DVZ: Herr Hähnke, der Bund hat die Energiewende bestellt. Kann diese gelingen, wenn derselbe Adressat die Wasserstoffförderung und das Förderprogramm „Klimaschonende Nutzfahrzeuge und Infrastruktur“, kurz KsNI, auf Eis legt?
Sascha Hähnke: Natürlich kann sie noch gelingen, es ist nur die Frage wann. Es war ein schwerer Fehler, die KsNI-Förderung quasi über Nacht abzuschalten. Die Lkw-Hersteller sind noch nicht in der Serienproduktion und haben damit logischerweise noch keine Skaleneffekte. Natürlich darf eine Förderung in der Höhe von 80 Prozent niemals ein Dauerzustand sein, aber der Zeitpunkt und die komplette Einstellung hätten nicht unprofessioneller sein können. Ein sukzessives Runterfahren über 60, 40 und 20 Prozent, parallel zum Hochlauf der Serienproduktionen der OEM (Original Equipment Manufacturer, hier also Lkw-Bauer, Anm. d. Red.), wäre der einzig zielführende Weg gewesen.
… das entspricht einer Maut-Verdoppelung …
Richtig. Und das hat dem Ganzen noch die Krone aufgesetzt. Wir müssen jetzt als Flottenbetreiber bei unseren Kunden über sieben Milliarden Euro mehr (!) Maut für den Bund einsammeln, wovon die Bahn dann den Großteil erhält. Wir könnten als Branche, im Gegensatz zur Bahn, unsere Förderprogramme ohne Probleme selbst finanzieren. Zusammenfassend heißt das, dass wir auf der Kostenseite bestraft werden, weil wir Diesel fahren und bekommen aber von den Mehreinnahmen keinen Cent mehr, um vom Diesel wegzukommen. Das muss man sich mal vorstellen.
Haben wir nicht alle, inklusive der Politik, in der Vergangenheit großes Glück gehabt, dass ein Kraftstoff für alles passte?
Ich würde es nicht Glück, sondern Luxus nennen, den sich die Politik und Hersteller geleistet haben. Und ganz häufig ist es nun mal so, dass man träge wird, wenn luxuriöse Zustände über einen längeren Zeitraum herrschen. Natürlich wurde der Dieselmotor stetig weiterentwickelt, bis zum Euro 6. Aber mehr war ja von der Politik auch nicht gefordert. Innerhalb unserer Unternehmensgruppe – und das gilt für meine Zeit bei der Rhenus-Gruppe genauso wie jetzt für Remondis – wurden stabile Jahre immer genutzt, um die innovativen Weichen für die Zukunft zu stellen. Daher haben wir Anfang der 2000er-Jahre Biodiesel von unserer Schwester Saria/Ecomotion eingesetzt, 2011 den ersten Diesel-Hybrid-Lkw in den Betrieb genommen oder auch schon 2019 die ersten batterieelektrischen 40-Tonnen-Sattelzugmaschinen nach Deutschland geholt und im Container-Hinterlandverkehr bei unserer Schwestergesellschaft Contargo eingesetzt. Für das letztgenannte Projekt, mit dessen Planung wir 2018 begonnen haben, bin ich von Wettbewerbern und sogar auch von einem damaligen OEM-Vorstand ausgelacht worden. Das ist heute natürlich anders.
Sascha Hähnke
Bereits seit 2004 gehörte der gebürtige Bielefelder und gelernte Speditionskaufmann zum Inventar der Rhenus-Gruppe. Seit 2010 treibt er die alternativen Antriebstechnologien für Nutzfahrzeuge voran. Seit Februar 2023 ist der 55-Jährige als Geschäftsführer der Remondis Sustainable Services bei der Schwestergesellschaft für die Transformation der über 10.000 eigenen Lkw zuständig. Privat ist der Familienmensch – verheiratet, zwei Kinder – gern an der Nordsee und auf Konzerten. Als „echtem Ostwestfalen“ schlägt sein Herz für die Arminia aus Bielefeld. Hähnke: „Was will man da machen? Es gibt Dinge, in die wird man halt einfach hineingeboren.“
Sie betonen, dass Sie auf den Mix setzen und grundsätzlich technologieoffen sind. Was heißt das konkret?
Wir sind technologieoffen und müssen es auch sein. Es spielt dabei überhaupt keine Rolle, welche Antriebsart ich persönlich bevorzuge oder was irgendwelche Lobby-Studien, die in der Regel auf blanker Theorie und/oder purem Idealismus basieren, als Ergebnis zeigen. Es ist doch ein absolutes Märchen, dass auf deutschen Autobahnen ein Lkw genau nach vier Stunden, wenn seine gesetzliche Pause beginnt, eine freie Schnellladesäule vorfindet. Und ich spreche jetzt von einer Zeit, in der wir 200.000 und deutlich mehr BEVLkw (Battery Electric Vehicle, d. Red.) auf unseren Straßen haben werden. Und das ändert auch nichts daran, wie oft man dieses Märchen erzählt. Abgesehen davon, dass wir in Deutschland ja nicht mal in der Lage sind, ausreichend Parkplätze ohne Ladesäulen zu bauen, ist das auch allein von den jeweiligen Netzanschlussleistungen überhaupt nicht möglich. Darum sind wir selbstverständlich auch mit Wasserstoff-, Biodiesel, HVO und Biogas unterwegs. Wenn wir den Antriebswandel mit ernsthaften Stückzahlen und schneller als bisher umsetzen wollen, werden wir noch froh über jede alternative Antriebsform sein.
Thema Infrastruktur: Werten Sie es als Lichtblick, dass es beispielsweise die erste H2-Tankstelle in Giengen an der Brenz gibt?
Ich freue mich für die Region, aber auch über jede weitere H2-, Biogas-Tankstelle und natürlich auch Lkw-Ladesäule, denn jede Eröffnung bedeutet, dass die Infrastruktur wächst. Über Ladeinfrastruktur für Nutzfahrzeuge haben wir gerade gesprochen, also gucken wir uns Wasserstoff an. Die Hersteller setzen hier auf unterschiedliche Technologien. 350 bar der eine, 700 bar der nächste und jetzt fängt Daimler auch noch mit flüssigem Wasserstoff an. Das heißt, dass wir allein für den H2-Antrieb drei verschiedene Tankstelleninfrastrukturen aufbauen müssen und nicht das Problem „Henne und Ei“, sondern „Hennen und Eier“ haben. Hinzu kommen noch wahnsinnige Preisdifferenzen. Wir haben beispielsweise in Schleswig-Holstein einen Preis von knapp unter 10 Euro pro Kilogramm, an einer Tankstelle in Baden-Württemberg fast 16 Euro pro Kilogramm und im benachbarten Ausland sogar noch höhere Preise. Müssen Logistiker innerhalb Deutschlands demnächst Touren Richtung Norden aufgrund des Tankstellenpreises komplett anders kalkulieren, als wenn es in den Süden oder ins Ausland geht? Sie können sich ja vorstellen, dass das alles bei Flottenbetreibern nicht zur Planungssicherheit beiträgt und TCO-Rechnungen (Total Cost of Ownership, zu Deutsch Gesamtkosten eines Produktes während dessen Lifecycle, d. Red.) in der Praxis so gut wie unmöglich machen.
2019 hat die Rhenus-Gruppe die ersten batterieelektrischen 40-Tonnen-Sattelzugmaschinen nach Deutschland geholt und im Container-Hinterlandverkehr eingesetzt.
(Quelle: Sascha Hähnke)
Sie sprechen gerne von einer Parallel-Welt, die bei der Tankinfrastruktur aufgebaut werden muss. Was heißt das konkret und wie viel Zeit geben Sie diesem Aufbau?
Der Diesel beziehungsweise Verbrenner wird noch lange zum Straßenbild gehören. Ob er dann mit dem momentanen Mineralöldiesel läuft, mit – hoffentlich nicht mit Palmöl gepanschten – HVO oder anderen Biodieselarten, wie beispielsweise B100, werden wir sehen. Das bedeutet, dass keine Raststätte eine Dieseltankstelle abreißen wird, um dafür eine Wasserstoff-, Biogas-Tankstelle oder E-Ladesäule zu errichten. Und Gleiches gilt für uns, denn wir werden nicht eine einzige Betriebstankstelle abbauen. Wir müssen also auf vielen großen, freien, geeigneten und genehmigungsfähigen zusätzlichen Flächen Infrastrukturen errichten. Jetzt gucken Sie sich bitte diese Aufzählung an, denken weiterhin an Bearbeitungszeiträume bei Genehmigungsverfahren in Deutschland und fragen mich dann nochmal, wie viel Zeit wir dem Aufbau geben? Wenn wir in diesem Bummelzug-Tempo weitermachen, reden wir über zehn oder 15 Jahre.
Dass sich dabei selbst die Wirtschaftsweisen als erste Berater der Politik nicht einig sind, hilft in diesem Zusammenhang auch wenig, oder?
Vor allem trägt das auch überhaupt nicht zur Verbesserung einer Planungssicherheit der Fuhrparkbetreiber bei. Es hilft ebenfalls nicht, dass die Branche in Interviews liest, dass der eine OEM-Vorstand nicht an die Technologie des anderen glaubt. Einigkeit sollte zumindest darüber herrschen, dass die Fahrzeughersteller jetzt nach und nach in die Serienproduktion kommen und die Infrastruktur hinterherhinkt. Beides ist allerdings elementar voneinander abhängig und es kann doch nicht sein, dass wir Flottenbetreiber mit unseren Depotlösungen auch noch für den Aufbau der Infrastruktur zuständig sind. Denn wenn die Kollegen und wir, die heute bereits mit E-Lkw unterwegs sind, nicht schon eigene Ladesäulen errichtet hätten, würde in Sachen Ladeinfrastruktur noch überhaupt nichts laufen.
Was verlangen Sie konkret von der Politik, aber auch von den großen Verladern?
Wie erwähnt, erwarte ich von der Politik, dass der folgenschwere Fehler „Mautverdoppelung bei zeitgleicher KsNI-Streichung“ umgehend korrigiert wird. Der Lkw ist der Verkehrsträger, der die Transformation in die alternativen Antriebe allein über die Mautmehreinnahmen selbst refinanzieren könnte, wenn wir nicht per staatlicher Anordnung Sponsor für andere Verkehrsträger spielen müssten. Ich bin davon überzeugt, dass die Notwendigkeit des Handelns auch Chancen birgt und zu mehr Schulterschlüssen führen wird. Während die Politik weiter diskutiert, werden Dienstleister und Kunden enger zusammenrücken, um gezielt bestimmte, respektive geeignete Projekte gemeinsam umzustellen und zukünftig klimaneutraler darzustellen. Und das ist unabhängig davon, ob es sich um eine Transport-, Lager- oder Entsorgungsdienstleistung handelt, da bin ich mir sicher. Wir müssen gemeinsam mit unseren Auftraggebern agieren, um nicht später hektisch reagieren zu müssen.
7 Milliarden Euro mehr müssen Flottenbetreiber bei ihren Kunden für den Bund einsammeln.
(Quelle: Sascha Hähnke)
Was muss geschehen, dass grüner Wasserstoff ähnlich gehypt wird wie verflüssigtes Erdgas, das ja auch nur eine Brückentechnologie sein kann, da fossiles Gas aussterben wird?
Fossiles Erdgas ist bereits ein Auslaufmodell, die Brückentechnologien in dem Bereich heißen BioLNG und Bio-CNG. Wir haben aktuell in Deutschland Preise zwischen circa 10 und 15 Euro pro Kilogramm und schwere Nutzfahrzeuge verbrauchen etwa 10 Kilogramm pro 100 Kilometer. Wir sprechen bei dieser Technologie also von 100 bis 150 Euro Treibstoffkosten per 100 Kilometer und Fahrzeugen, die nochmal deutlich teurer sind als E-Lkw. Für den von Ihnen angesprochene Hype müssen die Kosten für H2 und auch die Lkw-Anschaffungspreise deutlich runter.
Man hört und liest von Lkw-Herstellern, die „seit Jahren Wasserstofffahrzeuge entwickeln“ und dass sich „zahlreiche Projekte mit der Produktion von Wasserstoff beschäftigen“. Wie ordnen Sie diese Aussagen ein?
Was Fahrzeuge betrifft, gibt es aktuell eine neue Entwicklung, die genau genommen technisch gar nicht so neu ist, denn schon Anfang der 2000er-Jahre haben sich Hersteller mit dem Wasserstoff-Verbrenner beschäftigt. Ich finde das total spannend, denn wir haben hier als Grundlage eine bewährte Technik und damit müssten die Fahrzeugpreise ganz anders aussehen als bei der Variante mit Brennstoffzelle. Welche mengenmäßige Rolle nationale Wasserstoffproduktionen spielen werden oder wie hoch nach einer Hochlaufphase ein möglicher Importanteil sein wird, kann ich tatsächlich nicht beurteilen. Wenn wir uns aber die riesigen Bedarfe bei den industriellen Anwendungen, wie beispielsweise für die Stahl- oder Chemieindustrie, vor Augen halten, frage ich mich, wo der bezahlbare grüne Wasserstoff für die Mobilität herkommen soll?
Gewähren Sie uns bitte zum Schluss einen Schulterblick: Was liegt aktuell auf Ihrem Schreibtisch?
Auf Schreibtischen liegt ja mittlerweile nicht mehr so viel, aber aktuell habe ich tatsächlich ausgedrucktes Papier vor mir und zwar eine Auswertung über Datafleet. Das ist ein KI-basiertes Produkt, bei dem Kameras, die in Sammelfahrzeugen verbaut sind, illegale Müllablagerungen, übergelaufene Papierkörbe, Straßenschäden oder auch verunreinigte Verkehrsschilder erfassen und mit Georeferenzen verarbeiten. Das ist nur eins von mehreren Produkten unserer Remondis Digital Services aus Hamburg, eine tolle junge Truppe, die mich mit ihren Ideen immer wieder beeindruckt.