Fast sämtliche Schiffe der heutigen Weltmeerflotte werden mit konventionellen Kraftstoffen betrieben. UNCTAD-Daten von 2021 berichten von gerade einmal 663 Schiffen, die alternative Kraftstoffe nutzen (siehe Tabelle).
Auch das Orderbuch für Schiffsneubauten bestätigt dieses Bild. Die DNV-Tochter Veracity berichtet, dass rund 86 Prozent der aktuellen Bestellungen auf Schiffe mit konventionellen Kraftstoffen entfallen. Die Neuverträge 2023 beziehen sich zu fast 90 Prozent auf konventionelle Kraftstoffe. Wie Research-Daten von Clarksons zeigen, sind die bestellten Neubauten aus 2022 zumindest zu 33 Prozent geeignet für alternative Kraftstoffe, das heißt, sie nutzen eine Antriebstechnik, die neben dem konventionellen Kraftstoff alternativ zum Beispiel LNG, Methanol oder Ammoniak verbrennen kann.
Die Zahlen belegen, dass der Industrie bislang die Sicherheit fehlt, welche Kraftstoffe künftig in der Seeschifffahrt zum Einsatz kommen werden – Kraftstoffe, die in sämtlichen Häfen der Welt verfügbar sind, nicht zu viel Transportraum einnehmen, keine Gefährdung auf See darstellen et cetera. Die gute Nachricht: In alle diese Richtungen wird geforscht, und es laufen zahlreiche Modellprojekte. Insgesamt rechnet der Thinktank Maersk McKinney Moller Center for Carbon Zero Shipping damit, dass circa 2030 Klarheit über marktfähige CO2-neutrale Kraftstoffe herrschen wird. Erst dann wird es auch für kleine und mittelgroße Reedereien (die 80 Prozent des Marktes ausmachen) unternehmerisch sinnvoll sein, in entsprechende Neubauten zu investieren.
Was tun in der Zwischenzeit, in der Gesetzgeber und Stakeholder zunehmenden Druck ausüben?
Schifffahrtsunternehmen leben davon, Schiffe zu einem guten Preis zu kaufen, sie profitabel zu betreiben und sie anschließend mit Gewinn zum richtigen Zeitpunkt weiterzuverkaufen. Dabei sucht sich jedes Unternehmen seine Nische:
- Bedienung eines oder mehrerer Marktsegmente (zum Beispiel Container, Tanker, Bulker, Passagierschifffahrt et cera) mit jeweils spezifischen Transportketten und vertraglichen Beziehungen (zum Beispiel Zeitcharter, Reisecharter)
- Investition in eine spezifische Flotte (Schiffsgrößen und Schiffsalter) entlang der Segmente, etwa Spezialisierung auf eine bestimmte Periode im rund 30-jährigen Lebenszyklus eines Schiffes
- Gegebenenfalls Bedienung bestimmter Regionen und Strecken.
Die sich daraus ergebenden Geschäftsmodelle verändern sich nun durch die Regulatorik der International Maritime Organisation (CII: Carbon Intensity Indicator) und der Europäischen Union (EU ETS: EU-Emissionshandelssystem, also die Ausdehnung des EU-Emissionshandels auf die Schifffahrt) in unterschiedlicher Weise. Es gibt deshalb keinen allgemeingültigen Masterplan, welcher Weg in die Zukunft der richtige ist.
Es gibt aber Fragen, die sich jedes Unternehmen stellen sollte und auf die es seine eigenen strategischen Antworten finden muss. Am Beispiel des Unternehmens MPC Container Ships soll aufgezeigt werden, wie eine erfolgreiche Strategie aussehen kann.
Ausgangslage
Im ersten Schritt sollte jedes Schifffahrtsunternehmen seine Ausgangslage kennen:
- Wie viel CO2 emittiert meine Flotte?
- Welche CII-Ratings haben meine Schiffe?
- Mit welchen EU-ETS-Kosten muss ich künftig rechnen?
- Wie ist mein spezifisches Geschäftsmodell von diesen Ratings und Kosten betroffen?
Um diese Fragen zu beantworten, ist es essenziell, die täglichen Verbrauchsdaten der Flotte im Blick zu haben und diese Daten auf einzelne Schiffe, Reisen und Strecken sowie Charterverträge herunterzubrechen. Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren in sogenannte Vessel-Performance-Management-Systeme investiert, die bislang vor allem dem technischen Manager dazu dienen, seiner Wartungsverantwortung und der Optimierung der Treibstoffkosten nachzukommen.
CII und EU ETS führen nun aber erhebliche Zusatzkosten für CO2 ein, die den Wert der Flotte und die Margen im operativen Betrieb, das heißt die kommerziellen Entscheidungen der Chartering-Teams beeinflussen.
Es ist deshalb wichtig, die täglichen Verbrauchsdaten den Entscheidern im Unternehmen zugänglich zu machen und ihnen auf Basis der Daten ein vorausschauendes Planen und Handeln zu ermöglichen.
MPC hat dies in Erwartung des CII-Inkrafttretens bereits Anfang 2022 erkannt und eine Entwicklungspartnerschaft mit Zero44, einem Software-Unternehmen, gestartet. Gemeinsam wurde ein CII-Management-Tool entwickelt, das es MPC heute ermöglicht, das CII-Rating sämtlicher Schiffe in Echtzeit zu verfolgen, entsprechende Daten mit den Charterern zu teilen und künftige Chartering-Optionen zu vergleichen.
MPC betreibt eine Flotte von rund 60 Feeder-Containerschiffen und hat Neubauten bestellt, die auch mit grünem Methanol betrieben werden können. Die Flotte wird in größtenteils langfristigen Zeitcharterverträgen an Linienreedereien verchartert, die die Schiffe operativ betreiben und im Rahmen ihrer Fahrpläne einsetzen.
MPC ist für das technische Management, die Crew und die nötigen Versicherungen verantwortlich. Der Charterer verantwortet die Fahrpläne und Reisekosten – neben Kraftstoffkosten, Hafen- und Kanalgebühren betrifft dies künftig auch die EU- ETS-Kosten.
Aus MPC-Perspektive wird es also künftig wichtig sein, die EU-ETS-Zertifikate rechtzeitig vom Charterer zu erhalten beziehungsweise die Kosten hierfür erstattet zu bekommen; denn die EU-ETS-Regulatorik nimmt den Schiffseigner und seinen DOC Holder (Unternehmen, das das Document of Compliance verantwortet), in die Pflicht, die Zertifikate zum Stichtag einzureichen.
In Bezug auf das CII-Rating ist MPC davon abhängig, dass die Charterer die Schiffe so betreiben, dass ein vereinbartes Zielrating eingehalten wird.
CII-Strategie
MPC hat sich das Ziel gesetzt, über die gesamte Flotte ein durchschnittliches CII-Rating von „C” zu erreichen. Die Kohlenstoffintensität wird mit A, B, C, D oder E bewertet, wobei A die beste Bewertung ist. Dieses Ziel ist aufgrund der operativen Profile mit zum Teil kurzen Strecken und längeren Wartezeiten vor Häfen sehr ambitioniert. In Summe haben 68 Containerschiffe von MPC im Jahr 2022 zusammen rund 1,8 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Mehr als die Hälfte der Flotte hätte 2022 (wäre der CII bereits in Kraft gewesen) ein Rating von „D” oder „E” gehabt.
Seit Anfang 2023 wird deshalb das Fahrverhalten der Flotte von den verschiedenen Managern der Gruppe täglich beobachtet. Mit Hilfe der Zero44-Software sollen die Reisedaten und entsprechenden CII-Ratings regelmäßig mit den Charterern geteilt und mit ihnen gemeinsame Strategien für das Erreichen eines „C“- Ratings erarbeitet werden.
EU-ETS-Strategie
Für EU ETS wurde innerhalb der MPC-Gruppe ein Projekt aufgesetzt, um die künftige Aufgabenteilung zwischen Eigner, technischem Manager und Chartering-Team im ETS-Prozess zu diskutieren. Mit von der Partie ist erneut Zero44, um die künftigen Prozesse mit Daten, Dashboards und digitalen Workflows zu unterstützen. Teil des Projektes ist auch eine mögliche Kooperation mit einem Trading-Partner für den eigentlichen Zertifikatehandel. Ziel ist es, bis Ende 2023 alle betroffenen Charterverträge zu ergänzen und sämtliche administrativen und prozessualen Vorbereitungen zu treffen, um erfolgreich am Emissionshandel teilzunehmen.
Langfristige Innovationsstrategie
Um selbst einen Beitrag zu leisten, Unsicherheiten in Bezug auf künftige Kraftstoffe zu reduzieren und das eigene Geschäft für die Zukunft zu sichern, hat MPC zusätzlich zu den oben beschriebenen kurzfristigen Maßnahmen zahlreiche Innovationsprojekte und Partnerschaften angestoßen.
MPC hat einen Mitarbeiter in das Maersk McKinney Moller Center for Zero Carbon Shipping entsandt, einen gemeinnützigen Thinktank, der über ein breites Netzwerk an Experten und unterstützenden Unternehmen maßgeblich zur Innovation in der Schifffahrt beiträgt.
MPC ist außerdem Mitglied der Getting to Zero Coalition, einer Allianz von mehr als 200 Organisationen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, marktfähige CO2-neutral betriebene Schiffe bis 2030 operativ einsetzbar zu machen und bis 2050 vollständig im Markt durchzusetzen.
Im Jahr 2022 hat MPC in Partnerschaft mit Elkem ASA und North Sea Container Line zwei 1.300-TEU-Neubauten bestellt, die neben fossilem Treibstoff mit Methanol betrieben werden können. Die Schiffe sollen künftig entlang der norwegischen Küste eingesetzt werden.
Anfang 2023 hat MPC einen Liefervertrag mit der Karlsruher Firma Ineratec abgeschlossen, einem Unternehmen, das an der Entwicklung synthetischer Kraftstoffe für die Luft- und Schifffahrt sowie Automobilindustrie arbeitet. Der synthetische Kraftstoff kann in konventionellen Schiffen der Bestandsflotte eingesetzt werden und soll ab 2024 mit ersten Liefermengen zur Verfügung stehen.
Der Weg der Schifffahrt zur CO2-Neutralität ist noch lang, und die Unsicherheiten sind groß. Der Druck durch staatliche Regulierung hat zuletzt erheblich zugenommen. Neben der intrinsischen Motivation, Emissionen zu reduzieren, wird es damit für Schifffahrtsunternehmen kommerziell überlebenswichtig, sich mit den Emissionen ihrer Flotte und kurzfristigen Reduktionshebeln zu beschäftigen. Je nach Ausgangslage müssen Unternehmen individuelle Wege in die Zukunft entwickeln. (fw)
Friederike Hesse ist Co-Gründerin und Geschäftsführerin von Zero44; Philipp Niesing ist Geschäftsführer bei MPC Container Ships