Zero-Carbon-Zertifizierung angestrebt: Wie sich Nachhaltigkeit von Industrie und Logistikimmobilien neu definiert, soll diese Anlage in Orbassano bei Turin deutlich machen.

Bild: GSE Group

Eine Anlage, die eine neue Benchmark definiert

02.11.2023

Wie gut sich Logistikimmobilien rechnen, hängt zunehmend vom Faktor Nachhaltigkeit ab. Dabei gehört auch das CO2, das während des Baus emittiert wird oder bei der Herstellung von Baustoffen entsteht zur Klimabilanz. In Orbassano bei Turin hat die GSE Group das europaweit erste Projekt realisiert, für das die Goldbeck-Tochter eine Null-Carbon-Zertifizierung anstrebt.

Low-Carbon-Beton, Holzfenster mit wetterfester Aluminiumdeckschale, polyvalente Wärmepumpen: Die Möglichkeiten, klimafreundliche Logistikimmobilien zu konzipieren, sind vielseitig und betreffen praktisch jeden Bereich der Planung und Realisierung eines Bauvorhabens.

„Wir tüfteln mit lokalen Anbietern ständig an neuen Betonrezepturen, um den besonders klimaschädlichen Zementanteil des Baustoffs immer weiter zu reduzieren“, berichtet GSE-Deutschland-Geschäftsführer Dany Brodhag. Verbaut werden künftig von dem Generalübernehmer bei der Errichtung von Logistikbauten europaweit ausschließlich Bodenplatten aus Low Carbon Concrete (LCC), in denen mindestens 30 Prozent weniger CO2 gebunden sind.

Das Fundament, auf dem nachhaltige Lösungen beim Bau von Gewerbe- und Logistikimmobilien entstehen, umfasst jedoch weit mehr. Ein Beispiel dafür liefert die französische GSE Group mit ihrem aktuellen Projekt in Italien.

Emissionen transparent machen

In Orbassano, südlich von Turin, entsteht eine 36.000 Quadratmeter große Logistikhalle, die in wenigen Wochen ihren Betrieb aufnehmen wird. Auftraggeber ist der italienische Projektentwickler Vailog, der zur Segro-Gruppe gehört. Besondere Kundenanforderung bei dem Projekt: Nicht nur CO2-Emissionen transparent zu machen, die durch den Betrieb der Immobilie verursacht werden. Ermittelt und optimiert werden soll außerdem der ökologische Fußabdruck aller für den Bau verwendeten Materialien.

Eine komplexe Aufgabe, die mit einem Doppelziel verbunden ist: Europas erstes Lagerhaus zu errichten, das als hoch energieeffizientes Gebäude nach BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Method) eingestuft wird und zugleich die Zero-Carbon-Zertifizierung durch das International Living Future Institute (ILFI) erhält.

„GSE hat sich verpflichtet, im Zuge des Baus nicht mehr als 500 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter zu emittieren und damit garantiert, mehr als 30 Prozent über den geforderten Schwellenwert hinaus einzusparen“, erläutert Vincenzo Binetti, Ingenieur für nachhaltiges Bauen bei GSE Italien. Konkret liegt sogar der Anteil des „Embodied Carbon“, also der CO2-Emissionen, die in Baustoffen gebunden sind oder während des Baus entstehen, in Orbassano mit 330 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter um 34 Prozent unter dem vereinbarten Wert von 500 Kilogramm.

Dreistufiges Angebotsmodell

Um das hoch gesteckte Umweltziel zu erreichen, wurde von GSE erstmals CEM III A- und CEM III B-Zement mit recycelten Gesteinskörnungen als CO2-reduzierte Betonmischung für die Fundamente und Industrieböden verwendet. Für die Bewehrungen und Fassadenprofile kam Stahl mit einem Recyclinganteil von über 80 Prozent zum Einsatz. Die Fenster wurden aus einem Holz-Aluminium-Verbundwerkstoff gefertigt und die Brandschutztüren aus Holz hergestellt, das Feuer 120 Minuten Widerstand leistet (EI 120).

Um die Bereitschaft des Auftraggebers zu klären, bei Industrie- und Logistikimmobilien in nachhaltige Lösungen zu investieren, enthält jedes GSE-Angebot seit dem 1. September 2023 ein Drei-Stufen-Modell, das bauseitig unterschiedliche Technologien und Ausstattungskategorien berücksichtigt. „Damit können wir abklopfen, worauf der Investor Wert legt und welches Level an Nachhaltigkeit er mit seiner Immobilie erreichen möchte“, erläutert GSE-Deutschland-Chef Brodhag.

- 36.000 Quadratmeter umfasst die Logistikhalle in Orbassano
- 30 Prozent weniger gebundenes CO2 in Bodenplatten – dazu hat sich GSE verpflichtet
- 330 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter emittiert die Anlage
- mehr als 80 Prozent recycelter Stahl (Bewehrungen/ Fassaden)
- 120 Minuten Feuerwiderstand leisten die Brandschutztüren aus Holz
(Quelle: GSE Group)

Früher Firlefanz, heute Standard

Das Spektrum der bauseitigen und gebäudetechnischen Möglichkeiten ist umfangreich. „Was früher als Firlefanz abgetan wurde, ist heute Standard“, sagt GSE Business Development Director Joachim Lacher. Weiße Bitumenbahnen in Frankreich, die Sonnenstrahlen reflektieren, Hybridwärmestrahler in Deutschland, die sich von Gas auf Wasserstoff umstellen lassen, intelligente Lichtsteuerung, PV-Anlage, grüner Asphalt: „Innovative Lösungen und Technologien sind ein wichtiger Baustein für die Zukunftssicherheit der Immobilie“, so Lacher.

Hinzu kommt, dass EU-Taxonomie und ESG-Richtlinien vorgeben, welche Kriterien bei einem nachhaltigen Gebäudekonzept Berücksichtigung finden müssen. „Was nicht zertifiziert ist, wird abgewertet“, so Brodhag, der deutlich Bewegung im derzeitigen Käufermarkt sieht. „Alles und jedes wird hinterfragt, um die Werthaltigkeit und Renditechancen einer Immobilie genau abschätzen zu können.“

Fest angestellter Ökologe

Dazu gehört Biodiversität, die Logistikstandorte zum Paradies für Bienen, Vögel und Pflanzen macht. Seit kurzem kümmert sich bei GSE ein fest angestellter Ökologe darum, wie sich Hecken und Nistkästen so anlegen lassen, dass sich darin Meisen und Mauersegler zuhause fühlen und neu angelegte Grünflächen zur Artenvielfalt beitragen.

Bereits seit dem Jahr 2017 folgt die Unternehmensgruppe mit dem Beitritt zum French Business Climate Pledge der freiwilligen Selbstverpflichtung, einen konsequenten Beitrag zur Dekarbonisierung der Wirtschaft zu leisten. Darüber hinaus wurde vor drei Jahren ein internes Forschungs- und Entwicklungsprogramm aufgelegt, das sich umweltbewusstem Bauen widmet.

Erfasst, überwacht und kommuniziert wurden die bei der Beschaffung und Konstruktion anfallenden CO2-Emissionen in Orbassano mit Hilfe der Umweltproduktdeklaration (EPD). Mit dem nach ISO 14025 geprüften und von der EU anerkannten Verfahren lässt sich ermitteln, welchen Einfluss ein Bauprodukt auf die Umwelt hat. Bei der Baustellenlogistik wurde penibel darauf geachtet, Transporte optimal zu routen und auszulasten. Die mit dem Bau von Gewerbe- und Logistikimmobilien verbundenen CO2-Emissionen auf jedem Meter der Lieferkette zu ermitteln und zu bewerten, habe allerdings Grenzen, räumt Brodhag ein und nennt ein Beispiel: „Beim Einsatz von Holzelementen müssten wir im Grunde wissen, wer den Baum gefällt und transportiert hat, wo er herstammt und welche CO2-Emissionen die Motorsäge pro Raummeter verursacht.“

Firmen zu diesem Artikel
Verwandte Artikel