Hamburgs Hafen hat in den vergangenen Monaten viel Kritik einstecken müssen: Die trotz abgeschlossener Elbvertiefung wieder zunehmende Verschlickung der Fahrrinne, großer Sanierungs- und Modernisierungsbedarf der Kaianlagen, sinkende Umschlagszahlen und ein möglicher „Ausverkauf“ an ausländische Großreedereien sorgen immer noch für Schlagzeilen.
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit dagegen hat sich Deutschlands größter Seehafen europaweit eine Spitzenposition erarbeitet – und zwar beim Angebot von Landstrom für Containerschiffe. „Noch sind wir hier quasi der Solotänzer“, sagt Hanno Bromeis nicht ohne Stolz. Er bringt bei der Hamburg Port Authority (HPA) als Leiter der erst im Juni gegründeten Unternehmenssparte „Port Energy Solutions“ die Themen Landstrom und Elektrifizierung voran.
Doch mögliche Wettbewerbsgedanken vor allem in Richtung Antwerpen, Rotterdam, Bremerhaven oder Le Havre hegt Bromeis nicht, ganz im Gegenteil: „Eine Kooperation aller Häfen ist für die Reeder enorm wichtig, damit sie überall ohne große technische Anpassungsmaßnahmen an Bord den gleichen Strom mit dem gleichen Stecker beziehen können.“ Und hierbei hat der Hafen der Elbmetropole eine Vorreiterrolle eingenommen. An gleich mehreren Terminals wurden in den vergangenen Wochen Containerschiffe, zunächst testweise, mit Strom für den Bordbetrieb von Land aus versorgt.
Landstrom wird ab 2030 EU-weit zur Pflicht
Zum Hintergrund: Die EU hat einen regulatorischen Grundsatz für die Nutzung von Landstrom geschaffen. Vom 1. Januar 2030 an müssen sich Fahrgast- und Containerschiffe mit einer Vermessung von über 5.000 BRZ an ihren Liegeplätzen im Anlaufhafen eines Mitgliedsstaates an die landseitige Stromversorgung anschließen und daraus ihren gesamten Energiebedarf während ihrer Liegezeit decken.
Schließlich sorgt allein der Seeverkehr für 3 bis 4 Prozent der CO2- Emissionen in der EU – auch im Hafen. Zwar ist dort die Hauptmaschine ausgeschaltet, doch müssen dann die Generatoren ran und Strom für den Bordbetrieb erzeugen, vor allem für die Kühlcontainer, aber auch die vielen anderen Verbraucher auf einem Schiff.
Das „Fit for 55“-Paket als Teil des europäischen Klimagesetzes (mit der Vorgabe, die Netto-Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken) ist dabei ein wichtiger Treiber.
Ein anderer Treiber ist Uwe Radke, Betriebsleiter Elektrotechnik bei der HPA, den sein Kollege Bromeis im Gespräch mit der DVZ so vorstellt: „Wenn sich einer mit dem Thema Landstrom in Europa auskennt, dann Uwe.“ Weit über 300 Fachbesuchergruppen aus aller Welt hat Radke bislang die Landstromanlage am Cruise Center Altona vorgestellt, die schon seit 2017 entsprechend ausgerüstete Kreuzfahrtschiffe mit Strom aus der Steckdose versorgt. „Die hat richtig Wumms. Doch wir haben deutlich mehr Container- als Kreuzfahrtschiffe im Hafen, die zudem noch längere Liegezeiten haben.“ Die Folge: Die Boxcarrier sorgen für 70 Prozent der Emissionen an den Liegeplätzen, nur 6 Prozent kommen von den Kreuzfahrtschiffen. „Hier anzusetzen sorgt für einen signifikanten Beitrag zur Luftverbesserung in Hamburg“, führt Radke aus.
Gerade kommt der gelernte Elektromonteur und Elektromeister vom Eurogate Container Terminal Hamburg (CTH) zurück, wo ein dritter „Schiffsintegrationstest“ erfolgreich durchgeführt wurde. „Am Liegeplatz 1 & 2 haben wir die ‚APL Boston‘ für zwei Stunden reibungslos mit Landstrom versorgt. Der 9.200 TEU-Frachter hat dabei über 2.000 Kilowatt Strom abgenommen.“
Das klingt einfacher, als es ist: Allein am CTH wurden im laufenden Terminalbetrieb bis Juli bereits drei verfahrbare Übergabestationen errichtet. Neben dem kombinierten Liegeplatz 1 & 2 versorgen sie auch die Liegeplätze 3 und 6. Hinzu kommt eine neu gebaute Umrichterstation vor dem Terminal.
Eine umfangreiche Testphase ist unverzichtbar
Anders als im privaten Haushalt funktioniert der Anschluss nicht als einfaches „Plug-In“-Verfahren, sondern ist ein länger andauernder Prozess, bei dem zunächst einmal die Komponenten der Großanlage aufeinander abgestimmt werden müssen. „Daher auch die umfangreiche Testphase“, begründet Radke den Vorlauf. „Um Störungen zu vermeiden, müssen wir zunächst Schritt für Schritt vorgehen.“
Da die Frachter aber nur eine begrenzte Zeit im Hafen liegen und die Anlagen für Containerschiffe in dieser Form bislang einzigartig sind, gilt die Integration als organisatorische und technische Herausforderung.
„Jetzt folgen weitere Tests mit der Anschlussstation für den Liegeplatz 6 sowie zur parallelen Versorgung von zwei Schiffen an zwei Anschlüssen zur selben Zeit“, ergänzt Bromeis. „Die endgültige Übergabe vom Hersteller Powercon an uns peilen wir für Ende des Jahres an.“ Ebenfalls noch 2023 sollen die Anlagen am Container Terminal Burchardkai (CTB) und am Container Terminal Tollerort (CTT) „unter Strom“ stehen. Weitere Anschlüsse werden am Container Terminal Altenwerder (CTA) folgen, ebenso am Cruise Center Steinwerder und Cruise Center in der HafenCity für Kreuzfahrtschiffe.
Dazu unterzeichnet die HPA derzeit mit immer mehr Kreuzfahrt- und Containerreedereien entsprechende Absichtserklärungen für die Versorgung mit Landstrom. Schon bald können deren Schiffe insgesamt vier Anschlusspunkte auf den Kreuzfahrtund zehn auf den Containerterminals nutzen.
„Damit sind wir 2023 der erste Hafen Europas, der sowohl für Kreuzfahrt- als auch für große Containerschiffe eine Landstromversorgung anbietet“, erläutert HPA-Mann Bromeis. Am Ende wird die HPA als Betreiber – den Strom liefern die Hamburger Energiewerke – rund 100 Millionen Euro in alle damit verbundenen Bauprojekte investiert haben. Etwa die Hälfte der Investition zahlt der Bund, die andere Hälfte kommt von der Behörde für Wirtschaft und Innovation der Stadt Hamburg.
Anlagen könnten auch Batterien aufladen
Das ist eine erhebliche Summe – doch ist Landstrom überhaupt zukunftsfähig? Schließlich sind alternative Antriebskonzepte auf dem Vormarsch, die auch den Bordbetrieb am Liegeplatz übernehmen könnten. „Das ist zwar ein bisschen wie der Blick in die Glaskugel“, sagt Bromeis. „Aufgrund der Herstellungskosten und globalen Verfügbarkeit der Wasserstoffderivate wird Landstrom am Liegeplatz voraussichtlich auch längerfristig die günstigere Alternative sein. Sollten wir ferner künftig tatsächlich vermehrt elektrische Schiffsantriebe in Hamburg sehen, können wir auch die dazugehörigen Batterien mit unseren Landstromanlagen problemlos aufladen.“
Die HPA hat bei den Landanschlüssen neben den Kreuzfahrt- und Containerterminals, Binnenschiffen und Innerhafenverkehren noch weitere Seeschiff-Liegeplätze im Blick. Schließlich ist Hamburg ein Universalhafen und spielt eine bedeutende Rolle auch im Umschlag von Projektund RoRo-Ladung sowie Saug- und Greifergütern. Radke und Bromeis haben dazu einen klaren Plan: „Langfristig wollen wir alles elektrifizieren, was elektrifizierbar ist.“ (alb)