Das Gründerteam von Cargokite: Marcus Bischoff, Amelie Binder und Tim Linnenweber (v.l.)

Bild: Cargokite

Cargokite: Zurück zur Segeltechnik

23.08.2023

An dieser Stelle präsentieren wir unseren Lesern regelmäßig junge Unternehmen aus der Logistik- und Transportbranche. Wie kommt man dazu ein Start-up zu gründen, was bewegt junge Unternehmer und wie verändert sich die Branche? Das Start-up Cargokite entstand aus einem Projekt der Technischen Universität München und hat ein neuartiges Segelfrachtschiff zum Patent angemeldet. Über ihre Pläne und Ziele sprechen die Gründer.

Warum haben Sie ein Start-up in der Logistik gegründet und dabei den Schwerpunkt auf die Nachhaltigkeit gelegt?

Über 90 Prozent des weltweiten Warenverkehrs wird über den Seeweg abgewickelt. Damit wird die Schiffsindustrie zurecht als Rückgrat des Welthandels bezeichnet. Gleichzeitig ist die Industrie weder dafür bekannt besonders innovativ, noch besonders nachhaltig zu sein. Das bedeutet im Umkehrschluss einfach ein enormes Potenzial für nachhaltige Innovationen. Genau dieses Potenzial zu nutzen und einen Impact auf eine ganze Industrie zu haben, ist es, was uns motiviert hat Cargokite zu gründen und täglich voranzubringen.

Welches Problem bei der Nachhaltigkeits-Transformation von Unternehmen entlang der Lieferkette lösen Sie?

Die Schiffsindustrie ist für circa 3 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Wäre sie ein Staat, würde sie an sechster Stelle der größten Emittenten stehen – noch vor Deutschland. Das liegt vor allem daran, dass heute noch 99 Prozent der Schiffe mit fossilen Energieträgern betrieben werden. Sollten keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, könnten die Emissionen bis 2050 um bis zu 250 Prozent steigen, laut International Maritime Organization. Gleichzeitig sind alternative Kraftstoffe, wie Methanol oder Ammoniak, weder in ausreichenden Mengen als grüne (das heißt 100 Prozent erneuerbare) Treibstoffe verfügbar, noch sind sie kostentechnisch ansatzweise kompetitiv. Bereits heute macht Treibstoff etwa 50 Prozent der Betriebskosten aus – grüne Treibstoffe werden jedoch das bis zu sechsfache von Schweröl kosten. Damit werden die Betriebskosten von Frachtschiffen und damit die Frachtpreise signifikant steigen in Zukunft. Und genau dort setzen wir an mit der Entwicklung eines emissionsfreien, windbetriebenen High-Tech-Segelschiffs.

Wo haben etablierte Logistikdienstleister bei der Nachhaltigkeitstransformation den größten Nachholbedarf?

Aus unserer Sicht besteht besonders bei nachhaltiger Antriebstechnik der größte Nachholbedarf, da dies den größten Hebel bei der Nachhaltigkeitstransformation darstellt – und das unabhängig vom Verkehrsmittel. Die Assets der Logistikdienstleister stellen enorme Investitionen dar (egal ob Lkw oder Schiff). Da ist es nur verständlich, dass man diese so lange wie möglich betreiben will. Dadurch gibt es nun aber zum Beispiel Schiffe, die seit 30 Jahren in Betrieb sind, mit uralter Antriebstechnik umherfahren und denen es daher an effizienten Antrieben sowie Abgasnachbehandlung mangelt. Daher ist es essenziell, Lösungen zu finden, mit denen zum einen die Bestandsflotte kosteneffizient erneuert werden kann, und zum anderen Incentivierungen zu schaffen, in neue Assets zu investieren. Ein Vorteil, den wir in unserem Konzept sehen, ist die Aufteilung des Investments auf mehrere kleine Einheiten, sodass die Investmenthürde insgesamt geringer ist.

Welchen Sektor/Teil der Logistik adressiert Ihr Unternehmen konkret?

Wir adressieren die maritime Logistik, das heißt den Seeverkehr. Wir entwickeln ein neuartiges, zum Patent angemeldetes Segelfrachtschiff mit 16 Containern Kapazität, was emissionsfrei und energieautark operiert. Durch die Nutzung eines Kitesystems, das in 300 Metern Höhe fliegt, können sogenannte Höhenwinde genutzt werden, die beständig und wesentlich stärker als am Boden wehen. Durch unser eigens entwickeltes Stabilisierungssystem und moderne Regelungsalgorithmik können die Kitekräfte so effizient wie nie zuvor in Vorwärtsbewegung umgewandelt und Geschwindigkeiten von bis zu 35 Knoten erreicht werden. Durch den Wegfall von Treibstoffkosten und später auch von Personalkosten durch einen autonomen Betrieb können bis zu 40 Prozent Betriebskosten gespart werden, wodurch es das erste Mal möglich wird, kleine Schiffe mit einer höheren Servicefrequenz ökonomisch sinnvoll und gleichzeitig emissionsfrei zu betreiben.

Wer sind Ihre Partner und Kunden?

Wir sind als Spin-Off der Technischen Universität München immer noch sehr stark im Ökosystem der TUM verankert und arbeiten mit führenden Lehrstühlen im Bereich Regelungstechnik sowie Verbundwerkstoffe zusammen. Darüber hinaus kooperieren wir mit lokalen Partnern in Norddeutschland für den Bau von unseren Prototypen und mit internationalen Partnern bei der Applikation und Integration von deren Kitesystemen. Außerdem stehen wir bereits im Austausch mit verschiedenen Werften für den Bau des finalen Frachtschiffs.
Kundenseitig haben wir bereits vier Absichtserklärungen (Letters of Intent) – sowohl von Befrachtern, Cargo Ownern als auch Charterern, die in der Zukunft Ware mit unseren Schiffen transportieren wollen. Wir freuen uns über den Austausch mit weiteren Befrachtern sowie Reedereien, die gemeinsam mit uns die Potenziale der Technologie individuell für ihre Trades analysieren wollen.

Welches Marktpotenzial für Nachhaltigkeitslösungen in der Logistik beziehungsweise entlang der Lieferkette sehen Sie?

Das Potenzial für Nachhaltigkeitslösungen ist zweifelsohne enorm. Einige der größten Reedereien der Welt haben es sich zum Ziel erklärt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Dies geht nur mit enormen Investments in nachhaltige Technologien, um die Flotte nach und nach in eine nachhaltige Zukunft zu überführen. Daraus ergibt sich eine Menge Potenzial für eine Vielfalt an Lösungen. Denn eins ist klar: die Zukunft wird definitiv komplexer werden und es wird keine „One-size-fits-all“-Lösung für alle Anwendungsfälle geben. Stattdessen muss Use-Case-spezifisch entschieden werden, welche Technologie die geeignetste ist.

Wo kann Ihr Unternehmen selbst noch nachhaltiger werden?

Wir sind noch in der Aufbauphase. Aber für uns wird bei der Entwicklung der Schiffe natürlich zunehmend die Produktion eine wichtige Rolle spielen. Bei konventionellen Schiffen fallen 96 Prozent der Emissionen im Betrieb an. Da wir Emissionen im Betrieb vollständig eliminieren, wird die Produktion essenziell sein. Hier wird es entscheidend sein, eine geeignete Auswahl bezüglich Material und Fertigungsverfahren zu treffen, um einen insgesamt nachhaltigen Prozess zu gestalten.

Ist eine klimaneutrale Logistik ein realistisches Zukunftsszenario? Wann könnte es so weit sein?

Klimaneutrale Logistik ist unsere einzige Alternative im Kampf gegen den Klimawandel und daher (hoffentlich) realistisch. Leider wird es noch eine Weile dauern, bis wir dort sind. Dies liegt zum einen an der langen Lebensdauer der Assets. Wenn Schiffe, die heute gekauft werden, noch nicht ready für den Einsatz von alternativen Kraftstoffen sind, werden sie auch in 25 Jahren noch mit Schweröl oder Diesel fahren. Zum anderen liegt es aber auch in den enormen Infrastrukturinvestitionen, die benötigt werden, um die Betankungsinfrastruktur in der Breite zur Verfügung zu stellen, wenn wir weiterhin auf alternative Kraftstoffe setzen. Cargokite entwickelt energieautarke Schiffe, die weder neue Verbrennungs- oder Tanktechnologien noch komplexe Hafeninfrastruktur benötigen. Daher ist Cargokite der schnellste und kosteneffizienteste Weg zur Dekarbonisierung der Schifffahrt, insbesondere des Shortsea Verkehrs.

Welche Frage hätten wir euch noch stellen sollen? Und wie hätte eure Antwort darauf gelautet?

Kann eine Transformation von Lieferketten in eine nachhaltige Zukunft allein mittels alternativer Kraftstoffe funktionieren?

Aus unserer Sicht ist es essenziell, dass man Logistiksysteme ganzheitlich neu denkt, also lösungsoffen herangeht, um die besten Lösungen Use-Case-spezifisch zu bestimmen. Hierbei müssen wir uns von dem Gedanken lösen, dass alle Prozesse und Systeme gleichbleiben und wir lediglich „etwas anderes in die Motoren einspritzen“. Um die enorme Herausforderung der Klimaneutralität anzugehen, braucht es gänzlich neuartige Ansätze. Es wird noch Jahrzehnte dauern, bis alternative Kraftstoffe in der Menge und Breite zur Verfügung stehen, wie es heute der Fall ist mit fossilen Energieträgern ist. Daher kann die Transformation nicht alleine mit alternativen Kraftstoffen gelingen und wir müssen zum einen gezielt auf effizienzsteigernde Maßnahmen (um den Bedarf insgesamt zu senken) und – noch viel wichtiger – auf energieautarke Systeme setzen, wo dies möglich ist. In der Schifffahrt bedeutet das „back to the roots“ und Segeltechnik effizient und zuverlässig einsetzen, was erst durch den Einsatz moderner Technologie möglich wird.

Fakten zum Unternehmen

• Gründungsdatum: 10. Januar 2022
• Sitz: München
• Mitarbeiter: 10

Bildergalerie

  • Cargokite entwickelt ein neuartiges Segelfrachtschiff mit 16 Containern Kapazität, was emissionsfrei und energieautark operiert. Durch die Nutzung eines Kitesystems können sogenannte Höhenwinde genutzt werden.

    Cargokite entwickelt ein neuartiges Segelfrachtschiff mit 16 Containern Kapazität, was emissionsfrei und energieautark operiert. Durch die Nutzung eines Kitesystems können sogenannte Höhenwinde genutzt werden.

    Bild: Cargokite

  • Cargokite entwickelt ein neuartiges Segelfrachtschiff mit 16 Containern Kapazität, was emissionsfrei und energieautark operiert. Durch die Nutzung eines Kitesystems, das in 300 Metern Höhe fliegt, können sogenannte Höhenwinde genutzt werden.

    Cargokite entwickelt ein neuartiges Segelfrachtschiff mit 16 Containern Kapazität, was emissionsfrei und energieautark operiert. Durch die Nutzung eines Kitesystems, das in 300 Metern Höhe fliegt, können sogenannte Höhenwinde genutzt werden.

    Bild: Cargokite

  • Das Cargokite-Team, mit Sitz in München.

    Das Cargokite-Team, mit Sitz in München.

    Bild: Cargokite

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