Am Freitagvormittag setzten sich Unterhändler von Europäischem Parlament und EU-Mitgliedstaaten in Brüssel zusammen, um einen Kompromiss bei der Reform des EU-Emissionshandelssystems festzuzurren. Einige Monate der Verhandlungen lagen da schon hinter ihnen und etliche wichtige Punkte waren auch schon geklärt, etwa die Einbeziehung des Seeverkehrs in den CO₂-Handel ab 2024. Dennoch dauerte es noch einmal knapp 30 Stunden, bis um kurz vor 2 Uhr in der Nacht zum Sonntag die Einigung auf den wichtigsten Pfeiler des EU-Klimaschutzpakets „Fit for 55“ gelang. Der Kompromiss braucht jetzt in den kommenden Wochen noch die Bestätigung durch EP und EU-Ministerrat.
Vom „größten Klimaschutz-Gesetz aller Zeiten“ sprach hinterher der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese, Leiter der EP-Verhandlungsdelegation. EU-Klimaschutzkommissar Frans Timmermans sagte: „Der Emissionshandel ist das Herzstück des Europäischen Green Deal – weil er Kohlenstoffemissionen einen Preis gibt“. Die Einigung „ermöglicht es uns, die Klimaschutzziele in den Hauptbranchen der Wirtschaft zu erreichen“, erklärte Tschechiens Umweltminister Marian Jurecka für die EU-Ratspräsidentschaft. Gleichzeitig würden die bedürftigsten Bürger und kleine Unternehmen bei der Umstellung auf klimafreundlichere Technologien unterstützt.
Mehr Mittel für Innovationen
Die Mittel, um der Wirtschaft bei der Energiewende zu helfen, werden mit dem Kompromiss allgemein deutlich aufgestockt. Der dafür nutzbare EU-Innovationsfonds werde viermal größer als bisher, sagte Liese. Die Erlöse aus der Versteigerung von 20 Millionen CO₂-Verschmutzungsrechten – bei derzeitigen Preisen rund 1,5 Milliarden Euro wert – sind zum Beispiel für die Entwicklung neuer Technologien im Seeverkehr reserviert.
Liese betont auch, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, alle Einnahmen aus dem Emissionshandel für „Klimaschutz, Arbeitsplätze und sozialen Ausgleich“ einzusetzen, sodass auch über den EU-Haushalt hinaus noch Milliarden für die Energie- und Verkehrswende verfügbar seien.
Der EU-Spediteursverband CLECAT hätte sich allerdings eine klarere Zweckbindung der Mittel gewünscht. „Die Mitgliedstaaten müssen ihre Einnahmen für den Klimaschutz einsetzen, aber es gibt keine spezifischen Vorgaben, die Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs zu finanzieren“, sagte CLECAT-Generaldirektorin Nicolette van der Jagt zur DVZ.
Unternehmen, die ihren CO₂-Ausstoß nicht deutlich reduzieren, müssen Verschmutzungsrechte kaufen. Diese werden mit der Zeit immer teurer, da die Zahl der Rechte kontinuierlich sinkt. Dadurch müssen die Teilnehmer am Emissionshandel ihren Ausstoß bis 2030 insgesamt um 62 Prozent unter das Niveau von 2005 drücken. Bisher ist eine Reduzierung um 43 Prozent vorgeschrieben.
Handelsstart hängt von Energiepreisen ab
Für Straßenverkehr und Gebäudewirtschaft wird ein eigenes EU-Emissionshandelssystem eingeführt. Darüber wurde am Wochenende in Brüssel noch lange diskutiert. Es gilt für Produzenten und Händler von Treib- und Brennstoffen, dadurch wird der Preis für diese Produkte steigen. Der Start ist für 2027 vorgesehen. Allerdings gibt es dafür zwei Bedingungen, sagte der Europaabgeordnete Pascal Canfin (Liberale), Vorsitzender des EP-Umweltausschusses: „Wenn 2027 die Energiepreise so hoch wie heute sind, verschieben wir um ein Jahr“. Zudem sollen zusätzliche Emissionsrechte auf den neuen Markt kommen, wenn der Zertifikatepreis zu hoch wird. „Der Preis wird nie über 45 Euro pro Tonne steigen“, sagte Canfin.
Doppelbelastung soll ausgeschlossen werden
Vom Tisch ist der Plan des EP, private Straßennutzer zunächst vom Straßenverkehrs-Emissionshandel auszunehmen. Dagegen haben Branchenverbände wie IRU und BGL protestiert. In der Praxis sei es unmöglich, an der Tankstelle zwischen privaten und kommerziellen Fahrzeugen zu unterscheiden, besonders bei leichten Nutzfahrzeugen. Außerdem würden viel weniger Einnahmen generiert, mit denen die Entwicklung klimafreundlicherer Lkw und Treibstoffe finanziert werden könne.
Haben Mitgliedstaaten bereits eine ähnliche CO₂-Abgabe auf Brennstoff – wie zum Beispiel Deutschland – müssen sie das EU-System bis Ende 2030 nicht anwenden, sofern der nationale Preis mindestens ebenso hoch ist. „Wir begrüßen vom Grundsatz her, dass diese Einigung auf ein EU-weites Emissionshandelssystem für Straßenverkehr und Gebäude endlich zustande gekommen ist“, sagte BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt auf DVZ-Anfrage. „Damit wird ein Standortnachteil des deutschen Straßengüterverkehrsgewerbes im internationalen Wettbewerb endlich ausgeglichen – wenn auch mit 2027 leider erst viel zu spät“.
CLECAT weist darauf hin, dass es in der neuen EU-Wegekostenrichtlinie einen Passus gibt, diese zu überprüfen, sobald die EU einen CO₂-Handel für Straßenverkehr einführt. Eine Doppelbelastung des Gewerbes durch CO₂-Komponente in der Lkw-Maut und CO₂-Handel müsse vermieden werden.
Menge der Emissionsrechte sinkt rascher
Zum Kampf gegen den Klimawandel hat sich die EU vorgenommen, den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen wie CO₂ bis 2030 um 55 Prozent zu verringern im Vergleich zu 1990. Bis 2050 will die Union klimaneutral werden - also nur noch Kohlendioxid auszustoßen, das auch wieder gebunden werden kann. Damit wollen die Staaten sich an das Pariser Klimaschutzabkommen halten, dessen Ziel es ist, die Erwärmung des Klimas bei möglichst 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Laut den jüngsten Daten der Statistikbehörde Eurostat von 2020 hat die EU ihre CO₂-Emissionen bisher um 33 Prozent gegenüber 1990 verringert.
Die Menge der erlaubten Emissionen sinkt mit der Reform rascher als bisher. Bis 2030 müssen die Branchen, die dem System unterworfen sind, ihren CO₂-Ausstoß um 62 Prozent gegenüber 2005 reduzieren. 2024 und 2027 wird die erlaubte Emissionsmenge zweimal um insgesamt 117 Millionen Tonnen CO₂ verringert. Zudem steigt der Anteil, um die Menge der Verschmutzungsrechte jährlich sinken muss, für die Jahre von 2024 bis 2027 auf 4,3 Prozent und von 2028 bis 2030 auf 4,4 Prozent.
Weniger kostenlose Verschmutzungsrechte
Besonders kontrovers wurde darüber verhandelt, wie lange Firmen noch weiter kostenlos CO₂ ausstoßen dürfen. Zurzeit werden noch gratis Zertifikate ausgeteilt, damit europäische Unternehmen keinen Nachteil gegenüber Produzenten in Drittländern haben, wo es keinen CO₂-Preis gibt. Kostenlose Zertifikate für Firmen sollen nun bis 2034 schrittweise weitgehend auslaufen.
CO₂-Zoll wird eingeführt
Parallel sollen auch stärkere Schutzmechanismen für europäische Unternehmen greifen. So sollen Produzenten aus Drittstaaten für den Ausstoß von CO₂ zahlen, wenn sie ihre Ware in der EU verkaufen wollen - durch einen sogenannten CO₂-Grenzausgleichsmechanismus, der ab 2034 vollständig gelten soll. Auf diesen Mechanismus hatten sich Unterhändler bereits Mitte Dezember im Grundsatz geeinigt.
Klimasozialfonds soll Härten mildern
Höhere Kosten für Verbraucher durch die Energiewende - etwa steigende Heizkosten - sollen durch einen neuen Fonds über 86,7 Milliarden Euro abgefangen werden. Damit sollen Haushalte entlastet und Investitionen, zum Beispiel in effizientere Gebäude oder öffentliche Verkehrsmittel, finanziert werden. Der Fonds soll durch Einnahmen aus dem Emissionshandel und teilweise durch die Mitgliedstaaten gespeist werden.
Die Einigung muss noch vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten bestätigt werden - das gilt normalerweise als Formsache. Die Bundesregierung hatte während der Verhandlungen unter anderem beim Auslaufen der kostenlosen Zertifikate für die Industrie Bedenken, wie es von Verhandlungsteilnehmern hieß. „Aus deutscher Sicht ist die Einigung ein Durchbruch für den Klimaschutz, der gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit unserer europäischen Industrie und die soziale Abfederung notwendiger Klimamaßnahmen sichert“, kommentierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Einigung. Die Beschlüsse seien zentral, um die EU unabhängiger von fossilen Energien zu machen.
Einige Verhandler hatten Bedenken gehabt, dass Deutschland die Einigung noch im Nachhinein blockieren könnte. Eine Abstimmung der EU-Botschafter der Mitgliedstaaten soll nicht vor dem Jahreswechsel stattfinden. Der zuständige EP-Umweltausschuss will im Januar abstimmen, dem Plenum des Europaparlaments soll der Kompromiss dann wahrscheinlich im Februar zur Billigung vorgelegt werden. (fh/dpa)