Niko Paech: „Das größte Reduktionspotenzial gibt es dort, wo dekadenter Luxus herrscht.“

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Den Wohlstand maßvoll und sozial gerecht zurückbauen

27.04.2024

Der Ökonom Niko Paech tritt seit Jahren für 
eine Welt ohne Wachstum ein – die Postwachstumsökonomie. In der 20-Stunden-Woche sieht er die Chance, dass Menschen wieder mehr Zeit haben, um vom Konsumenten zum Produzenten zu werden.

DVZ: Gerade geht die Berichtssaison der börsennotierten Unternehmen zu Ende. Dabei wird besonders deutlich, dass es in der Wirtschaft am Ende des Tages hauptsächlich um Wachstum geht. Wie denken Sie – als jemand, der genau für das Gegenteil eintritt – darüber?

Niko Paech: Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive führen sehr viele Faktoren dazu, dass Unternehmen meinen, wachsen zu müssen. Wachstum ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Gesellschaft noch einigen kann. Dabei müssen Firmen eine vierfache Schwierigkeit meistern, wenn sie wachsen wollen. Sie müssen ihre Kosten, die Stabilität der Lieferketten, ihre Innovationsfähigkeit und schließlich das Wohlwollen ihrer Geldgeber im Auge behalten.

Wie kann das gelingen?

Wachstumstreiber sind nicht zu mildern, ohne die Ansprüche an Konsum, Mobilität und technologische Bequemlichkeit zu reduzieren. Andernfalls ist es auch für Unternehmen schwierig, zu einer Ökonomie beizutragen, die mit dem Überleben der menschlichen Zivilisation vereinbar wäre.

Halten Sie das für realistisch?

Es besteht durchaus noch eine realistische Chance, aber die zu nutzen hieße, viele Federn zu lassen: sprich die verantwortungslosen Wohlstandsspitzen sozialverträglich abzubauen.

Das klingt nach einem revolutionären Wandel.

Den Wohlstand maßvoll und sozial ausgewogen zurückzubauen, heißt nicht, in die Steinzeit zurückzufallen. In einer Postwachstumsökonomie werden wir selbstverständlich auskömmlich versorgt sein, auch mit Gütern, die es vor 20 Jahren noch nicht gab. Wichtig ist, die Notwendigkeit ständiger Neuanschaffungen von Produkten zu reduzieren.

Bislang ist eher das Gegenteil der Fall, und der Großteil der Gesellschaft lebt nach dem Motto „mehr, schneller und günstiger“.

Konsum ähnelt in seinem Wesen einer Droge. Er dient nicht mehr nur dazu, einen Mangel zu lindern, sondern ist zum entscheidenden Identifikationsinstrument geworden. Er dient dazu, sichtbar zu kommunizieren, wer man ist. Ich sehe das größte Reduktionspotenzial auch keineswegs dort, wo Grundbedürfnisse berührt sind, sondern dort, wo dekadenter Luxus vorherrscht, der sich zugleich ökologisch verheerend auswirkt.

Luxus bedeutet ja für jede Einkommensschicht etwas anderes. Was bedeutet es für Sie?

Nichts verzeichnet während der letzten Jahrzehnte höhere Zuwachsraten als das, was sich vormals nur wenige Menschen erlauben konnten – Flugreisen, Kreuzfahrten, SUVs oder überhaupt Autos, Lawinen an digitalen Endgeräten, die in immer kürzeren Abständen zu Abfall werden, ohne kaputt zu sein, et cetera. Würden derartige Dinge nicht verfügbar sein, würde niemand verhungern oder an Krebs sterben.

Es ist schwer vorstellbar, dass Menschen freiwillig auf ihren Wohlstand verzichten. Welche Rolle kann die Politik spielen?

Um eine Postwachstumsökonomie zu etablieren, ist die Politik vollkommen handlungsunfähig, denn für eine solche Strategie gibt es derzeit keine Mehrheit.

Wenn weder die Politik noch die Menschen selbst die Einsicht haben, wie soll es dann gelingen?

Künftig werden Krisen zum Motor des Wandels. Wenn die Sommer noch heißer werden und es mehr Hitzetote gibt, wächst auch die Bereitschaft zum Wandel.

Also, statt immer mehr Konsum…

…breiten sich Geschäftsmodelle aus, die auf Reparatur basieren. Früher gehörte das zum Standardrepertoire. Würden etwa Textilprodukte derart genutzt und instand gehalten, dass ihre durchschnittliche Nutzungsdauer um den Faktor zwei steigt, wäre nur die Hälfte des Transportes und der Produktion nötig. Und Verbraucher würden weniger Geld benötigen. In Zukunft wird die Versorgung mit Produkten von der Nutzungsdauerverlängerung und einem entsprechenden Design abhängig sein. Hier hätte die Politik durchaus Handlungsspielräume.

Inwiefern?

Entscheidend ist die Bildung. Ein Pflichtfach „Ökologische Verantwortung für das 21. Jahrhundert“ wäre vonnöten. Es bräuchte mehr Werkstätten, Küchen und Gärten in den Schulen, wo junge Menschen lernen, Güter instand zu halten und selbsttätig zur Versorgung beizutragen. Andernfalls entstehen nur neue Kohorten digitaler und konsumabhängiger Deppen. Auch außerschulische Lernorte wie Repair Cafés und Ressoucenzentren sollten gefördert werden, damit ein postwachstumstaugliches Dasein eingeübt werden kann. Unternehmen können daran mitwirken, wobei die Nutzungsdauerverlängerung von Produkten die Königsdisziplin ist.

Was entgegnen Sie Unternehmern, die Arbeitsplätze sichern müssen oder wollen, wenn sie künftig weniger zu tun haben?

Es werden andere Arbeitszeitmodelle benötigt, am besten eine 20-Stunden-Woche, damit den Unternehmen motivierte und kompetente Beschäftigte erhalten bleiben und um Arbeitslosigkeit zu verhindern. Der aktuelle Fachkräftemangel wird sich angesichts einer heraufziehenden Industrie 4.0, insbesondere der KI, als historischer Wimpernschlag erweisen.

Haben Sie auch eine Lösung, was die Menschen mit der vielen Zeit dann machen sollen?

Wenn durchschnittlich weniger Geld verdient wird als in einer 40-Stunden-Woche, hilft neben Sparsamkeit, also Suffizienz, eine zweite Strategie: Die neu gewonnene Zeit kann genutzt werden, um an der eigenen Versorgung tatkräftig mitzuwirken, insbesondere zu reparieren und Netzwerke der Gemeinschaftsnutzung aufzubauen. Aus hilflosen Konsumenten werden also Prosumenten, die genussvoll, aber klug und genügsam konsumieren, zugleich jedoch auch produzieren.

Wie gestalten Sie Ihren Alltag?

Ich führe ein entrümpeltes Leben, arbeite als Wissenschaftler 20 Stunden. Und in den anderen 20 Stunden kümmere ich mich um Projekte, die zur modernen Selbstversorgung beitragen, darunter auch Genossenschaften. Meine Maxime lautet: Lebe so, dass wenn sich die anderen 8 Milliarden Menschen auf ähnliche Weise mäßigen, die ökologische Rechnung aufgeht und eine gute Lebensqualität möglich ist. Bei diesem Gedanken kann ich nachts ruhig schlafen.

Niko Paech

Der 63-Jährige gilt als bekannter Wachstumskritiker in Europa und hat die „Postwachstumsökonmie“ geprägt. Er lehrt als außerplanmäßiger Professor an der Uni Siegen im Bereich Plurare Ökonomik. Dazu ist er Autor von Büchern wie: „Befreiung vom Überfluss“, „All you need is less“ oder „Ökonomie vom Überfluss“.

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