Methanol und Ammoniak gelten als die Hoffnungsträger für umweltfreundliche Schiffsantriebe. Zudem gibt es eine Reihe von Pilotprojekten für Schiffe, die mit Segeln oder Flettner-Rotoren angetrieben werden. Eine Technik, die in der Diskussion für eine emissionsfreie Schifffahrt bislang kaum eine Rolle spielt, ist die Nuklearenergie. Und das, obwohl Experten darin eine vielversprechende Lösung sehen.
„Die Industrie kann es sich nicht leisten, das enorme Potenzial zu ignorieren, das der Nuklearantrieb sowohl im Hinblick auf die Emissionsreduzierung als auch auf die Betriebseffizienz bietet. Eine Netto-Null-Welt lässt sich durch den Atomantrieb leichter realisieren“, ist Christopher Wiernicki, CEO des amerikanischen Schiffsklassifizierers ABS, überzeugt. Sein Unternehmen hat zuletzt im Sommer dieses Jahres eine Studie veröffentlicht. Mit dem Ergebnis: Die Kapazität und Dienstgeschwindigkeit eines Containerschiffes steigen, während der Betrieb gleichzeitig keine Emissionen verursacht.
Deutlich niedrigere Kosten
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam bereits vergangenes Jahr eine Untersuchung, an der Pierre Sames vom deutsch-norwegischen Klassifizierungsunternehmen DNV beteiligt war. Darin sind die Vorteile konkreter beziffert: Ein Containerschiff mit 20.000 TEU Kapazität, das mit einem neuartigen Fusions-Nuklearantrieb läuft, verursacht 27 Prozent niedrigere Kosten als ein konventionell angetriebenes Schiff dieser Größenordnung.
Die Transportzeiten im simulierten Liniendienst zwischen Asien und Europa sind rund 30 Prozent schneller. „Diese Technologie könnte einen zusätzlichen Weg zur Erreichung der Treibhausgasziele der IMO bieten und würde gleichzeitig für finanzielle Planungssicherheit in Zeiten stark schwankender Treibstoffkosten sorgen“, betont Sames.
Gänzlich neu ist die Idee nicht. Aktuell fahren weltweit rund 160 Schiffe mit nuklearem Antrieb – hauptsächlich werden sie für militärische oder wissenschaftliche Zwecke sowie als Eisbrecher eingesetzt. Besonders die USA und Russland sowie vereinzelt Japan und das Vereinigte Königreich nutzen die Technik. Mitte der 1960er-Jahre hatte Deutschland mit der „Otto Hahn“ ein Atom-Forschungsschiff. Allerdings wurde das Experiment nach guten zehn Jahren wieder eingestellt, da das Schiff so gut wie keine Häfen dauerhaft anlaufen durfte.
Technisch anspruchsvoll
So wie die heutigen Nuklearschiffe fuhr auch die Otto Hahn mit einem Fissionsreaktor an Bord. Diese Technik kommt auch in den Kernkraftwerken an Land zum Einsatz. Bei dem Kernspaltungsprozess (lateinisch: fissio = Spaltung) wird ein Atomkern in zwei oder mehr kleinere Kerne zerlegt, wodurch nutzbare Energie entsteht. Es bleibt radioaktiver Abfall übrig, für dessen Endlagerung in Deutschland bekanntlich seit Jahrzehnten eine geeignete Stätte gesucht wird.
Für die kommerzielle Nutzung der Kernenergie in der Schifffahrt und zur Stromerzeugung allgemein hoffen die Experten daher auf den Durchbruch der Fusionstechnik. Bei dem Prozess der Fusion verschmelzen zwei Atomkerne zu einem neuen Kern, wodurch ebenfalls Energie frei wird. „Fusionsreaktoren nutzen verschiedene Isotope von Wasserstoff als Brennstoff – unter anderem Deuterium, welches natürlich vorkommt und damit die Lösung grundsätzlich attraktiv macht“, sagt Sames.
Zudem sei der Prozess vergleichsweise sicher. Laufe etwas nicht korrekt, stoppe die Fusion einfach. Bei einem Fissionsreaktor hingegen drohe ein Kontrollverlust, wenn etwas nicht nach Plan laufe. „Außerdem produzieren die Fusionsreaktoren näherungsweise keinen radioaktiven Abfall. Nur das Gehäuse des Reaktors wird leicht aktiviert“, erklärt Sames. Das sei vergleichbar mit der Belastung eines Röntgengeräts im Krankenhaus, wenn es entsorgt wird.
Bislang ist diese Fusionstechnik allerdings nur auf dem Papier vielversprechend und noch nicht marktreif. „Im Moment brauchen diese Anlagen noch mehr Energie, als sie erzeugen“, erklärt Sames. Zuletzt seien aber Meilensteine auf dem Weg zu netto positiver Energieerzeugung gemeldet worden.
Kommerzielle Nutzung bleibt fraglich
Sames ist allerdings zuversichtlich, dass Ende dieses Jahrzehnts eine erfolgreiche Demonstration – an Land – stattfinde. Er erwartet einen Durchbruch, da Firmen heutzutage einfacher Zugriff auf Technik und Kapital hätten. Hohe Computer-Rechenleistungen ermöglichen es, einfacher aufwendige Simulationen durchzuführen, und mit Hilfe der 3-D-Drucktechnik ließen sich schneller Prototypen herstellen.
Zudem seien viele der jungen Unternehmen, die an einer Lösung arbeiten, private Firmen mit Investorengeldern, die ehrgeizige Ziele verfolgen. „Da kann man schon erwarten, dass es ein bisschen schneller geht als bei staatlich geförderten Programmen“, sagt Sames. Ob es diesen Unternehmen dann gelinge, die Technik auch kommerziell nutzbar zu machen, sei allerdings ein nächster Schritt.
Bis zu einem möglichen Einsatz auf den Weltmeeren kann es noch dauern. Nach erfolgreicher Demonstration der Technik an Land müsse ein Fusionsreaktor auch unter den schwierigen Umwelteinflüssen auf See getestet werden.
Zudem müssen die Regelwerke der internationalen Maritimen Organisation, der Klassifizierungsgesellschaften und der Flaggenstaaten für diese Technik angepasst beziehungsweise erweitert werden. Die UN-Konvention zur Schiffssicherheit (Solas, International Convention for the Safety of Life at Sea) enthalte zwar grundlegende Regelungen für nukleare Schiffsantriebe, allerdings müssten sie laut Sames erneuert werden, da sie nicht mehr dem Stand der Technik entsprächen. Erst wenn die Industrie ernsthafte Anwendungsfälle definiere, würden die Klassifizierungsgesellschaften die Standards erarbeiten.
Gesellschaftliche Akzeptanz nötig
Neben den Vorteilen des Nuklearantriebs bringt die Technik weitere Hürden mit sich. Der nukleare Teil für den Schiffsantrieb an Bord sei vergleichsweise klein, erklärt Sames. Viel größer und technisch anspruchsvoller sei der sekundäre Kreislauf, bestehend aus Wärmetauschern, Generatoren, Kühlanlagen und einer Dampfturbine. Diese Turbine nutzt die Energie aus der Kernfusion und treibt damit einen Generator an, der emissionsfreien Strom für den Schiffsan- und -betrieb erzeugt.
Für die Steuerung und Wartung der komplexen Nuklearanlagen und der notwendigen Hilfssysteme könnten 15 bis 20 zusätzliche Fachleute an Bord nötig sein. „Das könnte ein Grund sein, dass diese Lösung nicht so eine große Akzeptanz finden könnte“, spekuliert Sames.
Ein besonders großes Hemmnis sieht Sames in der gesellschaftlichen Akzeptanz: „Ich glaube nicht, dass wir der Bevölkerung auf die Schnelle den Unterschied zwischen einem Fusions- und einem Fissionsreaktor wirklich erklären können. Und solange nicht auf breiter gesellschaftlicher Basis eine Akzeptanz für Fusionsreaktoren hergestellt ist, kann ich mir auch nicht vorstellen, dass ein fusionsgetriebenes Schiff einen Hafen wie Hamburg anläuft.“
Einsatz nur auf bestimmten Routen
Denkbar wäre daher ein Einsatz nur auf besonderen Routen und lediglich zwischen zwei Staaten. Sames denkt zum Beispiel an einen Eisenerz-Frachter, der von einer entlegenen Region in Brasilien zu einer abgelegenen Gegend in China fährt. „Das könnte eine Anwendung sein, die eher funktioniert.“
Neben der Fusionstechnik arbeiten Entwickler zudem am Durchbruch von Small Modular Reactors (SMR) – die sowohl mit der Fissions- als auch Fusionslösung arbeiten könnten, erklärt Sames. Diese Reaktorklasse, die deutlich weniger Energie als ein stationäres Kernkraftwerk produziert, eigne sich grundsätzlich auch für den Einsatz auf Schiffen. „Durch Serienfertigung in einer Fabrik und eine schnelle Installation verspricht diese Technik geringe Kosten“, sagt Sames.
Allerdings seien auch diese neuen Konzepte bislang nicht im Einsatz, und es gebe aktuell keine Modelle, die es aus der Konzeptphase heraus geschafft hätten. Daher sieht Sames in beiden Lösungen bislang lediglich „Versprechen in die Zukunft“. (ol)