zu verringern. „Jeder Diesel-Lkw kann sofort und ohne Umrüstungsmaßnahmen HVO100 tanken, der Ökosprit ist sogar so hochwertig, dass er die Lebensdauer der Motoren verlängert“, betont Backhaus. Für ihn ist deshalb klar, dass synthetische Kraftstoffe wesentlich höhere Aufmerksamkeit verdienen, als sie bisher erfahren. „Es wäre fahrlässig und fatal für das Klima, auf Elektro-Lkw und die dazugehörige Ladeinfrastruktur zu warten und auf Soforteffekte für die Bestandsflotte zu verzichten“, unterstreicht auch BGL-Chef Engelhardt den Wunsch des Verbands nach mehr Technologieoffenheit.

Derzeit gebe es laut Backhaus kein Verfügbarkeitsproblem bei HVO100, beispielsweise habe sein Unternehmen an drei Standorten aktuell immer eine Menge von rund 5 Millionen Litern HVO100 vorrätig. Die damit mögliche CO₂-Einsparung lasse sich über Herstellungsnachweise und elektronisch signierte Verkaufsbelege auch dokumentieren. Im deutschen Strommix sei der Anteil von Kohlestrom zumindest aktuell noch so hoch, dass E-Lkw nicht zwingend klimafreundlicher fahren.

Tatsächlich ist der Einsatz von E-Lkw nur dann klimaneutral, wenn der eingesetzte Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energiequellen stammt. Ihr Anteil am deutschen Strommix wächst von Jahr zu Jahr. Im gesamten Jahr 2023 betrug er 51,8 Prozent und genügte damit erstmals für mehr als die Hälfte des gesamten deutschen Stromverbrauchs. Bis zum Jahr 2030 soll Strom gemäß dem Erneuerbare-Energien-Gesetz zu mindestens 80 Prozent aus regenerativen Quellen stammen und in Deutschland spätestens 2038 nach abgeschlossenem Kohleausstieg vollständig treibhausgasneutral sein.

Transparenz und Datenanalyse

Zur Bewertung der Energieträger für die CO₂-Bilanz kommt es auf die Daten an: „Um derzeit nachweisen zu können, wie stark sich der Ausstoß von Klimagasen durch die Verwendung eines alternativen Energieträgers tatsächlich verringert, benötigen wir sehr große Mengen exakter Informationen“, unterstreicht Datenanalyst Bohnhoff. Dazu gehören die Beimischungsquote von Biokraftstoffen im Diesel sowie die Zusammensetzung der Ausgangsrohstoffe ökologischer Kraftstoffvarianten wie HVO100. „Der Vergleich braucht sowohl klare Referenzwerte als auch den messbaren Nachweis eines anderen Energieverbrauchs“, betont Bohnhoff. Erst dann seien Reduktionsberechnungen möglich.

„Ganz wichtig ist auch, dass Speditionen und Frachtführer eine valide und transparente Energiebuchhaltung betreiben“, fordert Bohnhoff und erklärt: „Nur wenn Einkauf und Abgabe jedes einzelnen Liters Biokraftstoff und jeder einzelnen Kilowattstunde Ökostrom exakt erfasst werden, ist zu verhindern, dass dieselbe Emissionsminderung mehrfach verkauft wird.“

Transparenz und präzise Dokumentation sind für den Start-up-Gründer die entscheidenden Voraussetzungen dazu, über Book-and-Claim-Konzepte echte Verbesserungen zu erreichen. Ansonsten könnten sie ähnlich leicht durch Missbrauch diskreditiert werden wie das CO₂-Offsetting mit Kompensationszertifikaten. Bohnhoff plädiert deshalb für ein minutiöses Monitoring, wenn eine ernsthafte Emissionsminderung gelingen solle. Der Kraftstoffverbrauch müsse ausnahmslos über die Fahrzeugtelematik überwacht werden: „Beim Tanken oder Nachladen sollten außerdem der Nachhaltigkeitsnachweis des Kraftstoffs oder die Information zum Strommix in einer gesicherten Transaktion an den Halter der Tankkarte übertragen werden.“

KN nutzt für das System laut Chefstratege Schuster eine zertifizierte Methodik. Der Logistikdienstleister erfasse Strecken, Energieverbräuche und Energiequellen in seiner Datenbank und könne mit diesen Informationen jeweils rohstoff- und strommixbasiert die CO₂-Einsparung errechnen. „Frachtführern, die dazu durch E-Lkw oder alternative Kraftstoffe wie Bio-LNG oder HVO100 einen Beitrag leisten, kompensieren wir die Mehrkosten in einem adäquaten Rahmen“, erklärt Schuster und fügt hinzu: „Sie erhalten zudem sichere Ladung, die Planbarkeit ihrer Transporte steigt.“ Diese Form der Zusammenarbeit sei auch für Transportkunden und den Logistikdienstleister selbst vorteilhaft.

Die wichtigsten Fakten zu CO₂-Emissionen im Straßengüterverkehr
- 98 Prozent der CO₂-Emissionen des Güterverkehrs entstehen durch Lkw
- Grenzwerte für neue Nutzfahrzeuge und Gebühren wie die Lkw-Maut sollen mehr emissionsfreie Fahrzeuge auf die Straße bringen
- Batterieelektrische Lkw und Fahrzeuge mit Wasserstoff-Brennstoffzelle emittieren kein CO₂
- E-Lkw fahren nur mit Strom aus erneuerbaren Energien CO₂-neutral
- Der Aufbau von Ladeinfrastruktur kommt nur schleppend voran
- Alternative Kraftstoffe können den CO₂-Ausstoß während der Antriebstransformation sofort senken
- Book-and-Claim-Konzepte und Energieaccounting erleichtern die Vermarktung CO₂-armer Transporte

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