Das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“, wie es offiziell heißt, gilt zunächst für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern. Laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sind davon rund 900 Unternehmen betroffen. Für sie ergeben sich unterschiedliche Anforderungen, für den eigenen Geschäftsbereich sowie für unmittelbare und mittelbare Zulieferer.
Die Unternehmen müssen laut BMZ eine Reihe von Maßnahmen umsetzen. So müssen sie unter anderem eine Risikoanalyse durchführen, ein Risikomanagement sowie einen Beschwerdemechanismus aufsetzen und öffentlich darüber berichten. Bei Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich oder bei unmittelbaren Zulieferern müssen die Unternehmen laut Gesetz unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen ergreifen, „um diese Verletzung zu verhindern, zu beenden oder das Ausmaß der Verletzung zu minimieren“.
Mercedes-Benz-Managerin: „Seit Jahren vorbereitet“
„Für uns ändert sich nicht so viel, weil wir uns schon seit Jahren darauf vorbereitet haben“, sagt Jungo Brüngger, Rechtsvorständin von Mercedes-Benz. Man könne die Kontrolle von Lieferketten nicht einfach auf Knopfdruck umsetzen. Der Konzern habe entsprechende Vertragsbedingungen, Beschaffungsstandards und Audit-Rechte mit seinen unmittelbaren Lieferanten vereinbart.
Mercedes-Benz habe rund 40.000 Lieferanten allein im direkten Bereich. Hinzu komme ein Vielfaches davon im indirekten Bereich. „Wir können diese Lieferanten nicht jeden Tag kontrollieren. Das ist nicht machbar, auch nicht für solch ein großes Unternehmen.“ Es müsse also ein risikobasierter Ansatz gewählt werden. Für die größten Risiken würden Maßnahmen definiert, die dann kontrolliert werden. Laut Brüngger wird das Gesetz für viele Unternehmen eine große Herausforderung sein. Positiv sei, dass es eine Bemühenspflicht gebe. „Wenn wir als Unternehmen in einem konkreten Fall nachweisen können, dass wir alles in unserer Macht Stehende getan haben, dann erfüllt das diese Anforderung“, sagt Jungo Brüngger. „Kleine Unternehmen haben es bei der Umsetzung sicher schwerer.“
Ein im Vergleich zu Mercedes-Benz kleineres Unternehmen ist der Maschinenbauer Stihl. Das Familienunternehmen mit weltweit rund 20.000 Mitarbeitern arbeite bereits seit einigen Jahren daran, dass Nachhaltigkeit im Lieferantenmanagement zu einem integralen Bestandteil wird, sagt Unternehmer Nikolas Stihl. Aber um die Vorschriften zu erfüllen, müsse erheblicher zusätzlicher Aufwand betrieben werden. Stihl sieht zudem die Gefahr von Wettbewerbsnachteilen durch das deutsche Gesetz, weshalb seiner Ansicht nach eine Ausweitung auf EU-Ebene oder sogar global einheitliche Anforderungen hilfreich wären.
Kritik von Wirtschaftsverbänden
Kritik kommt auch von Wirtschaftsverbänden. Karl Haeusgen, Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, kritisierte, dass Firmen Berichte für alle einsehbar machen müssten - auch für Wettbewerber. „Das wird zum Rückzug unserer Unternehmen aus ganzen Ländern führen und damit ist den Menschen vor Ort geschadet, nicht geholfen“, so Haeusgen.
Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, kritisierte den Fragenkatalog zur Berichterstattung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa). Der Fragenkatalog sei „ein rein theoretisches Konstrukt und praxisfern“. Auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Peter Adrian, kritisierte den Fragebogen. Das Bafa plage die Betriebe in der schwersten Krise seit Jahrzehnten mit 437 Datenfeldern. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, forderte: Das Bafa müsse jetzt die Verfahren und den Fragebogen zur Berichtspflicht stark vereinfachen.
„Die Industrielobby hat das Gesetz extrem ausgehöhlt. Das ist zu einem zahnlosen Papiertiger geworden“, sagt hingegen Viola Wohlgemuth von der Umweltorganisation Greenpeace. Sie kritisiert vor allem, „dass es keine eigenständigen umweltbezogenen Sorgfaltspflichten gibt“. Man könne nur dann eingreifen, wenn Menschen durch die Umweltzerstörung von Firmen gesundheitliche Schäden erleiden. „Und das ist quasi unmöglich vor Gerichten nachzuweisen, gerade für die Betroffenen in den Produktionsländern“, sagt Wohlgemuth.
Beate Streicher von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert, dass das Gesetz nur sehr große Unternehmen erfasse. Zudem fehle eine Regelung der zivilrechtlichen Haftung. Das Gesetz sei ein Anfang, es reiche aber definitiv nicht aus. Die Schwächen müssten jetzt auf europäischer Ebene adressiert werden. Im Koalitionsvertrag stehe, dass sich die Bundesregierung für ein wirksames europäisches Lieferkettengesetz einsetzt. „An diesem Anspruch muss sie sich messen lassen“, sagt Streicher. (dpa/fw)