Die Energiewende verlangt hohe Investitionen in den Aus- und Umbau von Häfen. Neben Anlagen für den Import und die Produktion grüner Energie benötigt die Windkraftindustrie große neue Montageflächen am Wasser.

Bild: istock/ Bernd Brueggemann

Häfen: „Künftig steht das Schiff nicht mehr im Zentrum der Aktivität“

06.06.2023

Auf der Konferenz der europäischen Seehäfen in Bremen diskutierten Experten über die Zukunft der Umschlagplätze. Mit der Energiewende bekommen die Häfen eine vollkommen andere Rolle als bisher.

Rückläufige Ladungsmengen, gedämpftes Wirtschaftswachstum und die geopolitischen Folgen des Kriegs in der Ukraine spüren die europäischen Häfen stark. „Wir befinden uns inmitten einer vielschichtigen Krise“, sagte Zeno D’Agostino, Vorsitzender der europäischen Seehafenorganisation (ESPO), zur Eröffnung der Konferenz seiner Organisa­tion vergangene Woche in Bremen. Nichtsdestotrotz betonen die Häfen ihre Schlüsselfunktion bei der Transformation ganzer Industrien.

Wirtschaftlich müssen sich die europäischen Hubs vor allem in diesem Jahr auf große Herausforderungen einstellen, wie Tim Power, Direktor des Analysedienstes Drewry, zu Beginn der Tagung deutlich machte: „Wir sehen den perfekten Sturm von steigender Schiffskapazität und gleichzeitig sinkender Nachfrage.“ Vor allem durch die nachlassenden Überlastungen in Häfen werde enorm viel Schiffskapazität frei.

War vergangenes Jahr noch ein Fünftel aller Containerschiffe in Häfen gebunden, sind es dieses Jahr nur noch 4 Prozent. Gleichzeitig gebe es „keine Zeichen für eine Container-Hochphase in 2023“, da die Verbraucherausgaben aufgrund der hohen Inflation zurückgingen. Trotz allem ist sich Power sicher, dass die Schifffahrtsunternehmen diese ­Phase gut überstehen werden, da sie angesichts ihrer großen Gewinne genügend Finanzmittel hätten.

Wichtig für Import und Produktion

Bezogen auf den Klimawandel sehen sich die „Häfen als Teil der Lösung“ und nicht als Teil des Problems, wie es in der Gesellschaft häufig dargestellt werde, so D’Agostino und viele andere Podiumsgäste einhellig. Der Chef der belgisch-niederländischen Hafenbehörde North Sea Port, Daan Schalck, betonte, dass die Häfen eine „entscheidende Rolle für den Erfolg der Energiewende spielen“. Schließlich würden Häfen künftig grüne Energie importieren und produzieren.

Damit wandelt sich die originäre Aufgabe von Häfen und den zuständigen Behörden. „Künftig steht das Schiff nicht mehr im Zentrum der Aktivität“, sondern mit der Energieproduktion entstünden neue Wertschöpfungsketten, so D’Agostino, der hauptamtlich Präsident des Hafennetzwerks östliche Adria ist. Ähnlich erklärt Pieter Vandermeeren die neue Aufgabe der Verwaltung. Er ist für den grünen Masterplan der belgischen Häfen Antwerpen/Brügge zuständig: „Wir erwirtschaften unsere Einnahmen künftig nicht mehr nur durch die sicheren und planbaren Abgaben der Reedereien, sondern gehen mit der Investition in Energieunternehmen finanzielle Risiken ein.“

Für das Ziel der Klimaneutralität sind Milliardeninvestitionen in Hafeninfrastruktur, Pipelines und digitale Projekte von öffentlichen und privaten Akteuren nötig: Boudewijn Siemons, der in Rotterdam für den operativen Betrieb zuständig ist, sagte: „Diese Investitionen sind gut für die Wirtschaft – solange sie grünen Zwecken dienen.“ Sein Kollege Jens Meier, Chef der Hamburger Hafen­behörde, gab zu bedenken: „Es gibt nicht genügend Geld, um alle Lösungen in allen Häfen umzusetzen. Wir müssen uns auf bestimmte Dienstleistungen fokussieren.“ Hamburgs Schwerpunkt liege unter anderem darin, den digitalen vernetzen Hafen – den „Smart Port“ – voranzutreiben. Reibungslosere Abläufe im Hafen führten schließlich auch zu weniger Emissionen.

Allein ist es nicht zu schaffen

Damit leiteten die Diskutanten zum großen Themenblock „Kooperationen“ über, der am zweiten Tag der Konferenz einen Schwerpunkt bildete und bei dem sich die Teilnehmermeinungen wiederholten. „Kooperationen sind nötig, um die Ziele zu erreichen. Ein Hafen allein kann diese Herausforderungen nicht meistern“, sagte zum Beispiel Marc Itgen, Leiter der Wirtschaftsförderung Cuxhaven. Der Hafen an der Elbmündung arbeitet mit einigen weiteren nordeuropäischen Städten wie Esbjerg, Groningen/Eemshaven und Oostende daran, den Ausbau von Windenergieanlagen auf hoher See voranzutreiben.

Dabei geht es vor allem um den Austausch von Erfahrungen, es könnten aber auch Kapazitäten zwischen den Häfen aufgeteilt werden, sollte ein Umschlagplatz allein nicht genügend Fläche für ein einzelnes Projekt haben. Ehrgeiziges Ziel der EU ist es, dass Offshore-Windanlagen bis 2030 mehr als 60 Gigawatt Leistung ­liefern. Laut jüngsten ­Zahlen der EU lag die Leistung 2021 bei knapp 15 Gigawatt.

Kooperation meint in dem Fall nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen oder Hafenstädten, sondern auch mit Umweltschutzorganisationen. Malte Siegert, Vorsitzender des Naturschutzbundes (NABU) Hamburg, sagte zur Rolle seines Vereins: „Es braucht Umweltschutzorganisationen, die Industrie und Politik immer wieder antreiben, die Welt grüner zu machen. Wenn wir früher in Planungsprozesse eingeweiht werden, laufen die Projekte am Ende schneller. Häufig werden wir erst eingeweiht, wenn die Pläne fast fertig sind und wir kaum noch etwas ändern können. Dann landet die Auseinandersetzung häufig vor Gericht und verzögert Projekte.“

In Hinblick auf die bevorstehenden Milliarden­Investitionen appellierte Siegert: „Nicht jeder Hafen sollte auf Verdacht neue Infrastruktur bauen, die am Ende vielleicht nicht gebraucht wird. Die europäischen Häfen sollten koordiniert vorgehen und nicht alle die gleichen Geschäftsmodelle verfolgen.“

Optimismus in stürmischen Zeiten

Den vielschichtigen Krisen und massiven Umwälzungen zum Trotz zeigten sich die Teilnehmer der Konferenz sehr zuversichtlich. „Wir müssen akzeptieren, dass die ruhigen Zeiten vorbei sind“, sagte D’Agostino zum Abschluss der Konferenz und machte deutlich: „Jetzt herrscht Chaos, und es braucht kreative Ideen, um die Krisen zu meistern.“ Häfen seien erprobt in deren Bewältigung, da sie häufig einer der ersten Orte seien, an denen Krisen spürbar würden. Das Motto von D’Agostino: „Ich bin immer optimistisch, solange es keinen Stillstand gibt. Jede Form von Wandel halte ich für gut, denn daraus ergeben sich immer Chancen.“

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